Ebet-Kongress in Köln - 24.-26. September 2018

EBET-Kongress „Alter­na­tiven zu Entrech­tung und Ausgren­zung“ in Köln

Vom 24. bis zum 26. September fand der Kongress der EBET (Evan­ge­li­scher Bundes­ver­band Exis­tenz­si­che­rung und Teilhabe e. V.) im Mate­r­nus­haus in Köln statt. Hinter dem sperrigen Vereins­namen verbirgt sich ein Fach­ver­band der Diakonie Deutsch­land, in diesem Fall für die Wohnungs­not­fall- und Straf­fäl­li­gen­hilfe,  zu dem auch die Wohnungs­lo­sen­hilfe der Diakonie mit allen ihren Einrich­tungen gehört.

Dr. Jens Rannenberg - Vorstandsvorsitzender EBET - Eröffnungsansprache EBET Kongress - 24.09.2018
Dr. Jens Rannen­berg – Vorstands­vor­sit­zender EBET – Eröff­nungs­an­sprache EBET Kongress – 24.09.2018

Nach der Eröffnung durch den Vorstands­vor­sit­zenden des EBET e. V.  gab es Grußworte von Werena Rosenke, Geschäfts­füh­rerin der Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft Wohnungs­lo­sen­hilfe (BAG‑W), Dr. Ralf Heinen, einem der Kölner Stadt­bür­ger­meister sowie von Pfarrer Christian Heine-Göttel­mann, Vorstand des Diako­ni­schen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe e. V.. In allen Reden ging es vor allem um die alar­mie­rend stei­genden Wohnungs­lo­sen­zahlen, sowie den Mangel an bezahl­baren Wohnungen in Deutschland.

Besonders Werena Rosenke wies ausdrück­lich darauf hin, dass das Recht auf Wohnung (und nicht etwa Wohnen) ein durch die UN-Menschen­rechts­charta defi­niertes Menschen­recht ist. Ange­sichts einer Zahl von geschätzt mehr als einer Million Wohnungs­loser, die wir zum jetzigen Zeitpunkt in Deutsch­land haben, gelte es endlich dementspre­chend zu handeln.

Schon in den Gruß­worten wurde deutlich, dass es gemäß dem Titel des Kongresses, „Alter­na­tiven zu Entrech­tung und Ausgren­zung“ in den nächsten Tagen darum gehen würde, alther­ge­brachte Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen. Durch bessere Einbe­zie­hung besonders von Betrof­fenen gehe es darum, die Situation von Wohnungs­losen wirkungs­voll zu verbessern.

Den gesamten Kongress­ver­lauf zu beschreiben würde hier zu weit führen, hervor­heben möchte ich aber beispiel­haft folgende Veran­stal­tungen: Einen Vortrag Stephan Nagels (den wir in der nächsten Zeit hoffent­lich auch noch einmal komplett veröf­fent­li­chen werden), eine Präsen­ta­tion des FEANTSA-Vorsit­zenden Freek Spin­ne­wijn und einen Workshop über das Projekt Wohnungs­lo­sen­treffen mit der Vorstel­lung der Selbst­ver­tre­tung Wohnungs­loser Menschen.

Poli­ti­sche Einflussnahme

Stephan Nagel vom Diako­ni­schen Werk Hamburg sprach am Montag über die Schwie­rig­keiten der poli­ti­schen Einfluss­nahme im Bereich der Wohnungs­lo­sig­keit, bzw. der Wohnungs­lo­sen­hilfe. Ausschlag­ge­bend dafür sieht er unter anderem die Rahmung, das heißt die Wahr­neh­mung und Präsen­ta­tion der Betrof­fenen in der Gesell­schaft. Zu bemerken sind dabei die nach wie vor vorhan­denen Vorur­teile gegenüber Wohnungs­losen, die von der medialen Darstel­lung eher gefördert als abgebaut werden.

Stephan Nagel - Diakonisches Werk Hamburg - EBET Kongress - 24.09.2018
Stephan Nagel – Diako­ni­sches Werk Hamburg – EBET Kongress – 24.09.2018

Nach wie vor gilt das obdach­lose, süchtige, bettelnde, durch Schick­sals­schläge gebeu­telte Indi­vi­duum als Aushän­ge­schild für alle von Wohnungs­lo­sig­keit oder drohender Wohnungs­lo­sig­keit betrof­fenen Menschen. Natürlich sind die tatsäch­li­chen Ursachen und Formen von Wohnungs­lo­sig­keit viel diffe­ren­zierter zu sehen. Bei mehr als einer Million Betrof­fener sind sie auch nicht mehr mit persön­li­chem Schicksal, geschweige denn Verant­wor­tung zu erklären. Somit wäre diese Darstel­lung, die leider auch in der Pres­se­ar­beit der Verbände der Wohnungs­lo­sen­hilfe immer noch auftaucht, für die poli­ti­sche Arbeit in hohem Maße kontraproduktiv.

Gerade die vielen unter­schied­li­chen Gründe und Ausprä­gungen bedingen die Schwie­rig­keiten bei der Selbst­or­ga­ni­sa­tion wohnungs­loser Menschen. Dazu kommt natürlich die Armut, die die Fähigkeit zu poli­ti­schem Handeln deutlich einschränkt. Gerade im kommu­nalen Bereich, wo die Teilhabe an Lösungs­pro­zessen besonders wichtig wäre, so eine Ergänzung aus dem Publikum, fehlt es außerdem an der Möglich­keit zur direkten Einfluss­nahme: Wohnungs­losen Menschen im kommu­nalen Bereich wird kein passives Wahlrecht zuge­standen, da die Möglich­keit sich in Gemeinde- oder Stadträte wählen zu lassen derzeit an einen festen Wohnsitz gebunden ist.

