Begrüßungsplenum
Der Montag begann mit einem Treffen von mehr als 70 Teilnehmenden nach dem Frühstück im sonnendurchfluteten Sinnesgarten. Es wurde zunächst Organisatorisches besprochen und einige Teilnehmer berichteten auf Nachfrage von Stefan Schneider von ersten Erfahrungen – Freistatt als sehr schönem Ort mit Möglichkeiten zum Rückzug, dem überschaubaren Gelände des Treffens, der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft unter allen Teilnehmenden und nicht zuletzt von der guten Aufnahme von Frauen als Tradition auch schon von den letzten zwei Treffen.
Danach gab es Infos von den bisherigen Treffen, der Entwicklung von Treffen speziell für Obdach- und Wohnungslose im 19. Jahrhundert in Deutschland, aus denen auch immer einzelne Projekte zur Verbesserung der Lage Betroffener entstanden sind, meist in größeren Städten wie Berlin, Hamburg, Stuttgart und Hannover.
Frank Kruse (Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe Freistatt) berichtete kurz über die Entstehung des Projekts Wohnungslosentreffen, das zusammen mit Peter Szynka (mittlerweile im Un-Ruhestand) aus Hannover, Jürgen Schneider und Stefan Schneider zunächst für den Standort Freistatt initiiert wurde – und jetzt die Möglichkeit hat, zur 125-Jahr Feier der Wohnungslosenhilfe Herzogsägmühle in Oberbayern dort im Sommer 2019 fortgeführt zu werden.
Einige Teilnehmende der Vorjahrestreffen schilderten dann noch ihre Eindrücke voriger Treffen und es wurde eine Gedenkminute für die Verstorbenen ehemaligen Teilnehmenden abgehalten.
Abschließend wurden noch die weitere Arbeit des Projekts skizziert (eine Fördervereins-Gründung ist geplant) und eine Weiterführung nach dem jetzigen Ablauf der ersten Projektförderung angemahnt, für die ein Folgetreffen in Oberbayern sicherlich förderlich wäre.
Mittagsprogramm
Um 11:00 Uhr führte Frank Kruse interessierte neue Teilnehmende des Treffens durch Freistatt.
Um 13:00 Uhr begannen die „Barber Angels“ auf und neben der Bühne interessierten Teilnehmern kostenlos die Haare zu schneiden. Die „Barber Angels“, sind ein Club von Friseuren, der nicht Augen und Scheren verschließt vor der allgegenwärtigen Armut. Die „Angels“ reden nicht viel, sie handeln. Gemeinsam mit Kollegen aus ganz Europa schneiden sie Wohnungslosen und Bedürftigen die Haare. Kostenlos, freundlich und mit viel Humor. Tolle Aktion, da werden wir noch einmal ausführlicher drüber berichten.
Wohnungslosentreffen: Gestern, heute und morgen
Peter Szynka, einer der Mitgünder des Projekts Wohnungslosentreffen (WLT), freute sich alle Zuhörer zu begrüßen, um gemeinsam die Entwicklungen seit 1991 bis zum diesjährigen Wohnungslosentreffen Freistatt 2018 kennenzulernen.
Gestern
Die Eröffnung lieferte Werner Seitschek aus Uelzen, der das Wohnungslosentreffen 1991 in Uelzen organisiert hatte. Dazu hatte er eine erfreulich übersichtliche Diashow mitgebracht, die historische Bilder vom damaligen Treiben rund um den Wasserturm und auch in der Stadt zeigten. Stefan Schneider, der mit anderen Berlinern vorbeigeschaut hatte, erinnerte sich schmunzelnd an ein „eigentlich einziges Chaos“, an das er sich an diese viertägige Versammlung mit 200 bis 300 Menschen erinnere.
