Vom 24. bis zum 26. September fand der Kongress der EBET (Evangelischer Bundesverband Existenzsicherung und Teilhabe e. V.) im Maternushaus in Köln statt. Hinter dem sperrigen Vereinsnamen verbirgt sich ein Fachverband der Diakonie Deutschland, in diesem Fall für die Wohnungsnotfall- und Straffälligenhilfe, zu dem auch die Wohnungslosenhilfe der Diakonie mit allen ihren Einrichtungen gehört.
Nach der Eröffnung durch den Vorstandsvorsitzenden des EBET e. V. gab es Grußworte von Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG‑W), Dr. Ralf Heinen, einem der Kölner Stadtbürgermeister sowie von Pfarrer Christian Heine-Göttelmann, Vorstand des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe e. V.. In allen Reden ging es vor allem um die alarmierend steigenden Wohnungslosenzahlen, sowie den Mangel an bezahlbaren Wohnungen in Deutschland.
Besonders Werena Rosenke wies ausdrücklich darauf hin, dass das Recht auf Wohnung (und nicht etwa Wohnen) ein durch die UN-Menschenrechtscharta definiertes Menschenrecht ist. Angesichts einer Zahl von geschätzt mehr als einer Million Wohnungsloser, die wir zum jetzigen Zeitpunkt in Deutschland haben, gelte es endlich dementsprechend zu handeln.
Schon in den Grußworten wurde deutlich, dass es gemäß dem Titel des Kongresses, „Alternativen zu Entrechtung und Ausgrenzung“ in den nächsten Tagen darum gehen würde, althergebrachte Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen. Durch bessere Einbeziehung besonders von Betroffenen gehe es darum, die Situation von Wohnungslosen wirkungsvoll zu verbessern.
Den gesamten Kongressverlauf zu beschreiben würde hier zu weit führen, hervorheben möchte ich aber beispielhaft folgende Veranstaltungen: Einen Vortrag Stephan Nagels (den wir in der nächsten Zeit hoffentlich auch noch einmal komplett veröffentlichen werden), eine Präsentation des FEANTSA-Vorsitzenden Freek Spinnewijn und einen Workshop über das Projekt Wohnungslosentreffen mit der Vorstellung der Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen.
Politische Einflussnahme
Stephan Nagel vom Diakonischen Werk Hamburg sprach am Montag über die Schwierigkeiten der politischen Einflussnahme im Bereich der Wohnungslosigkeit, bzw. der Wohnungslosenhilfe. Ausschlaggebend dafür sieht er unter anderem die Rahmung, das heißt die Wahrnehmung und Präsentation der Betroffenen in der Gesellschaft. Zu bemerken sind dabei die nach wie vor vorhandenen Vorurteile gegenüber Wohnungslosen, die von der medialen Darstellung eher gefördert als abgebaut werden.
Nach wie vor gilt das obdachlose, süchtige, bettelnde, durch Schicksalsschläge gebeutelte Individuum als Aushängeschild für alle von Wohnungslosigkeit oder drohender Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen. Natürlich sind die tatsächlichen Ursachen und Formen von Wohnungslosigkeit viel differenzierter zu sehen. Bei mehr als einer Million Betroffener sind sie auch nicht mehr mit persönlichem Schicksal, geschweige denn Verantwortung zu erklären. Somit wäre diese Darstellung, die leider auch in der Pressearbeit der Verbände der Wohnungslosenhilfe immer noch auftaucht, für die politische Arbeit in hohem Maße kontraproduktiv.
Gerade die vielen unterschiedlichen Gründe und Ausprägungen bedingen die Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation wohnungsloser Menschen. Dazu kommt natürlich die Armut, die die Fähigkeit zu politischem Handeln deutlich einschränkt. Gerade im kommunalen Bereich, wo die Teilhabe an Lösungsprozessen besonders wichtig wäre, so eine Ergänzung aus dem Publikum, fehlt es außerdem an der Möglichkeit zur direkten Einflussnahme: Wohnungslosen Menschen im kommunalen Bereich wird kein passives Wahlrecht zugestanden, da die Möglichkeit sich in Gemeinde- oder Stadträte wählen zu lassen derzeit an einen festen Wohnsitz gebunden ist.
