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Will­kommen im Camp – Dortmund zeigt seine Gastfreundschaft

Ja, einer­seits …

… galt diese Woche in Dortmund der Satz:

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Willkommen im Camp!

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Dortmund Ende Januar | Anfang Februar 2023. Tempe­ra­turen meist etwas über dem Gefrier­punkt an der Kamp­straße, am Ende des Treppen-Zugangs vom Haupt­bahnhof zur Einkaufs­meile am Osten- und Westen­hellweg in der Dort­munder Innenstadt.

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Geschäf­tiges Treiben dort, besonders am Samstag,

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Das Ruhr­ge­biet geht einkaufen.

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Ein Teil seiner Bevöl­ke­rung zumindest.

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Menschen, die noch Geld von der Infla­ti­ons­welle übrig haben.

Besser­ver­die­nende?!

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Schlafen statt Strafen - Dortmund, Kampstraße - 28.01.2023 - Auftakt-Kundgebung
Schlafen statt Strafen – Dortmund, Kamp­straße – 28.01.2023 – Auftakt-Kundgebung

Einige ärmere Menschen haben sich mit der Bürger:innen-Initiative „Schlafen statt Strafen“ zusam­men­getan, um eine Woche lang mit einem Protest­camp aufmerksam zu machen:

  • Auf obdach­lose Menschen.
  • In praktisch allen Städten des reichen Deutschlands.
  • Auch im Ruhr­ge­biet.
  • Auch in Dortmund.
  • Und auf ihre zuneh­mende Verdrän­gung aus den Innen­städten.

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… ande­rer­seits hat auch Dortmund ein Problem?

Wie in vielen Städten Deutsch­lands kommt es offenbar auch in Dortmund „in Mode“, das Stadtbild nach­haltig zu verschö­nern, für eine „sauberere“ Innen­stadt, für ein „sorgen­freieres Einkaufs­er­lebnis“ – ohne ständig an die Armut anderer Menschen erinnert zu werden? – hin zu einem genuss­vol­leren Konsum­er­lebnis.

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Der konsu­mie­rende Mensch ist dabei heut­zu­tage offenbar lieber unter sich, also unter seines­glei­chen. Menschen ohne über­flüs­siges Geld mögen sich doch bitte in die billigen Einkaufs­zen­tren der Vororte zurückziehen.

Das hat jetzt offenbar auch die Einzel­händ­ler­ver­ei­ni­gung „Cityring“ Dortmund erkannt, sie möchte künftig einen privaten Wach­dienst enga­gieren (unter­halten, oder gar gründen?), der nicht erwünschte Menschen aus der Innen­stadt vergrämt, verweist und wohl am besten ganz heraushält.

Obdach­lose Menschen stören wohl beim „entspannten Konsu­mieren“, nur so könnten wir uns diese Entwick­lung erklären.

Aber wir fragen uns auch: „Wem gehört die Stadt?“ – wer hat ein Recht, sich in einer Innen­stadt aufzu­halten? Zu welchen Zwecken? Zu welchen Zeiten?

Und: Wer darf Menschen unter welchen Vorwänden oder nach welchen Regeln aus einem Stadt­be­zirk hinausweisen?

Schlafen statt Strafen - Dortmund, Kampstraße - 28.01.2023 - Auftakt-Kundgebung 02
Schlafen statt Strafen – Dortmund, Kamp­straße – 28.01.2023 – Auftakt-Kund­ge­bung 02 

Die Bürger:innen-Initiative „Schlafen statt Strafen“ mit ihren obdach- oder wohnungs­losen mitstrei­tenden Menschen im Protest­camp und mit ihren aktiven „Normal-Bürger:innen“ hätte darüber gerne mit Verant­wort­li­chen von der Stadt Dortmund und vom „Cityring“ diskutiert.

Diese Diskus­sion konnte bisher leider nicht statt­finden, die Verant­wort­li­chen von Stadt und Kauf­mann­schaft zeigten – unserer Kenntnis von Donnerstag Mittag nach – bisher kein Interesse daran.

Das finden wir schade.

Aber viel­leicht entschließt sich ja doch noch ein verant­wort­li­cher „verwal­tender“ Mensch dazu, sich einer Diskus­sion mit „betrof­fenen“ Menschen und der Bürger:innen-Initiative zu stellen und beim Protest­camp vorbei­zu­schauen? – bis Sonntag Mittag hätte sie / er noch dazu Zeit.

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Gibt es ein „Will­kommen im Camp“?

