Der dritte Tag des Wohnungslosentreffens Freistatt 2018 begann nach dem Frühstück mit dem gemeinsamen Plenum-Treffen im Sinnesgarten, bei dem Themen und Schwerpunkte für Arbeitsgruppen beschlossen wurden.
Zweieinhalb Stunden waren für den Kernprozess reserviert, der für Zeiten steht, zu denen beim Wohnungslosentreffen alles was mit Selbstorganisation, Gruppenbildung Selbstfindung und Selbstvertretung zu tun hat – also mit der eigentlichen „Selbstvertretung Vereinter Wohnungsloser“.
Danach ging es mit verschiedenen Workshops weiter:
„Tiny Houses“? – Chancen und Risiken
Dieser Workshop (moderiert von Ilse Kramer, IBWA e. V., Köln) beschäftigte sich mit einer Alternative zum bürgerlichen Wohnen: Was einst in den 30-er Jahren im US-amerikanischen Detroit von Aussteigern gestartet wurde, hat mittlerweile Ableger in aller Welt bekommen: „Tiny Houses“, Leben und Wohnen auf wenigen Quadratmetern, hat sich zu einer Wohnalternative für Menschen entwickelt, die sich für ein Leben mit minimalistischem Anspruch entschieden haben. Dieses Thema beleuchtete Paul N. von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) von verschiedenen Seiten auf seine Praxistauglichkeit.
Bei den „Tiny Houses“-Wohnungen handelt es sich um modulare, containerartige Gebäude mit maximal 50 qm bewohnbarer Fläche. Was einst als Welle für Individualisten begonnen hatte, wurde in den USA bei schweren Krisen als Hilfsmöglichkeit angewendet, wie etwa bei den Folgen des Hurricans Katrina, aber auch für Menschen, die durch die Immobilienkriese in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren. Die wohlhabende Stadt Seattle z. Bsp. setzt „Tiny Houses“ als billige Maßnahme zur Bekämpfung der Straßenwohnungslosigkeit ein, die dort in besonders hohen Maße besteht.
In einer anschließenden Diskussion ging es natürlich auch darum, ob das Modell von „Tiny Houses“ hierzulande eine Alternative Methode für Wohnungslose sein kann. Letztendlich war sich die Runde aber einig, dass diese Unterkunftsform lediglich im Einzelfall als vorübergehende Maßnahme brauchbar ist.
Die Gründe dafür sind recht vielfältig, wie sie Paul N. in seiner Einführung sehr detailliert vorgetragen hatte:
- Qualitätsunterschiede der verschiedenen Modelle – muss so ein „Tiny House“ so billig wie irgend möglich sein?
- Anfälligkeit für Ungeziefer
- Blitzschutz und Brandgefahr durch viele denkbare Ursachen (z. Bsp. Vandalismus)
- Ghettobildung, Furcht vor Bildung einer Drogenszene der „normalen“ Nachbarschaft
- Rechtliche Situation in Deutschland – es gibt relativ restriktive Vorschriften, die aber auch die Rechte von Mietern stärken. Wollen wir diese „Errungenschaft“ aufgeben?
- Prinzipielles Aufstellverbot außerhalb von Ortschaften
- Frage nach „Einbettung“ in die Architektur der Nachbarschaft? (die darauf bestehen kann!)
- Wohnen auf Campingplätzen / in Schrebergärten: Ständiges Wohnen ist dort nicht vorgesehen, und eigentlich verboten – wird aber teilweise noch geduldet (Campingplätze können als „Sondergebiete“ bei Bedarf umgewidmet werden!)
- Befürchtung einer Wohncontainer-Industrie, die massenhaft möglichst profitabel billigste Unterkünfte für Randgruppen bauen könnte (Arme, Alte, Studenten, …) – dadurch Absenkung bestehender Standards
- Für Familien ungeeignet! – weil ein „soziales Leben“ zu Hause in „Tiny Houses“ schwer vorstellbar ist
- Problem Wohnungsnot: Von Investoren eher erwünscht, um über Investition in steigende Mieten ihr Kapital noch effektiver zu vermehren
- Trend zu „Kaninchen-Buchten“ im Stadtgebiet, weil „normale“ (angemessene!) Unterkünfte nur noch abseits in den Randbezirken bezahlbar sind – mit allen Nachteilen wie Zersiedelung, wachsendem Pendelverkehr, Trabantenstädte mit sozialen Problemen, u.s.w.
Ein Grund dafür ist, dass die Wohnungslosigkeit selbst damit nicht effektiv bekämpft werden kann. Die Mini-Gebäude sind gegen Schäden kaum abgesichert, und sie sind anfällig für Naturkatastrophen. Auch eine Finanzierung solcher Unterkünfte erscheint für Menschen in Armut problematisch. Daher können „Tiny Houses“ nur im Einzelfall als eine freiwillige, temporäre Lösung für einige obdach- oder wohnungslose Menschen dienen, als Maßnahme zur Bekämpfung der steigenden Wohnungsnot in Deutschland sind sie aber sicher keine wirksame Lösung.
Hilfe zur Selbsthilfe Wohnungsloser
In einer Gruppenarbeit, moderiert von Hasso Diedrich vom Asphalt Magazin Hannover machten sich insgesamt 9 Teilnehmer mit der Thematik vertraut, und erstellten am Ende ihrer Gedanken und Studien ein Fazit. Insgesamt kamen alle Teilnehmer zu der Erkenntnis, das Selbsthilfe gar der erste Schritt ist. Dazu gehört, sich eigene Ziele zu setzen.
Ein weiterer Weg wäre dann, die nötige Hilfe aufzusuchen. Bei behördlicher Hilfe ist es hilfreich, wenn der zuständige Helfende dem Hilfesuchenden auf Augenhöhe begegnet. Dadurch erhöht sich die Chance, die individuelle Hilfe für die Ziele zu erreichen.
Das Ergebnis wurde zu einem Fazit zusammengefasst, dass sowohl von Gaby Fischer aus Herzogsägmühle filmisch festgehalten wurde, und am Mittwoch beim morgendlichen Plenum präsentiert werden soll.
Europäischer Gedankenaustausch
Der restliche Nachmittag und Abend stand dann im Zeichen weiterer Diskussionen unter verschiedenen Gruppen der Teilnehmenden, dem weiteren Kennenlernen neu Hinzugekommener und der Begrüßung und Information der letzten hinzugekommenen Teilnehmer der europaweiten „Homeless in Europe“ (HOPE)-Gemeinde (aus Portugal und Ungarn), die morgen ihre Generalversammlung vorbereiten wird – unser Bericht dazu wird folgen.