Header: Wohnungslosentreffen Freistatt 2018 - Mittwoch, 25. Juli - Buchtitel Ohne Obdach

Wohnungs­lo­sen­treffen Freistatt 2018
Mittwoch, 25. Juli (der 4. Tag)

Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des Leben­digen Wassers umsonst

(Offen­ba­rung 21, 6)

Auch dieses Jahr war Pastorin Johanna Will-Armstrong vom Vorstand der von Bodel­schwingh­schen Stif­tungen Bethel nun schon zum dritten mal beim Wohnungs­lo­sen­treffen zu Gast, um in ihrem Workshop Bibel­ar­beit zur Jahres­lo­sung 2018 anzubieten.

Zusammen mit 12 Teil­neh­menden brachte Pastorin Will-Armstrong nach einer kurzen Kennen­lern­runde Gedanken zur Losung vor, für die sie dieses Jahr eher Zustim­mung empfände (im Gegensatz zu anderen Losungen, die manchmal auf den ersten Blick wider­sprüch­li­cher erschienen waren). Das Thema beziehe sich offenbar auf Wasser für Durstige, für uns Menschen. Die Bedeutung von Durs­tig­keit habe sie besonders auf Reisen in einige Gebiete Südafrikas erlebt, in Townships mit Zapf­stellen, an denen sich Landlose Flücht­linge Wasser holen konnten.Im Gegensatz zur recht leichten Verfüg­bar­keit von Wasser hier­zu­lande gebe es in vielen Ländern Kampf und Streit um Wasser. Oft sei ein Durst nach Leben und Gerech­tig­keit spürbar bei gleich­zeitig spürbar wach­senden Span­nungen in der jewei­ligen Gesellschaft.

Aber auch hier­zu­lande sei eine zuneh­mende Verän­de­rung von bisher als "feste Welt­bilder" ange­se­henen Verhält­nisssen spürbar – eine Welt im Umbruch, die aus den Fugen geraten sei. Als Beispiel führte sie die anfäng­liche Will­kom­mens­kultur der Flücht­linge aus Syrien an, die heute eher zu einer Angst vor Flücht­lingen geworden sei, einer Frem­den­angst? Auch um ca. 100 nach Christi habe es eine Umbruchs­zeit gegeben, einen ausge­prägten Herr­scher­kult, unter dem das Leben für Christen eine Grat­wan­de­rung zwischen Anpassung und Gemein­de­leben war.

Etwa alle 20 Sekunden sterbe heute ein Kind auf unserer einen Welt aus Wassermangel.

Damit kam sie zu Brun­nen­ge­schichten aus der Bibel.

  • Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
    Psalm 23 der Lutherbibel
  • Menschen sehnen sich nach Wasser, nach dem Stillen von Durst
  • Gott spült alles Leid weg
  • Alles erar­beiten oder bezahlen müssen in der Konsumgesellschaft
  • Nichts ist umsonst zu haben!
  • Gratis – aus Gnade
  • Umsonst: Nicht zu verdienen, sondern umsonst von Gott geschenkt bekommen

Danach folgte dann noch eine Diskus­si­ons­runde, in der die Teil­neh­menden weitere Gedanken zur Jahres­lo­sung vorbrachten:

  • Was gibt es umsonst?
    Luft, Sonne, Wasser? … schon nicht mehr!
  • Grund­be­dürf­nisse aller Menschen, wie Wasser, Essen
  • Die Kraft des Wassers
  • Lokale Unter­schiede Weltweit:
    – In Deutsch­land eher im Überfluss bis auf kürzere Trocken­zeiten im Jahr
    – In trockenen Gebieten sieht das schon ganz anders aus: Mit kilo­me­ter­weiten Wegen zur Wasser­quelle, Begren­zung der Menge des Wassers für arme Menschen …
  • Ambi­va­lenz des Wassers: Rein­wa­schen und Verschlingen in den Fluten
  • Umsonst: Die wichtigen Dinge im Leben:
    – Ein Partner, der einen liebt
    – Freundschaft
    – Gesund­heit? … die oft nicht wirklich zu beein­flussen ist
  • Streit um Wasser
    – In Deutsch­land, Europa eher nur ein abstraktes Thema in den Medien
    – Oder beim Wasser abstellen bei verarmten Menschen
    – Probleme sind aber auch bei verbre­che­ri­schen Vermie­tern möglich
  • Wasser­ver­sor­gung von Menschen, die in Deutsch­land unterwegs sind?
    – Kann ein Problem sein, wenn öffent­liche sanitäre Anlagen fehlen
    – Nur in verein­zelten Orten oder Städten gibt es frei zugäng­liche Trinkwasserspender
  • Freier Zugang zu Wasser?
    – Sollte ein Grund­recht sein!
    – Quelle: Es sollte mehr als ein Glas voll sein
  • Grenzen der welt­weiten Ressourcen allgemein: Wasser, Öl, Kohle und Erze
    … unser Umgang und Ausbeu­tung damit, sorgloser Verbrauch, oft verbunden mit Umweltverschmutzung
  • Leben­diges Wasser als reli­giöses Thema – Hoffnung für die Welt
  • Frage nach einer Botschaft für das Wohnungs­lo­sen­treffen?
  • Frage nach dem Besitz­recht an Quellen, oft in privaten Besitz
  • Weltweite Wasser­pro­bleme
    – Vertei­lung, Verschmut­zung, Aufbe­rei­tung, Ausverkauf, …
  • Gemein­same Ressourcen: Ein sorg­fäl­tiger Umgang damit wäre nötig!