Ja, teilweise können wir aus unseren Erfah­rungen und unseren Kontakten mit der Abordnung der Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e. V. in Dortmund sagen:

Es gibt Menschen in Dortmund, die den Problemen Obdach­loser nach­denk­lich, aufge­schlossen und manchmal auch tatkräftig (nach dem Motto „Wir müssen mehr dagegen tun in unserer Gesell­schaft!“) gegenüber stehen. Die sich Sorgen um unsere Demo­kratie machen, die mit der wach­senden „Schere zwischen Arm und Reich“ Schaden zu nehmen droht.

Es gibt Menschen in Dortmund, die bereit sind mit Sach- und Geld­spenden auszu­helfen, zumindest dabei helfen, die größte aktuelle Not etwas erträg­li­cher zu machen.

Schlafen statt Strafen - Dortmund, Kampstraße - 28.01.2023 - Hilfsangebote 04
Schlafen statt Strafen – Dortmund, Kamp­straße – 28.01.2023 – Hilfs­an­ge­bote 04
  • Das ändert aber nichts daran, dass das Leben auf der Straße eine große Zumutung ist.
  • Dass längeres Leben auf der Straße das Leben eines jeden Menschen verkürzt.
  • Dass die „ordnungs­recht­liche Unter­brin­gung“ in einer Massen­un­ter­kunft keine wirkliche Verbes­se­rung im Vergleich zur „nackten“ Obdach­lo­sig­keit darstellt. 
  • Dass das „Recht auf eine eigene Wohnung“ ins Grund­ge­setz gehört.
  • Das beinhaltet damit nämlich auch das Recht auf eine Privat­sphäre, ein bedin­gungs­loses Recht, sich in seine eigene Wohnung zurückzuziehen.
  • Wie wichtig es ist, das Gruppen wie die Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e. V. sich als obdach- und wohnungs­lose Menschen sich selbst zu Wort melden, zum Beispiel mit ihren Posi­ti­ons­pa­pieren, in denen sie ihre Vorschläge und Wünsche äußern, um ihre prekäre Situation erträg­li­cher zu machen.

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Wo stehen wir?

Im Deutsch­land der Nach­kriegs­zeit wurde die „Soziale Markt­wirt­schaft“ erfunden, die einer immer breiter werdenden Schicht der Bevöl­ke­rung zumindest eine gewisse Teilhabe am wach­senden Reichtum zusicherte.

Wir sind uns nicht ganz einig, wann dieses ja im Grunde recht demo­kra­ti­sche Modell aus der Mode gekommen ist.

Die Agenda 2010 mit Einfüh­rung des „ALG II“, „HARTZ IV“ und dem Aufblühen von prekären „Arbeits­plätzen“ (die mit Minder-Löhnen – trotz Voll­zeit­tä­tig­keit – zur Zahlung eines ange­mes­senen Lebens­un­ter­halts nicht taugten) ist sicher ein negativer Meilen­stein dabei gewesen.
Danke, Gerhard und Joschka.

Beim Bürger­geld (das sich dann doch nur als „HARTZ FÜNF“ einzig mit teil­weisem Infla­ti­ons­aus­gleich entpuppt?) steht ja wohl noch eine Über­ar­bei­tung der Regel­sätze an.

Schlafen statt Strafen - Dortmund, Kampstraße - 28.01.2023 - Das Rundumpaket
Schlafen statt Strafen – Dortmund, Kamp­straße – 28.01.2023 – Das Rundumpaket

Wir sind gespannt, wie die in Zukunft definiert und berechnet werden sollen. Der Bevöl­ke­rungs­an­teil, der in Zukunft auf Bürger­geld ange­wiesen sein wird, dürfte mit den gebur­ten­starken Jahr­gängen kurz vor dem Renten­alter noch deutlich anwachsen.

Eine Erin­ne­rung an unsere Parteien: Schon heute machen Rentner:innen einen Großteil eurer Wähler:innen aus!

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Wohin sollten wir gehen?

Zurück zur Situation obdach‑, wohnungs­loser und generell armer Menschen in Deutschland:

Das EU-Ziel, Wohnungs­lo­sig­keit bis 2030 abzu­schaffen (als Teil des Akti­ons­plans zur euro­päi­schen Säule sozialer Rechte (… EN-Version) wird jeden­falls kein „Selbst­läufer“ sein. Da müssen wir von allen unseren Politiker:innen Aktionen fordern, die eben nicht im Ausgrenzen und Wegsperren von „unlieb­samen“ Gruppen bestehen können.

