Das vierzehnte Türchen

Das vier­zehnte Türchen – Davids Weihnachtsgeschichte

Das vierzehnte Türchen
Das vier­zehnte Türchen

Heute gibt es eine weitere Weih­nachts­ge­schichte, die wir erzäh­lens­wert fanden. Die meisten von uns haben wahr­schein­lich in ihrer Kindheit an der einen oder anderen Auffüh­rung zu Weih­nachten, sei es in der Kirche, in der Schule oder zuhause, teil­ge­nommen. Und viel­leicht habt auch ihr euch nach dem Sinn der Geschichte oder zumindest eurer Rolle darin gefragt.

Davids Weih­nachts­ge­schichte

David, das ist der Name des Hirten­knaben aus der Bibel, der den Riesen Goliath mit seiner Stein­schleuder besiegte und später König wurde. Und David heißt der kleine Junge, von dem ich euch erzählen will.

Er war ein fröh­li­cher kleiner Junge mit braunen Augen, die wie zwei Kastanien glänzten. Und obgleich er wie David, der Hirten­knabe, tapfer war und sich zu wehren wusste, hatte er doch ein warmes Herz. Er half Menschen und Tieren, wo er konnte, ja er half sogar den Sträu­chern und Blumen, wenn er sah, dass sie dürsteten. Als er in die Schule kam, gefiel ihm zuerst das Still­sitzen nicht sehr, und er pflegte mit seinen Sandalen kleine klap­pernde Geräusche zu machen, so, als liefe er über Stock und Stein. Der Lehrer, der ihn gern mochte, ließ ihn gewähren, er hatte als kleiner Junge genau dasselbe Geräusch mit seinen Sandalen probiert.

Maria und Josef
Maria und Josef

Als Weih­nachten näher und näher rückte, bestürmten die Kinder ihren Lehrer um ein Weih­nachts­stück, das sie bei der Weih­nachts­feier spielen wollten.
„Warum nicht?“ sagte der Lehrer. „Wie wäre es mit der Weih­nachts­ge­schichte? Sie ist doch die schönste von allen Geschichten, und ihr kennt sie ja jetzt schon auswendig.“
Da umtanzten die Kinder ihren Lehrer vor Freude, und dann stürzten sie nach Hause, und es war keine Klei­nig­keit für sie, das Geheimnis zu bewahren. Denn ein Geheimnis sollte es bleiben bis zum Abend der Auffüh­rung, das hatten sie dem Lehrer versprochen.

Natürlich ist es gar nicht so einfach, in einem kleinen Dorf, in dem jeder den anderen kennt, ein Geheimnis zu bewahren, so sehr vertrauten die Dorf­be­wohner einander, dass sie sogar nachts nicht einmal die Haustüren abschlossen.
„Warum sollten wir das auch tun?“ sagten sie zuein­ander. „Unser Dorf liegt weit weg von der großen Land­straße und den lauten Städten, Reich­tümer gibt es bei uns sowieso nicht zu holen, wir müssen uns nicht vor Dieben fürchten.“ Und wirklich, trotz der unver­schlos­senen Haustüren geschah nie etwas Böses. Aber ich muss schon sagen, es war ein ganz beson­deres Dorf, und wenn ihr dort nicht wohnt, nehmt doch lieber den Schlüssel und schließt eure Türen ab!

Als es an das Verteilen der Rollen ging, da wollten natürlich alle Maria und Joseph spielen, manche auch die Heiligen Drei Könige aus dem Morgen­land oder die Hirten, die plötzlich den neuen, funkelnden Stern am Himmel entdeckten.
„Du bekommst die Rolle eines Herbergs­va­ters, der Maria und Joseph von seiner Tür weist“, sagte der Lehrer zu David. „Du bist groß für dein Alter und wirst es schon recht machen.“ David erschrak, wie sollte er einen Herbergs­vater spielen, der Maria und Joseph fortjagte, es war die aller­letzte Rolle, die er spielen wollte. Aber er war zu scheu, um den Lehrer um eine andere Rolle zu bitten, und schließ­lich war er, David, wirklich einer der größten der Klasse. So fügte er sich, wohl oder übel.

Dann begannen die Proben, und es war gar nicht so leicht, in das Gewand und Leben derje­nigen zu schlüpfen, deren Geschichte die Kinder so oft gehört, deren Bilder sie so viele Male in der Bibel betrachtet hatten. Sie selbst waren die Kinder des Zeit­al­ters der Autos und Flugzeuge, der Mond­ra­keten und Roboter, sie trugen „Blue Jeans“ und Pullover mit Roll­kragen und Reiß­ver­schluss. Ja, sogar in ihr kleines Dorf war die neue Zeit einge­zogen, auch wenn die Leute ihre Haustüren nicht abschlossen.

