Am 2. und 3. September bot Frank Kruse (Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe Freistatt) als Lehrbeauftragter der Universität Vechta ein weiteres Fortbildungsseminar zum Thema Soziale Arbeit mit wohnungslosen Menschen an. In dieser Online-Veranstaltung ging es wieder um die Vermittlung der vielfältigen Aufgaben für Sozialarbeitende im Umfeld der Wohnungslosenhilfe (WLH).
Wohnungslose Menschen im Alltag
Nach einer Vorstellungsrunde der etwa 10 Teilnehmenden ging es in einer ersten Gruppenarbeit um die Frage: „Was sind Wohnungslose für Menschen?“. Hier wurden in zwei Gruppen Eindrücke und vielleicht auch Vorurteile gesammelt, die Teilnehmende im alltäglichen Leben mit Menschen gemacht haben, die eventuell wohnungslos auf den Straße unserer Städte leben.
- bedürftig
- gefährdet
- misstrauisch
- distanzlos
- Suchtprobleme
- ungepflegt
- psychisch krank
- starkes Mitteilungsbedürfnis
- Männer im fortgeschrittenen Alter
- selten Frauen
- Alkoholismus
- häufig mit einem Hund anzutreffen
- man sieht häufig Schlafsack mit Decke
- häufig fehlt Identitätsnachweis, im Ausland verstärkt, da keine Papiere
- manche sind faul, finden selten den Weg zum Jobcenter
- resigniert
- Hoffnungslosigkeit
- manche geben sich auf, zu kämpfen bringt wenig bis nichts
- Körperliche Erkrankungen, vor allem das Aufhalten draußen und der Hunger
- Probleme mit Menstruation, da zu teuer
- unzuverlässig
- Landstreicher, die mal hier und dort sind
- Manche sind freiwillig wohnungslos
- Viele kommen nach Erfahrungen nicht mehr in Hilfseinrichtungen rein
- Probleme mit dem Partner und mit der Familie, Kontaktabbruch
- Manche beginnen Straftaten (Diebstahl)
- Einsamkeit
- normale Menschen, die keine Wohnung angemeldet haben
- hilfsbedürftige Menschen
- haben persönliche oder körperliche Rückschläge erlitten
- haben schwächere Startbedingungen mit weniger Ressourcen
- „Systemsprenger“
- passen nicht in die verordneten bürokratishen Maßnahmen
- Drogensüchtig
- sind ekelig
- Drogenabhängige lösen Ekel aus
- können Dankbarkeit fürs eigene Leben auslösen
- Drogenkonsum kann auch Mitgefühl und/oder Mitleid auslösen
- negativ konnotiert in der Gesellschaft
- Bild: Penner, oft Alkohol trinkend
- wollen nicht arbeiten
- heterogene Gruppen
- unterschiedliche Motive für Wohnungslosigkeit
- unterschiedliche Motive für Obdachlosigkeit
- freiwillige Obdachlosigkeit
- psychische Erkrankungen
- Glorifizieren der eigenen Obdachlosigkeit
- Know How für bürgerliches Leben geht verloren
- können „normales Wohnen nicht aushalten“
In der anschließenden Diskussion kamen alle Teilnehmenden überein, dass es sich offenbar um eine recht heterogene Gruppe von Menschen handelt, zu denen offenbar viele Vorurteile bestehen. Frank Kruse erläuterte dazu die aktuelle Grundsicherung, die nach SGB II und SGB XII in Deutschland geregelt ist. Für obdachlose Menschen kommt dabei dem Tagessatz große Bedeutung zu, da sein regelmäßiger Bezug Bedingung für die staatliche Zahlung von Krankenversicherungs-Beiträgen ist. Die nur zeitlich begrenzte Zahlung von Tagessätzen würde immer noch gerne zur Vertreibung von Obdachlosen (in Nachbargemeinden) genutzt, obwohl jeder Bürger in Deutschland das Recht habe, seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Jede Kommune sei zwar zur Wohnraumversorgung eines jeden Bürgers verpflichtet. Dazu reiche aber eine behelfsmäßige Unterkunft, die dann auch gerne nur als Massenunterkunft mit zusätzlich abschreckender Wirkung angeboten würden.
