Dies ist ein Leserbrief von Dr. Stefan Schneider, Sozialwissenschaftler und Koordinator der Wohnungslosentreffen in Freistatt, zu dem Artikel „Einfach gleichgültig“ – Bankkunden kümmerten sich nicht um hilflosen Rentner / Der Richter wählt bei der Urteilsverkündung drastische Worte aus der Sulinger Kreiszeitung vom 19. September 2017, Seite 3, den wir gerne ebenfalls veröffentlichen.
"Sie berichten, daß in Essen – Borbeck drei Menschen wegen unterlassener Hilfeleistung zu Geldstrafen verurteilt werden, weil sie im Vorraum einer Bank einem am Boden liegenden, zusammengebrochenen Menschen nicht geholfen haben. Die Verurteilten „geben an, den 83-Jährigen für einen schlafenden Obdachlosen gehalten zu haben.“ Nehmen wir einmal an, bei diesem Mann in der Bank hätte es sich tatsächlich um einen obdachlosen Menschen gehandelt. Dürfen wir das einfach so hinnehmen? Dürfen uns obdachlose Menschen egal sein? Eine der Verurteilten gibt an, "dass sie schon öfter von Obdachlosen belästigt worden sei." Immerhin eine ehrliche Aussage. Die Botschaft dahinter: Ja, es kann lästig sein, obdachlosen Menschen zu helfen. Aber es nicht zu tun, ist auch: Unterlassene Hilfeleistung.
Vor gut 20 Jahren habe ich in Berlin eine Kampagne Magnetkarten für Obdachlose! gestartet. Menschen sollten obdachlosen Mitmenschen eine abgelaufene Magnetkarte schenken, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, in den üblicherweise geheizten Vorräumen der Banken, in denen die Bankautomaten stehen, eine halbwegs geschützte Nacht zu verbringen. Damals wie heute war die Zahl der Menschen, die auf auf der Straße leben mussten, obwohl es leerstehenden aber unbezahlbaren Wohnraum gibt, erschreckend hoch.
Die Kampagne sollte Staub aufwirbeln, auf das Problem der Selbstbestimmung obdachloser Menschen und fehlenden, bezahlbaren Wohnraum aufmerksam machen. Bewirkt hat sie wenig. Vorräume von Banken sind genauso wenig eine Lösung wie überfüllte, zwangsgemeinschaftliche Notübernachtungen, die nur in den Wintermonaten geöffnet sind. Die Hilfeleistung, die hier seit Jahren unterlassen wird, besteht darin, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Aber auch darum machen wir einen großen Bogen."