Die Hilfe zur Selbstorganisation ist somit eines der Felder, in denen sich die Akteure der freien Wohlfahrtspflege deutlich stärker engagieren sollten. Stephan Nagel regte außerdem an, in Zukunft in der Kommunikation jede Form von Individualisierung des Themas zu vermeiden und mehr und vielfältigere Partner für die politische Arbeit gegen Wohnungslosigkeit zu aktivieren. Neben Selbstorganisationen Wohnungsloser Menschen könnten dies profilierte WissenschaftlerInnen, Bürgerrechtsorganisationen oder Stadtentwicklungsinitiativen sein. (Download des Vortrags als pptx-Dokument)
Der Dachverband FEANTSA
Der zweite Tag des Kongresses begann mit einer durchaus bemerkenswerten Präsentation der Arbeit von FEANTSA, des europäischen Dachverbandes der nationalen Wohnungslosenhilfeorganisationen, durch deren Präsidenten Freek Spinnewijn.
Bis jetzt ist FEANTSA die einzige europäische Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich exklusiv mit dem Problem der Wohnungslosigkeit auseinandersetzt.
Freek Spinnewijn nutzte die Gelegenheit um den anwesenden Kongressteilnehmern, stellvertretend für alle Akteure der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland, die Leviten zu lesen. Deutschland sei das Land mit dem stärksten Anstieg von Wohnungslosigkeit in den letzten Jahren und mit den wenigsten Lösungsansätzen. Gerade im Bereich europäischer Sozialpolitik lasse es Deutschland, welches ansonsten eines der einflussreichsten Mitgliedsländer der EU ist, deutlich an Engagement missen. Dies schließe die politische Arbeit der Wohlfahrtsverbände mit ein.
Im weiteren Verlauf stellte er Forschungsergebnisse von FEANTSA dar und erläuterte generell die Arbeit im europäischen Rahmen. Bezeichnend ist es, dass in allen Ländern der EU mit Ausnahme Finnlands die Wohnungslosenzahlen kontinuierlich steigen. Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums wäre deshalb einer der wichtigsten Lösungsansätze des Problems. Über 50% der von Armut betroffenen Menschen in Deutschland müssten mehr als 50% ihres Einkommens für ihre Wohnung aufwenden. Schlechter sähe es nur noch in Griechenland, Bulgarien und Dänemark aus. (Download der Präsentation als pptx-Dokument)
Das Projekt Wohnungslosentreffen
Nach diesem durchaus alarmierenden Vortrag ging es in die Arbeitsgruppen. Eine davon beschäftigte sich mit der Vorstellung der Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen, die aus dem Projekt Wohnungslosentreffen hervorgegangen ist. Präsentiert von Dr. Stefan Schneider, Jürgen Schneider und Frank Kruse waren hierbei vor allem die zahlreichen Teilnehmenden am Workshop bemerkenswert.
Während vor zwei Jahren die Präsentatoren noch vor hauptsächlich leeren Stühlen saßen, reichten diese jetzt kaum aus. In der Tat scheint es so, als ob die Themen Selbstorganisation und Unterstützung von Selbstrepräsentation erfreulicherweise deutlich an Wichtigkeit für die Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe zugenommen haben.
Begleitet wurde der Kongress von intensiven Gesprächen der Teilnehmenden untereinander – Veranstaltungen dieser Art sind schließlich auch immer eine Möglichkeit Netzwerke aufzubauen und zu vergrößern. Wie am Anfang schon erwähnt, würde eine repräsentative Dokumentation aller Themen und Ereignisse komplett den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Auf jeden Fall war es sehr hilf- und lehrreich, dabei gewesen zu sein. Wir danken den Veranstaltern und der Diakonie Freistatt für die Möglichkeit der Teilnahme, denn selbstverständlich ist eine solche Beteiligung von Betroffenen an dieser Art von Tagungen leider noch lange nicht.