 


Ohne Obdach – Leben auf der Straße“

Zum Auftakt des 4. Tages, direkt nach dem tradi­tio­nellen Plenum, fanden sich Inter­es­sierte zu einer Lesung von Matthias Albrecht aus Bran­den­burg ein. Der evan­ge­li­sche Theologe und Seel­sorger des Hauses Lazarus in Berlin sorgte 2016 als Buchautor für Aufmerk­sam­keit. In dem Buch „Ohne Obdach – Leben auf der Straße“ beschreibt seine Erkennt­nisse und Erfah­rungen, die er frei­willig als Wohnungs­loser gemacht hatte.

Matthias Albrecht liest einige seiner Kapitel aus dem Buch „Ohne Obach“ vor
Matthias Albrecht liest einige seiner Kapitel aus dem Buch „Ohne Obach“ vor

Vor Beginn der Lesung erklärte der Pastor, dass er sich für diesen Schritt für seine zukünf­tige Tätigkeit in der Fürsorge entschieden hatte, und dieses Selbst­ex­pe­ri­ment als Praktikum nutzte. Des weiteren erwähnte Albrecht, dass es zwar um seine Erfah­rungen ginge, aber nicht um ihn selbst. Aus diesem Grund wählte der Autor auch den Namen Matthias Unterwegs als Pseudonym. Seinen Versuch testete er zunächst 4 Wochen in Frank­reich, danach 4 weitere Wochen in Deutschland.

Danach lass er aus einigen Kapiteln seines Buches, und einige Zuhörer fanden sich schnell in die Geschichte ein, weil sie viele der Geschichten am eigenen Leib zu spüren bekamen, und teilweise noch zu spüren bekommen. Sei es von den Schwie­rig­keiten, sich bei Kälte einen warmen Platz zu suchen, oder das Erlernen des Bettelns, um sich von diesem Geld ein Busticket leisten zu können, um damit in einen Ort zu gelangen, um an eine ausrei­chend warme Schlaf­stelle zu gelangen. Albrecht berichtet auch über die Kränkung darüber, über das Musi­zieren mit der Mund­har­mo­nika etwas Geld zu erhalten, dass Menschen einfach an ihm vorbei­laufen ohne ihn zu beachten. Er führt weiter aus, das die Passanten mitunter kein Geld spendeten, sei weniger ernied­ri­gend als die Gleich­gül­tig­keit einiger.

Die Erfahrungen und Erlebnisse von Matthias Albrecht au der Straße
Die Erfah­rungen und Erleb­nisse von Matthias Albrecht au der Straße

Diese Erfah­rungen aus Alby, einer kleinen Stadt in der Nähe von Toulouse, erwei­terte er dann mit Erkennt­nissen hier­zu­lande u. a. in Bayreuth. Albrecht war erschro­cken darüber, wie die Wagner-Stadt ihr Image rettet, und dafür sorgt, das Menschen am Rande der Gesell­schaft auch genau dort bleiben, um sie nicht am Stadt­leben teil­nehmen zu lassen. So gleicht die Einrich­tung, die sich ebenfalls weit entfernt vom Stadtkern b

efindet, einem Gefängnis, da man, selbst wenn man es  möchte, den Schlaf­platz erst am nächsten Tag wieder verlassen kann, da diese über Nacht verschlossen bleibt. Die Touristen und Musik­freunde der schönen Künste bekommen so auf diese Weise nicht mit, das es auch in Bayreuth Einwohner geht, denen es nicht ganz so gut geht.

Im Anschluss an die Lesung ging es mit einem Gespräch zwischen dem Autor und den Zuhörern weiter. Dabei erzählten die Anwe­senden, inwieweit sie die Erfah­rungen selbst schon mitge­macht haben. Unter dem Strich bliebe die Frage, ob nicht mehr "normale Bürger" den Versuch eines Selbst­tests wagen sollten. Nicht weil wir es ihnen gönnen, sondern, weil es das Verständnis für die Probleme, die die Armut mit sich bringt, erhöht. Dadurch werden sicher­lich einige Klischees neu überdacht, und es erhöht die Chance, das die Schere zwischen Arm und Reich kleiner wird. Zumindest die moralische.