Geschichtliches zur Obdachlosigkeit
Hier gab Frank Kruse einen kurzen Abriss über den Umgang der Gesellschaft mit armen und dadurch oft auch obdachlosen Menschen im Verlauf der letzten zwei Jahrtausende. Während in der Antike Schulden in der Regel direkt in die Sklaverei führten, kam mit Jesus Christus in gewisser Weise ein Sinneswandel auf …
- Christentum als Staatsreligion unter Kaiser Konstantin
- Entwicklung von Bettelzünften und Bettelorden
- Kleine Eiszeit ab etwa 1270 bis etwa 1870
(Ernteausfälle, Hungersnöte, später Pestausbrüche) - Bettelordnungen (ehrbare Arme)
- Heimatprinzip
- Arbeitshaus (mit Zwangseinweisung von Bettlern)
- Bewahrungsgesetz
- Landstreicher
- Ludwig Mayers Theorie des „Wandertriebs“
- Alarich Seidler prägt den NS-Begriff „Nichtsesshafter“
(arbeitsscheu, Arbeitshaus, Konzentrationslager) - BAG Wohnungslosenhilfe – Wohnungslose in der NS-Diktatur (PDF-Datei)
(ehemaliger Link: https://www.bagw.de/media/doc/TXT_Ayass_Nationalsozialismus.pdf – archivierte Version) - Wolfgang Ayass: Wohnungslose im Nationalsozialismus
(Wanderausstellung BAG W, 2006; Uni Kassel; PDF-Datei) - Bundessozialhilfe-Begriff „Gefährdete“ – Wegsperren auf ungewisse Zeit nach Ermessen des Heimleiters war damit möglich
- BSHG-Reform 1967 bis 1974 – Betteln wurde als Straftat abgeschafft
Praxis der Wohnungslosenhilfe
Nach der Mittagspause und einem Videobeitrag von RTL Nord über die Arbeit der WLH Freistatt gab es eine Diskussionsrunde zum bisherigen Seminar. Eine Teilnehmerin kommentierte den Filmbeitrag mit: „Es waren ganz normale Menschen zu sehen!“, was Frank Kruse aus seiner über 33-jährigen Erfahrung in der WLH nur bestätigen konnte. Wohnungslose Menschen sind eine sehr heterogene Gruppe mit hauptsächlich zwei Gemeinsamkeiten:
- Sie haben zu einem Zeitpunkt ihres Lebens ihre Wohnung verloren
- Sie sind in der Regel arm und haben meist Schulden
Leider zeige die Entwicklung der letzten Jahre, dass die Gruppe Wohnungsloser wohl weiter ansteigen werde. Die Mieten-Entwicklung in fast allen Städten und auch die aktuelle Corona-Krise würden dieses Problem noch eher verschärfen. Auch wachsende Altersarmut und die anstehende Verrentung geburtenstarker Jahrgänge trügen dazu bei.
Aus der Praxis machte Frank Kruse noch auf Probleme mit der Krankenversicherung (KV) aufmerksam: Wenn wohnungslose Menschen sich nicht regelmäßig den für sie vorgesehenen „Tagessatz“ beim Amt abholen würden, würden für sie sofort auch keine KV-Beiträge mehr gezahlt, wodurch sie für die KV zu „freiwillig Versicherten“ würden. Dadurch entstünden besonders auch bei obdachlosen Menschen im Laufe der Zeit fast immer Krankenkassenschulden.
Rechtliche Grundlagen der Wohnungslosenhilfe
Hier kommen in der Regel die SGB II und SGB XII zum Einsatz, in denen … #
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