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Akti­ons­bündnis lädt zum Wahlkampf ein

Rein theo­re­tisch könnten wir die Sache von außen betrachtet ganz entspannt verfolgen. Denn – so werden Sie beim Lesen denken, was haben wir hier auf nieder­säch­si­schem Boden mit der Bürger­schafts­wahl in Bremen zu tun? Richtig ist, dass wir, die weder in Bremen noch in Bremer­haven zu Hause sind, natürlich  keine Kreuze machen dürfen, wenn die Politiker im kleinsten Bundes­land am 14. Mai zur Wahl stehen. Aber jede Wahl in einem unserer 16 Bundes­länder ist zum einen rich­tungs­wei­send für die Besetzung des Bundes­rates. Zum anderen bezeichnen Politiker partei­über­grei­fend jede Land­tags­wahl als aktuellen Stimmungstest.

35,9%, so viele Menschen entschlossen sich 2019 sowohl in Bremen als auch in Bremer­haven, nicht zur Wahl zu gehen. Mitt­ler­weile haben auch die Regie­renden sowohl im Bund aber vor allem auf Landes­ebene erkannt, dass sie um jeden einzelnen Wähler kämpfen müssen. Um bei der kommenden Abstim­mung an Muttertag nicht wieder den Nicht­wäh­lern prozen­tual die Mehrheit einzu­räumen, nahmen fünf Kandi­daten von den fünf demo­kra­tisch geführten Parteien eine Einladung von unserem vertrauten Akti­ons­bündnis „Menschen­recht auf Wohnen“ an, und gingen im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen auf Kreuzchen-Jagd.

Falk Wagner (SPD-Vorsit­zender im Bezirk Bremen-Walle), Michael Jonitz (CDU-Vorsit­zender im Bremer Stadt­be­zirks­ver­band), Thore Schäck (FDP-Spit­zen­kan­didat), Solveig Eschen (Spre­cherin der GRÜNEN u.a. für Stadt- und Bauent­wick­lung) sowie Ralf Schumann (Sprecher der LINKEN für Bauen, Wohnen und Stadt­ent­wick­lung). Der Raum war gut gefüllt, um die hart­nä­ckigen Themen wie Besei­ti­gung von Wohnungs­lo­sig­keit, Beschaf­fung von Sozi­al­woh­nungen sowie bezahl­baren Wohnraum mit Betrof­fenen Bürgern zu diskutieren.

Alle fünf Partei­ver­tre­te­ende sind sich dem aktuellen Ernst der Lage bewusst: Die derzei­tige Inflation treiben die Kosten von Energie, Mieten und Lebens­hal­tung in schwin­del­erre­gende Höhen. Die Löhne werden in den seltensten Fällen angepasst. Mitt­ler­weile werden Menschen in die Armuts­falle gerissen, die vor knapp einem Jahr beden­kenlos nach dem Tun ihrer sozi­al­leis­tungs­ver­pflich­tenden Tätigkeit in den Feier­abend gegangen sind. Doch wer schon vor der Konjunk­tur­krise arm war und auf staat­liche Leis­tungen ange­wiesen war, der hat jetzt richtige Probleme. Viele, die ihr monat­li­ches Auskommen nach SGB-II erhalten haben, bekommen mit der „revo­lu­tio­nären“ Idee des Bürger­geldes eine Finan­zie­rung für eine würde­volle Existenz überhaupt nicht realisiert.

Im Land Bremen sieht die Situation  erst recht bedroh­lich aus. Rund 50 % der Haushalte in beiden Städten hätten ohne amtliche Hilfe überhaupt kein Geld. Jedes zweite Kind in Bremen und Bremer­haven  lebt in Familien, die weniger als das Exis­tenz­mi­nimum zur Verfügung haben. Die Vermu­tungen liegen nahe, dass unter diesem Perso­nen­kreis auch ein Großteil derer vertreten ist, die sich vor vier Jahren nicht an der Wahl beteiligt haben. Polit­ver­dros­sen­heit oder Polit­frust? Sollte dem so sein, so war der Auftritt der Wahl­kämpfer am Montag im Bremer Konsul-Hackfeldt-Haus mehr als berech­tigt. Denn wie ein Geld­beutel befüllt oder nicht befüllt ist – bei jedem handelt es sich um geleich­be­rech­tigte Wähler.

Am Anfang durfte jede Kandidat und jeder Kandidat 5 Minuten Wahlkampf betreiben, und was sich die Partei überlegt hat, wie sie in der kommenden Legis­la­tur­pe­riode die Armut bekämpfen will. Die Heran­ge­hens­weisen unter­scheiden sich, erstaun­lich war, dass alle Vertreter – anders als es in anderen Bundes­län­dern – das Model Housing First stärker mit einbringen wollen.

Im Vergleich zu den übrigen 15 Bundes­län­dern ist diese ameri­ka­ni­sche Erfindung, die in Finnland als Staats­auf­gabe konse­quent und mit Erfolg umgesetzt wurde, ist Housing First in Bremen richtig gut orga­ni­siert. Selbige waren ebenfalls zahlreich vor Ort, u.a durch den Geschäfts­führer Moritz Murras sowie der Projekt­ko­or­di­na­torin Anne Blankemeyer.

Nach einer gemein­samen Unter­hal­tung ging es zu entspre­chenden Gesprächs­ti­schen. Einzelne Mode­ra­toren boten Schwer­punkte an, die gemeinsam mit kleineren Gruppen disku­tiert wurden. Hier ging es u.a. um das Ziel „EU-Wohnungs­lo­sig­keit bis 2030 abschaffen“, um einen Mieten­stopp, um die allge­meine Besei­ti­gung der Wohnungsnot oder um die effi­zi­ente Nutzung von Leer­ste­henden Wohnungen. Vorgaben hatten die „Tisch­gast­geber“ durch Puzzle­teile, auf denen zu den jewei­ligen Diskus­si­ons­themen Posi­ti­ons­punkte angegeben waren, die aber auch durch die Disku­tie­renden um weitere Punkte ergänzt werden konnten.

Politiker:innen im Land Bremen, die aktuell auf Stim­men­fang sind, wagen den Versuch, sich mit Menschen, die um ihre tägliche Existenz kämpfen, auf Augenhöhe über ihre Probleme zu disku­tieren. Das ist sicher­lich genauso richtig wie notwendig. Ein Fazit bleibt, wie es tref­fender nicht hätte kommen könne, von Thore Schäck: Der FDP-Spit­zen­kan­didat bemerkte, dass es bei der zukünf­tigen Bekämp­fung von Armut und Wohnungsnot nicht „das Thema“ geben werde – es gelte dabei, viele Teil­pro­bleme zu lösen.

Aktuell sind Hand­lungen zwin­gender denn je. Es braucht erhöhten Schutz der jetzigen Mieter, es braucht sozialen Wohnungsbau, es braucht bezahl­baren Wohnraum, und es braucht mehr Geld zur sozialen Teilhabe, um nicht noch mehr Unter­nehmen und Menschen in Bedrängnis zu bringen. 2030 soll es laut den Vereinten Nationen, der Euro­päi­schen Union und der Bundes­re­gie­rung keine Wohnungs­lo­sig­keit mehr geben. Wie sehr man nach der Bürger­schafts­wahl in Bremen und Bremer­haven diesem Ziel näher kommen wird? Die Uhr dazu beginnt ab dem 15. Mai – nach der Wahl für die neue Bremer Bürger­schaft – neu zu laufen.