 


Arbeits­treffen des Armutsnetzwerkes

Das Armuts­netz­werk e. V. stellte am Mittwoch Nach­mittag seine bishe­rigen Leis­tungen vor. Michael Stiefel begann die Präsen­ta­tion mit der Frage "Welche Vernet­zungs­or­ga­ni­sa­tionen gibt es, und welche Möglich­keiten ergaben und ergeben sich damit für Wohnungs­lose. Das Armuts­netz­werk selbst wurde 2012 gegründet. Norbert Brandt, der ebenso wie Michael Stiefel zum Vertre­tungs­be­rech­tigten Vorstand des Vereins gehört, präsen­tierte zu Beginn einen Kurzfilm. Der Film zeigte einen von 2 Info-Bussen, die im Frühjahr u. a. sich in der Innen­stadt von Erfurt posi­tio­nierten. Dort hatten Passanten die Möglich­keit, sich von Betrof­fenen über die Armuts­si­tua­tion in Deutsch­land sowie innerhalb der EU zu informieren.

Im Anschluss an diesen Film erklärte Stiefel, dass es mit diesem Info-Bus und einem Standort nicht gewesen ist. Insgesamt bereisten diese Info-Busse sämtliche 28 EU-Staaten, in Deutsch­land hielt der Bus außer Erfurt noch in Dortmund. Stefan Schneider vom Orga­ni­sa­ti­ons­team des Wohnungs­lo­sen­treffen zeigte sich begeis­tert über die Art  der Präsen­ta­tion, und hakte nach, ob es in Zukunft nicht möglich sei, dass sich etliche Orga­ni­sa­tionen noch mehr vernetzen und verei­nigen können. Von Armut betrof­fene Menschen hätten dadurch erhöhte Möglich­keiten zum Austausch, zusätz­lich besteht eine bessere Chance, die Inter­essen der Wohnungs­losen an die Öffent­lich­keit zu bringen.

Das Netzwerk zeigte dann einige Beispiele, wo es bereits prak­ti­ziert werde. Zunächst wurde die Nationale Armuts­kon­fe­renz vorge­stellt. Die 1991 gegrün­dete Orga­ni­sa­tion ist selbst in 4 große Wohl­fahrts­ver­bände geglie­dert, und ist die deutsche Sektion des European Anti Poverty Networks (EAPN). Hier versucht man sich unter anderem mit Orga­ni­sa­tionen wie HOPE zu verbünden und zu vernetzen.

Zum Abschluss wurden einzelne kleine, aber erfolg­reiche des Armuts­netz­werks präsen­tiert. So erzählte Hilde Rektor­schek von den Erfolgen der 2017 gegrün­deten Frau­en­gruppe, ebenso berich­tete Norbert Brandt vom Ruck­sack­pro­jekt. Letzt­end­lich wurden die Termine für künftige Veran­stal­tungen bekanntgegeben.

 


Grill­abend statt Abendbrot

Sommer­zeit bedeutet Grillzeit, doch an diesem Tag gehört der Firma Kollhorst, die statt eines gewöhn­li­chen Abend­brotes Gegrilltes servierte, ein beson­derer Respekt. Denn Freistatt war an diesem Mittwoch Tag bei knapp 35 Grad im Schatten zum Backofen geworden. Menschen, die sich dann als Service nochmal an ein wärmendes Feuer stellen, gilt ein beson­derer Dank. Aber, es gab für alle Servie­renden und Hungrigen ein Licht­blick; denn genau während des gemein­samen Genießens weht ein frischer Wind durch den Sinnes­garten. Welch eine Wohltat nach dem Tag.

 


Die betro­genen Brüder

Zu einer beson­deren Lesung wurde am immer noch sehr schwül-warmen Mitt­woch­abend in der Guten Stube einge­laden. Sascha Dzial­dowski stellte vor einer gemüt­li­chen Runde von Krimi­freunden seine Krimi­nal­ge­schichte "Die betro­genen Brüder" vor. Der Sozi­al­ar­beiter vom Herbergs­verein aus Winsen an der Luhe las drei Kapitel aus seinem Werk.

An der Ostsee wird ein heran­ge­kom­mener Obdach­loser erschlagen aufge­funden. Die Spur führt die Ermittler zu einer wohl­ha­benden Kauf­manns­fa­milie in Hamburg. Jemand scheint den Toten zu erkennen, die Familie vermisst seit langen zwei verschol­lene Brüder.

In einer anschlie­ßenden Frage­runde erklärte Dzial­dowski, er habe bei der Figur des Obdach­losen an eine spezielle Person durch seine Arbeit als Sozi­al­ar­beiter gedacht. Er verändere dabei lediglich den Namen und die äußere Erschei­nung. Dem Autor sei es wichtig, bei den Personen aber auch bei den Geschichten an sein eigenes Umfeld zu denken, das erhöhe die Authen­ti­zität des Inhalts.

Insgesamt ein cleverer Schachzug des Autors. In der Geschichte treten wohl­ha­bende und arme Menschen auf. In einem Band. Die Wege zwischen beiden Grup­pie­rungen könnten sich in der Realität ruhig häufiger kreuzen.