Aber auch damals schon ging es um die Schaffung von Öffentlichkeit und die Anerkennung von obdach- und wohnungslosen Menschen als Teil unserer Gesellschaft, aber auch um das miteinander Umgehen in einer sehr bunt gemischten Gruppe, die zeitweise auf recht engem Raum zusammenlebte. Werner konnte auch von einer gewissen Unterstützung aus seiner Stadt berichten, so spendete ein Bäcker jeden Tag mehrer hundert Brötchen, er hätte sich aber im Rückblick auf das Treffen insgesamt mehr Dialog mit außenstehenden Menschen gewünscht, um Vorurteile abzubauen. Er sehe solche Treffen als gute Möglichkeit zur Weiterentwicklung von Ideen an – auch wenn seiner Erfahrung nach immer ein paar Menschen nötig seien, die „die Sache in die Hand nehmen“, um wirklich weiterzukommen.
Heute
Aus der versammelten Runde kamen dann Eindrücke der freistätter Wohnungslosentreffen: Die Qualität des Essens kam zur Sprache, die wohl für viele Teilnehmer ungewöhnlich sei – wir stimmen dazu aber auch mit dem Organisations-Team überein, dass Teilnehmenden einer solchen Veranstaltung angemessene Verpflegung zustehen sollte. Die bessere Mobilisierung zum Treffen, deutschland- und europaweit wurde als Herausforderung künftiger Treffen angeregt. Insbesondere die größere Beteiligung von Städten im Osten und aus deutlich mehr Ländern Europas sei wünschenswert. Dazu sollten alle Teilnehmenden aufgerufen werden, sich bei Treffen bei EU-Veranstaltungen zum Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit zu bewerben.
Neben der Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten für das Projekt WLT kam die Anregung auch nach neuen Ideen zu suchen. Ideen dazu waren Aktionsformen wie Theater, Flugblatt-Verteilen, Drucksachen und Europa-Aktionen, und auch die Frage nach dem Umgang mit der Politik in den Bundesländern, in Deutschland und in Europa kam auf.
Peter Szynka kam dann zu den drei Treffen in Freistatt, für die sich nach dem diesjährigen „Sommercamp“ dann sicher auch die Frage nach der Entwicklung der Organisation in den letzten drei Jahren stelle.
Morgen?
Michael Schmidt, der Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe Herzogsägmühle (HSM) in Oberbayern, startete dann den Aufruf „den Süden dazunehmen!“. Er hatte einen Kurzen Film des BR mitgebracht, der das Dorf Herzogsägmühle vorstellte, das im oberbayrischen Pfaffenwinkel etwa 80 km südlich von Augsburg liegt.
Seit etwa zwei Jahren verfolgt die Wohnungslosenhilfe dort ein neues Konzept der „Gemeinwohlökonomie“, das für Nachhaltigkeit, Partizipation und Mitbestimmung stehe. Zum 2019 anstehenden 125-jährigen Jubiläumsjahr in Herzogsägmühle lud Michael Schmidt das Projekt Wohnungslosentreffen ein, dort im Sommer sein viertes Treffen zu beherbergen. Dazu stellte er auf Fotos die Örtlichkeiten vor, an denen solch ein Treffen stattfinden würde: Eine Große Wiese am HSM-Sportplatz mit Sporthalle, den Rainer-Endisch-Saal (eine größere Versammlungshalle) und einige kleinere Konferenzräume. Es gibt einen Edeka-Laden im Ort mit Bio-Abteilung und die Verpflegung würde die Hauptküche übernehmen. Die Unterbringung der Teilnehmenden müsste in Großzelten (ähnlich wie auf den bisherigen Treffen) erfolgen, ein Gästehaus ist im Ort aber nicht vorhanden.
Es bestehen Zugverbindungen ab Augsburg oder München (jeweils etwa 80 km entfernt), zu den nächsten Bahnhöfen Schongau und Peiting könnten dann HSM-Shuttles organisiert werden.
Zum Abschluss lud Michael Schmidt dann das Plenum des Projekts Wohnungslosentreffen herzlich ein, sich für das WLT 2019 für Herzogsägmühle als Veranstaltungsort zu entschließen.