David erhielt das Gewand eines Herbergs­va­ters aus bibli­scher Zeit, das war aus Kartof­fel­sä­cken zusam­men­ge­schnei­dert und blau wie der blaueste Himmel einge­färbt. Das Gewand schlot­terte um seine Beine, und mehr als einmal verwi­ckelte er sich darin und fiel zu Boden. Am liebsten wäre er da liegen­ge­blieben, so elen­dig­lich kam er sich in seiner Rolle als der harte Herbergs­vater vor.

Alles ist überfüllt in Bethlehem“, hatte er zu sagen. „und für Leute wie euch gibt es sowieso keinen Platz in meiner Herberge. Macht, dass ihr weiter­kommt!“ Und damit hatte er die Tür zuzu­schlagen und mit einem knar­renden Geräusch den Schlüssel im Schloss zu drehen.

Weihnachtsfamilie
Weih­nachts­fa­milie

David spielte seine Rolle schlecht, dass der Lehrer nur so den Kopf schüt­telte. „Du bist doch sonst unter den Besten. Was ist dir nur über die Leber gekrochen? Es gehört doch nicht viel dazu, die zwei Sätze zu sprechen. Maria und Joseph müssen zehnmal soviel sagen, und sogar die Tiere – die Lämmer, die Ziegen, die Hunde und erst recht das Eselein – sprechen ja in der Heiligen Nacht, und mehr als du!“

David senkte seine Augen, die wie zwei Kastanien glänzten, und gab keine Antwort. Wie hätte er sonst dem Lehrer auch erklären können, dass dies die aller­letzte Rolle sei, die er spielen wolle, es fehlten ihm ganz einfach die Worte dazu.

Und so kam der Abend der Auffüh­rung, der Saal war voll von Menschen, sogar aus den Nach­bar­dör­fern waren sie gekommen. Vorne saßen der Pfarrer und der Lehrer, sie sahen sehr würdevoll aus, und dann ertönte ein Glöckchen als Klin­gel­zei­chen, und das Spiel begann.

David war einer der ersten, die an die Reihe kamen, schon gingen Maria und Joseph mit langsamen Schritten über die Bühne, auf deren Kulisse das biblische Bethlehem von Kinder­pin­seln gemalt war. Auch die Herberge war aufgemalt, aber in die hölzerne Kulisse war eine Tür eingebaut, die man öffnen und schließen konnte.

Hinter dieser geschlos­senen Tür stand David und zitterte am ganzen Körper. Schon machte es „poch, poch“ an der Tür. Draußen rief eine Stimme: „Lasst uns ein und gebt uns ein Obdach, wenigs­tens für diese eine Nacht. Ich bin der Zimmer­mann Joseph, und mit mir ist Maria, meine Frau, die ein Kindlein haben soll. Um Gottes Willen, lasst uns ein!“ So flehend klang diese Stimme, dass sie hätte einen Stein erweichen müssen.

Viel­leicht war es der Klang der Sätze, die David vollends verwirrten. Für ihn war dies plötzlich kein Spiel mehr, sondern er stand in der Mitte eines wunder­baren Geschehens.
Weit riss der die Tür der Herberge auf, streckte seine Hände aus und rief:

Kommt herein, oh kommt herein, wie könnte es für euch in meiner Herberge keinen Platz geben!“ Sein Gesicht leuchtete, und er hatte plötzlich alle Scheu verloren. Er nahm Joseph seinen hohen Wander­stab und sein Bündel ab und fügte, halb wie im Traum. hinzu: „In unserem Dorf sind immer alle Türen offen, Tag und Nacht sind sie offen.“ Und damit führte er Maria und Joseph in seine Herberge.

Weihnachtskrippe
Weih­nachts­krippe

Eine große Stille legte sich über den Saal, die Stille der Heiligen Nacht. Und diese Stille hielt mindes­tens eine Weile an. Erst dann stand der Lehrer von seinem Platz auf, um die Dinge wieder einzu­renken, so dass das Spiel seinen Fortgang nehmen konnte. Das war weniger schwierig, als ihr denkt, Maria und Joseph erschienen ganz einfach wieder auf der Bühne, und Joseph sagte etwas stockend den Satz, den ihm der Lehrer rasch zurecht­ge­zim­mert hatte:
„Das war ein guter Herbergs­vater, aber er konnte uns beim aller­besten Willen nicht helfen“, und dann nahm das Spiel unge­hin­dert seinen Lauf.

David aber stand hinter der Bühne, noch ganz benommen von dem, was ihm geschehen war. Er fürchtete sich vor keinem Tadel und keiner Strafe, er hatte etwas gutzu­ma­chen versucht, das seit Wochen mit Zent­ner­last auf ihm gelegen hatte. Viel­leicht hatte er sogar sehr viel mehr getan und unge­zählten anderen Menschen die Tür zur Heiligen Nacht geöffnet und die Weih­nachts­kerzen in ihren Herzen ange­zündet. In seinem eigenen Herzen jeden­falls brannten sie lichterloh.


Weih­nachts­ka­lender 2015

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