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Thea­ter­pro­jekt wird zum Publikumserfolg

Der 11. Juli 2021 – an diesem Tag entschied sich so vieles. Und in diesem Falle reden wir nicht vom Fußball-Endspiel, sondern über 3 Jahre harter Arbeit. Soviel Zeit war vergangen, seit auf dem Wohnungs­lo­sen­treffen 2018 in Freistatt ein Thea­ter­work­shop gegründet worden ist. Das Ziel war eine Herku­les­auf­gabe, denn es sollte ein Thea­ter­stück mit aktuell bzw. ehema­ligen wohnungs­losen Menschen als Schau­spieler entstehen, das auch vor Publikum gespielt werden sollte. Das größte Problem bestand darin, dass die Akteure im ganzen Land verteilt leben. Aber die meisten von ihnen sind seit etwa zwei Jahren im Verein Selbst­ver­tre­tung Wohnungs­loser Menschen e. V. orga­ni­siert, der sich für eine bessere Vernet­zung und Vertre­tung obdach- und wohnungs­loser – aber auch ehemals wohnungs­loser – Menschen einsetzt.

Dennoch wollten sie auf den Brettern der Welt spielen, und vor allem wollte Pia Ringhoff das. Die Thea­ter­päd­agogin der Thea­ter­werk­statt Bethel in Bielefeld stellte sich der Aufgabe. Treffen vor Ort waren nicht immer möglich, aber wenn, dann wurde auch richtig „range­klotzt“. Insgesamt 16 werdende Darsteller galt es, zu dem Stück „Seitdem ich denken kann, habe ich ein gebro­chenes Herz“ zu vereinen. 16 Akteure, die sich von Herzog­säg­mühle im Süden, über Leipzig und Berlin bis nach Edewecht im Norden verteilen.

Und es gelang: Am besagten 11. Juli war die OpenAir Première in Hannover. Auf der Auto­bahn­brücke hinter dem Haupt­bahnhof Richtung Lister Meile war die Bühne bereit­ge­stellt und auch das Publikum nahm den Aufwand gerne auf sich, diesen steilen Weg nach oben zu dieser nicht alltäg­li­chen Vorstel­lung zu gehen. Und das Bild hatte insgesamt etwas Sinn­bild­li­ches: Wohnungs­lose standen im Rampen­licht, und zwar AUF – und nicht „unter der Brücke“. Die Location war damit wie gemacht für das Thema.

Zu sehen bekamen die Zuschauer ein Potpourri aus Kurz­stü­cken, die inhalt­lich allesamt mit den Problemen jener zu tun haben, die akut von der Wohnungs­lo­sig­keit betroffen sind. Die Palette reichte hier von den Problemen mit der Büro­kratie bis hin zu den Schwie­rig­keiten, nach einer Haft­strafe um den Erhalt der vorhe­rigen Wohnung zu kämpfen. Das Publikum erlebte, wie leicht es ist, durch Tren­nungen, Kündi­gungen, Gewalt­taten oder Krank­heiten in die soziale Schief­lage zu geraten.

Die Schau­spieler spielten quasi sich selbst, und sie spielten das sehr gut. Authen­tisch, drama­tisch perfekt. Und das Stück zeigte nicht nur die Lauf­bahnen auf, die Menschen in Armut oft durch­ma­chen. Zu sehen war auch, dass es sich lohnt, Hinder­nissen die mindes­tens „Gelbe Karte“ zu zeigen, in dem man die Arbeiten von Behörden mal genauer filzt, oder wenn Menschen, die eine WG gründen wollen, auch jemanden bei sich aufnehmen, der aktuell ohne eigenes Obdach lebt. Denn das wurde allen Zuschauern vor Ort klar: Armut und drohende Wohnungs­lo­sig­keit betrifft nicht nur jene, die davon akut betroffen sind.

Corona hat unser Leben jetzt noch kompli­zierter gemacht, aber das Thea­ter­pro­jekt hat aufge­zeigt, dass ein Mitein­ander jetzt erst recht nur mitein­ander funk­tio­niert. Es ist Pia Ringhoff und ihrem Team zu wünschen, den Menschen weiterhin auf diese Weise die Augen zu öffnen. Noch mehr ist dem Thea­ter­pro­jekt zu wünschen, dass Stücke mit diesen Inhalten Geschichten erzählen, die irgend­wann einmal der Vergan­gen­heit angehören.