Chancen durch soziale Wohnraumagenturen?
„Wie kann man für Wohnungslose eine eigene Wohnung finden?“ Das war die Frage, die bei einer Präsentation im Seminarraum in Haus Wegwende aufgeworfen wurde. Gestellt wurde sie von Axel Steffen von der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e.V. (GISS) in Bremen, der soziale Wohnraumagenturen und deren Hilfe-Modelle vorstellte.
Diese Agenturen folgen dem belgischen „Housing First“ Ansatz, um Wohnraum für Wohnungslose zu vermitteln. Die Betroffenen erhalten dabei allerdings zum Teil nur befristete Mietverträge. Die Umsetzbarkeit sowie die vorgetragenen Zahlen zur Unterstützung des Ansatzes wurden bereits in der Diskussion stark in Frage gestellt. Angesichts der wahrscheinlich bereits 2019 zu erwartenden Zahl von mehr als einer Million wohnungsloser Menschen in Deutschland wird dieses Projekt maximal ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Man kann eben keinen bezahlbaren Wohnraum vermitteln, wenn dieser nicht vorhanden ist.
Im Rahmen der Diskussion über den Entschliessungsantrag des Niedersächsischen Landtages zur Hilfe für wohnungslose Menschen werden wir auf diesen von der FDP unterstützten Ansatz noch ausführlicher eingehen.
Projekte wohnungsloser Menschen
Im Anschluss stellten Norbert, Karsten und Kurt verschiedene Beispielprojekte vor mit denen wohnungslos Menschen als direkt Betroffene ihre Sichtweise sozialer Probleme vorstellen und ihre eigenen Verbesserungsvorschläge dazu erläutern.
Norbert erläuterte sein „Rucksackprojekt“, bei dem es darum geht Schulkindern den Weg in die Obdachlosigkeit zu erklären. Dazu schildert er seine Erfahrungen mit dem Leben auf der Straße und er versucht, Wege aus der Obdachlosigkeit aufzuzeigen. Mit Hilfe einer umfangreichen Präsentation und Fallbeispielen sollen die Schüler sich mit dem Problem Obdach- und Wohnungslosigkeit auseinandersetzen.
Karsten erzählte im Anschluss von mehreren selbstorganisierten Hilfsprojekten aus Mainz, die sich mit der Lagerung des Hausrats von wohnungslos gewordenen Menschen und der geplanten Einführung eines zweiten Kältemobils für den Raum Mainz beschäftigten.
Kurt, der ebenfalls zur Zeit in Mainz lebt, sprach über seine Erfahrungen mit der Betreuung des Tierfriedhofes in Mainz und seine Erfahrungen mit dem Verkauf der Straßenzeitung „Straßen-Gazette“.
Abendprogramm: Achtung, Kultur!
Nach dem gemeinsamen Abendessen am „Alten Backhaus“ lockten erste Klänge der – allen Freistättern bestens bekannten – „Arrested Amtsbrüdern“ hinüber in den Sinnesgarten. Unsere Lieblingsmusiker (die Redaktion) spielten in gewohnt melodischer Weise auf.
Das Publikum vor der Bühne (aber auch im Umkreis des restlichen Sinnesgartens mit seinen zahlreichen Sitzgelegenheiten) genoss das Repertoir des Duos, das mit Folk bis Oldies und verschiedenen Klassikern der Popgeschichte den Abend und die langsam heranziehende Nacht ausklingen ließ.
Wir möchten uns an dieser Stelle für das ehrenamtliche Engagement von Uli Preuß und Rainer Wölk herzlich bedanken, die jetzt alle Wohnungslosentreffen in Freistatt mit ihrer Musik bereichert haben.
So endete der zweite Tag des Wohnungslosentreffens Freistatt 2018 mit vielen Gesprächen und Diskussionen unter den Teilnehmenden. Wir werden euch hier weiter von den folgenden Tagen berichten.