Die Hilfe zur Selbst­or­ga­ni­sa­tion ist somit eines der Felder, in denen sich die Akteure der freien Wohl­fahrts­pflege deutlich stärker enga­gieren sollten. Stephan Nagel regte außerdem an, in Zukunft in der Kommu­ni­ka­tion jede Form von Indi­vi­dua­li­sie­rung des Themas zu vermeiden und mehr und viel­fäl­ti­gere Partner für die poli­ti­sche Arbeit gegen Wohnungs­lo­sig­keit zu  akti­vieren. Neben Selbst­or­ga­ni­sa­tionen Wohnungs­loser Menschen könnten dies profi­lierte Wissen­schaft­le­rInnen, Bürger­rechts­or­ga­ni­sa­tionen oder Stadt­ent­wick­lungs­in­itia­tiven sein. (Download des Vortrags als pptx-Dokument)

Der Dach­ver­band FEANTSA

Der zweite Tag des Kongresses begann mit einer durchaus bemer­kens­werten Präsen­ta­tion der Arbeit von FEANTSA, des euro­päi­schen Dach­ver­bandes der natio­nalen Wohnungs­lo­sen­hilfeorga­ni­sa­tionen, durch deren Präsi­denten Freek Spinnewijn.

Freek Spinnenwijn - Präsident von FEANTSA - EBET Kongress - 25.09.2018
Freek Spin­nen­wijn – Präsident von FEANTSA – EBET Kongress (25.09.2018)

Bis jetzt ist FEANTSA die einzige euro­päi­sche Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tion (NGO), die sich exklusiv mit dem Problem der Wohnungs­lo­sig­keit auseinandersetzt.

Freek Spin­ne­wijn nutzte die Gele­gen­heit um den anwe­senden Kongress­teil­neh­mern, stell­ver­tre­tend für alle Akteure der freien Wohl­fahrts­pflege in Deutsch­land, die Leviten zu lesen. Deutsch­land sei das Land mit dem stärksten Anstieg von Wohnungs­lo­sig­keit in den letzten Jahren und mit den wenigsten Lösungs­an­sätzen. Gerade im Bereich euro­päi­scher Sozi­al­po­litik lasse es Deutsch­land, welches ansonsten eines der einfluss­reichsten Mitglieds­länder der EU ist, deutlich an Enga­ge­ment missen. Dies schließe die poli­ti­sche Arbeit der Wohl­fahrts­ver­bände mit ein.

Im weiteren Verlauf stellte er Forschungs­er­geb­nisse von FEANTSA dar und erläu­terte generell die Arbeit im euro­päi­schen Rahmen. Bezeich­nend ist es, dass in allen Ländern der EU mit Ausnahme Finnlands die Wohnungs­lo­sen­zahlen konti­nu­ier­lich steigen. Die Schaffung bezahl­baren Wohnraums wäre deshalb einer der wich­tigsten Lösungs­an­sätze des Problems. Über 50% der von Armut betrof­fenen Menschen in Deutsch­land müssten mehr als 50% ihres Einkom­mens für ihre Wohnung aufwenden. Schlechter sähe es nur noch in Grie­chen­land, Bulgarien und Dänemark aus. (Download der Präsen­ta­tion als pptx-Dokument)

Das Projekt Wohnungslosentreffen

Nach diesem durchaus alar­mie­renden Vortrag ging es in die Arbeits­gruppen. Eine davon beschäf­tigte sich mit der Vorstel­lung der  Selbst­ver­tre­tung Wohnungs­loser Menschen, die aus dem Projekt Wohnungs­lo­sen­treffen hervor­ge­gangen ist.  Präsen­tiert von Dr. Stefan Schneider, Jürgen Schneider und Frank Kruse waren hierbei vor allem die zahl­rei­chen Teil­neh­menden am Workshop bemerkenswert.

Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen
Selbst­ver­tre­tung Wohnungs­loser Menschen

Während vor zwei Jahren die Präsen­ta­toren noch vor haupt­säch­lich leeren Stühlen saßen, reichten diese jetzt kaum aus. In der Tat scheint es so, als ob die Themen Selbst­or­ga­ni­sa­tion und Unter­stüt­zung von Selbst­re­prä­sen­ta­tion erfreu­li­cher­weise deutlich an Wich­tig­keit für die Mitar­beiter der Wohnungs­lo­sen­hilfe zuge­nommen haben.

Begleitet wurde der Kongress von inten­siven Gesprä­chen der Teil­neh­menden unter­ein­ander – Veran­stal­tungen dieser Art sind schließ­lich auch immer eine Möglich­keit Netzwerke aufzu­bauen und zu vergrö­ßern. Wie am Anfang schon erwähnt, würde eine reprä­sen­ta­tive Doku­men­ta­tion aller Themen und Ereig­nisse komplett den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Auf jeden Fall war es sehr hilf- und lehrreich, dabei gewesen zu sein. Wir danken den Veran­stal­tern und der Diakonie Freistatt für die Möglich­keit der Teilnahme, denn selbst­ver­ständ­lich ist eine solche Betei­li­gung von Betrof­fenen an dieser Art von Tagungen leider noch lange nicht.