Heute bringen wir zur Abwechslung mal ein nachdenkliches Gedicht zur kühlen Jahreszeit von Erich Kästner (* 23. Februar 1899 in Dresden – † 29. Juli 1974 in München).
Wenn auch hauptsächlich bekannt durch seine Kinderbücher, so hat er durchaus auch ernstes und besinnliches geschrieben. „Der Dezember“ stammt aus einem Gedichtzyklus mit dem Titel: Die 13 Monate, der 1955 erschien. Er ist Kästners letzter Gedichtband.
Dezember
Das Jahr ward alt. Hat dünnes Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.
Ist viel geschehn. Ward viel versäumt.
Ruht beides unterm Schnee.
Weiß liegt die Welt, wie hingeträumt.
Und Wehmut tut halt weh.
Noch wächst der Mond. Noch schmilzt er hin.
Nichts bleibt. Und nichts vergeht.
Ist alles Wahn. Hat alles Sinn.
Nützt nichts, dass man's versteht.
Und wieder stapft der Nikolaus
durch jeden Kindertraum.
Und wieder blüht in jedem Haus
der goldengrüne Baum.
Warst auch ein Kind. Hast selbst gefühlt,
wie hold Christbäume blühn.
Hast nun den Weihnachtsmann gespielt
und glaubst nicht mehr an ihn.
Bald trifft das Jahr der zwölfte Schlag.
Dann dröhnt das Erz und spricht:
„Das Jahr kennt seinen letzten Tag,
und du kennst deinen nicht.“
— Erich Kästner (aus „Die 13 Monate“, 1955)
(Unser Weihnachtskalender aber flüstert: Es sind nur noch 6 Tage bis Weihnachten.)