Am Samstag morgen um 1:30 waren wir wieder in Freistatt und um 9:30 saßen wir auch schon wieder im Büro um den Artikel für Freitag zu schreiben. Nichtsdestotrotz waren wir rechtzeitig zum Auftritt von Knie 20 Doppelpack wieder zurück auf dem Festivalgelände in Twistringen. Unser Fotograf André war mit dem Redaktionszelt ohnehin auf dem Campingplatz geblieben und war mit Kamera und leichten Rückenproblemen bereits wieder am Start.
Die Twistringer Rap und Hip-Hop Formation machen schon seit 1999 die Szene unsicher und haben sich 2012 wieder zusammengefunden. Immer noch voll motiviert, mit harten Beats und schnellen Reimen standen sie nun als Opener für den Samstag auf der Bühne. 16:00 war allerdings für viele der Zuschauer klar zu früh. Den wenigen "Frühstücksgästen" war die Musik wohl auch irgendwie zu modern.
Anschliessend betraten Revolution‑R die Bühne. Die Geburtsorte der Künstlerinnen und Künstler liegen tausende von Kilometern auseinander. Einige kamen als Flüchtlinge von der Elfenbeinküste, die anderen haben französische und deutsche Wurzeln.Und diese Formation fand den Zugang zum nachmittäglichen Publikum wesentlich einfacher.
Die beiden von der Elfenbeinküste geflohenen Sänger Richard Kouadio Kouamé und Jaques Bi‑Z Zamblé erheben den ivoirischen Jugendslang Nouchi in ihren Raps zur Kunstform und singen auch auf Baoulé, Gueré, Französisch oder Deutsch.
Die neunköpfige Band spielt eine Mischung aus Reggae, Rap und Ragga, der durch Eve Hase, die Saxofon und Akkordeon spielt, eine unverkennbar chansonneske Note erhält. Das Ganze kommt, trotz der teils tragischen Texte, die von Bootsflüchtlingen, Verfolgung und Rassismus handeln, erstaunlich tanzbar daher. Zudem hat die ganze Band so offensichtlichen Spaß auf der Bühne, daß es ansteckend wirkt.
Wir möchten allen Veranstaltern diese Band wärmstens ans Herz legen. Nicht nur wegen der offensichtlich gelungenen Integrationsarbeit, sondern auch zum Wohl ihres Publikums.
Der Spätnachmittag gehörte zwei starken Frauen. Frontfrau Insa Reichwein, Spitzname "Pinski" und Francis Tobolsky, der Stimme von "Wucan".
Pinski kommen aus Köln und spielen Rockmusik, dominiert von der Stimme und der verzerrten Akustik Gitarre von Insa Reichwein. Dabei übersieht man leicht die Qualität ihrer drei Mitstreiter, Ian Alexander Griffiths an der E‑Gitarre und Chris Streidt am Bass, die beide ihre Leadsängerin auch gesanglich unterstützen, sowie Drummer Stephan Schöpe.
Pinski sind leidenschaftlich und mitreißend in ihrem Tun. Das gilt fürs Lachen, wie fürs Weinen. Und Insa hat eine mitreißende Gegenwart, die ihresgleichen sucht. Dabei fehlt es nicht an groovigen Einflüssen, die stellenweise sogar tanzbar sind. Respekt von dieser Seite, da geht auf jeden Fall noch mehr.
Wucan besteht vor allem aus der Stimme und Präsenz von Francis Tobolsky, die neben ihrem Gesang auch noch Querflöte, Gitarre und Theremin (das Instrument aus Big Bang Theory, auf dem die Musik zur Original-Enterprise Serie gespielt wurde) spielt.
Die Dresdner Band, die 2011 gegründet wurde spielt etwas, das irgendwo zwischen Krautrock und Retro-Rock zwischen 60ger, 70ger Jahre und modernem Prog-Rock dahin wirrlichtert. Francis nimmts mit Verschmitztheit und einer mächtigen Stimme für ein eher elfenhaftes Wesen.
Das Publikum dankt es der Band, egal wo sie auftreten, sei es beim Hammer Of Doom Festival oder eben hier in Twistringen. Die inzwischen schon recht zahlreichen Zuschauer mochten sowohl die Musik als auch die Attitüde von Wucan. Ein voller Erfolg jedenfalls.
Damit begann das Abendprogramm und nach einer kleinen technikbedingten Verzögerung der erste Headliner Ten Years After!
Ten Years After haben bereits in Woodstock gespielt. Zwar in anderer Formation, aber immerhin. Da betreten also plötzlich 50 Jahre Musikgeschichte die Bühne und man ist unwilkürlich ergriffen. Und bleibt es auch erstmal.
Von der ursprünglichen Band sind noch Drummer Ric Lee und Keyboarder Chick Churchill übrig.
Bassist Colin Hodginson spielte bereits bei Alexis Korner, Whitesnake, Peter Maffay und der von ihm formierten Jazzrock Gruppe Back Door. Im Dezember 2013 löste er Leo Lyons bei Ten Years After ab. Macus Bonfanti ersetzt an Gitarre Mikrofon und Mundharmonika Alvin Lee, der 2013 verstarb und für eine kurze Zeit durch Joe Gooch ersetzt wurde. Neben Solo-Projekten und einem hervorragendem Ruf als Sessionmusiker spielte er bereits mit PP Arnold, Ginger Baker, Earl Thomas, Joe Louis Walker, Robbie Macintosh, Hamish Stuart, Mark Feltham, Eric Burdon und Buddy Whittington.Eine beeindruckende Liste.
Alle sind hervorragende Musiker und auch das übergreifende Bandgenie blitzt sicherlich während des Auftritts von Zeit zu Zeit auf. Allerdings …
Allerdings hat man manchmal den Eindruck Marcus Bonfanti wäre in einer Heavy Metal Formation besser aufgehoben. Allerdings befindet sich Keyboarder Chick Churchill zeitweise auf einem anderen Planeten oder zumindest in einer anderen Zeitzone. Allerdings ist ein ergriffenes und beeindrucktes Publikum nicht immer auch ein begeistertes.
Und so bleibt ein historischer und beeindruckender Moment. Ob es auch ein gutes Konzert war mögen professionelle Musikkritiker beurteilen. Ich hülle mich derweil in Ehrfurcht.
Und komme umgehend zur finalen Band des Abends, Vintage Trouble aus den USA. Rhythm'n Blues der modern ist ohne seine Historie zu vergessen, der stilsicher in Outfit und Bühnenpräsentation ist. Und ein Sänger, der eine kleine Stadt in Niedersachsen mit nach New Orleans nimmt, obwohl es inzwischen doch recht schattig geworden ist.
Sänger Ty Taylor, der die Band zusammen mit Gitarrist Nalle Colt gründete ist ein Showtalent, der so amerikanisch wie Football, Popcorn und der Ku-Klux-Klan ist. Seine Performance erinnert an eine Mischung aus Sammy Davis Junior und James Brown.
Dazu kommt hämmernder Rhythm & Blues der in die Beine und ins Becken geht und zu dem Ty Taylor, teils auch mit akrobatischen Einlagen, immer wieder zum Mitsingen animiert.
Was das Publikum auch, vom Sänger chorleitermäßig geleitet, ausgiebig tat. In diesem Fall kann ich nur dazu raten: Hört es euch selbst an.
Es lohnt sich. Und tut es live, die Jungs sind nämlich nicht nur gut zu hören, sondern auch ein echter Hingucker.