  • Housing First (wie es z. Bsp. in Finnland umgesetzt wird)
  • enga­gierte – aber sich nicht aufdrän­gende – aufsu­chende und präven­tive Sozialhilfe
  • sozi­al­ver­träg­liche Regelung des Mieten­marktes
    (das darf definitiv kein Feld für profit­ma­xi­mie­rende DAX-Konzerne sein!)
  • Digitale Teilhabe für ALLE Bürger:innen
    (egal ob reich oder arm, ob in der Stadt oder auf dem Lande – oder obdachlos)
  • ange­mes­sene Besteue­rung von allen Bürger:innen und allen Unter­nehmen – jede:r muss ihren / seinen gerechten Teil zum Erhalt der Infra­struktur leisten
  • … bitte um eigene gute Ideen ergänzen und zu Händen Olaf Scholz verschicken!

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Was gibt es noch zu tun?

Hier also mein persön­li­ches Resümee meiner Erleb­nisse bei meiner Betei­li­gung am Protest­camp „Schlafen statt Strafen“:

Ende Januar kann es auch ohne Frost verdammt kalt sein auf der Straße.

Stun­den­lang in der Kälte auszu­harren ist kein schöner Zeit­ver­treib und es knabbert an der Gesund­heit. (… zuerst nur zerplatzte, kaputte Lippen, schädigt es dann den Körper immer mehr. Die psychi­sche Belastung dabei ist auch nicht zu unter­schätzen – vor allem, wenn die Situation aufge­zwungen ist, es also keine sport­liche Aktion zur Selbst­er­for­schung darstellt.)

Wer meint, dass obdach- und wohnungs­lose Menschen doch selbst an ihrer viel zu oft mise­ra­blen Lage Schuld seien, sollte einmal überlegen, wie es immer leichter wird, selbst als Normalo-Bürger:in in diese Lage zu kommen.

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Häufige Gründe für Wohnungs­ver­lust in Deutschland

Statis­tiken von Einrich­tungen der Wohnungs­lo­sen­hilfe (WLH) und ihrer Bundes­Ar­beits­Ge­mein­schaft WLH (BAG W) liefern dazu inter­es­sante Denkanstöße:

  • Scheidung einer vorher „normal funk­tio­nie­renden“ Familie
  • Du kommst nach einem halben Jahr aus dem Gefängnis frei!
    (Sorry, deine Wohnung ist dann praktisch immer weg!)
  • Du bist ernsthaft erkrankt, verlierst deinen Job, dann dein Konto
    … zuletzt und heut­zu­tage immer schneller auch deine Wohnung!
  • Du hast dich selb­ständig gemacht, dein Geschäfts­mo­dell war aber finan­ziell ein Reinfall …
  • In Infla­ti­ons­zeiten: Strom­sperren und nicht zahlbare Neben­kos­ten­nach­for­de­rungen können schnell proble­ma­tisch werden
Aktion Mietenstopp -Hand-Icon

Und schon klingt ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen (BGE) – das aber so hoch sein sollte, dass jeder Mensch, allein auf Grund der ihm zuge­si­cherten Menschen­würde, auch genug Geld zur Verfügung haben muss, damit er sich an gesell­schaft­li­chen Akti­vi­täten ange­messen betei­ligen kann, davon also nicht ausge­grenzt wird.

Zum Nach­denken über ein BGE für alle möchten ich deshalb Olaf Scholz, Christian Lindner und viel­leicht auch Friedrich Merz zurufen: Bürger­geld („HARTZ FÜNF“?) mit jetzt 502,- Euro im Monat kann das absehbar nicht leisten!

(Posi­ti­ons­pa­piere und Fakten­flyer gibt es bei der Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e. V.)

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Ich bin jeden­falls überzeugt, dass unsere Gesell­schaft in Deutsch­land und auch in der EU mehr für die ärmeren Menschen tun muss. Die Über­le­gungen der EU (EN-Version) erscheinen mir ja schon einmal ein Anfang zu sein.

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Wann besuchen Sie Ihre Poli­ti­kerin oder Ihren Politiker Ihres Vertrauens / Ihrer Partei, um mit ihr oder mit ihm einmal über diesen doch ziemlich wichtigen Themen­be­reich Sozialer Teilhabe für alle Menschen, für alle Büger:innen und alle Wähler:innen zu diskutieren?

Tun Sie das doch einfach einmal im Vorfeld der nächsten Wahl oder bei einem extra verein­barten Gespräch!

Gelebte Demo­kratie kann so einfach sein?! – jeden­falls sollten wir sie gemeinsam vertei­digen, denke ich.