Ein Gastbeitrag von Werner Franke (Berlin)
„Entschuldigen sie bitte die Störung“ konnten die Fahrgäste in den letzten Jahren oftmals im öffentlichen Nahverkehr vernehmen. Doch diese Worte werden in Zukunft im Zusammenhang mit dem „Strassenfeger“ nicht mehr zu hören sein. Mit der Ausgabe 08/2018 hat der Vorstand des Vereins Strassenfeger e.V. das Projekt Hilfe zur Selbsthilfe eingestellt.
Ersatzlos.
Auch der Tagestreff „Kaffee Bankrott" fällt dem Rotstift zum Opfer.
Entwicklung des „Strassenfegers“
Der „Strassenfeger“, ein traditionelles Sprachrohr Berlins wurde in den 90-ger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründet. Sowohl von Armut betroffene als auch wohnungslose Menschen, sowie mehrere Journalisten hatten sich zusammengeschlossen um mit ihrer Situation an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Verein „MOB e.V. – Obdachlose machen mobil“ dehnte seine Projekte im Laufe der Jahre aus. So entstand mit der Zeit ein Wohnhaus in der Oderberger Straße. Ein Gebrauchtwarenkaufhaus, der „Trödelpoint“ bot Möbel aus Haushaltsauflösungen, Bücher und Gebrauchsgegenstände des Haushalts an. Im „Kaffee Bankrott“, dem Sozialtreff armer Menschen, bot der Verein vollwertige Mahlzeiten zu kleinem Geld an. Außerdem war das Café ein Ort der Ruhe – im Gegensatz zum anstrengenden Leben auf der Straße – und ein wichtiger Treffpunkt für Menschen.
Im „Strassenfeger“ kamen die Menschen zu Wort, deren Situation nicht immer rosig war. Auch Themen, die in den kommerziellen Printmedien nicht alltäglich waren, bereicherten die Inhalte des „Strassenfegers“.
Als der Autor dieser Zeilen von Juni 2006 bis November 2006 als wohnungsloser Mensch in den Räumen der Notübernachtung seine Nächte zubrachte, und selbst Zeitungen verkaufte, wurden pro Ausgabe etwa 20.000 Exemplare auf den Straßen, vor Verbrauchermärkten und im öffentlichen Nahverkehr an die vielen Interessenten verkauft. Das Straßenjournal verstand sich dabei immer als Projekt der Hilfe zur Selbsthilfe.
Im Jahr 2006 war der „Strassenfeger“ Medienprojekt der Aufführung der „Dreigroschenoper“ im restaurierten Admiralspalast und diente als Programmzeitschrift. Künstler wie Klaus Maria Brandauer, Campino, Katrin Sass, Michael Kind und viele andere waren mit von der Partie. 34.000 Zeitungen wurden in Druck gegeben und alle Exemplare verkauft: Etwa 17.000 auf der Straße und 17.000 vor dem Admiralspalast. Ein weiteres Highlight war im Laufe der Jahre „Der Superpenner“, ein Comic zum Thema Wohnungslosigkeit und allem was damit zusammenhängt.
Wie geht es weiter?
„Rote Zahlen zu schreiben ist immer ein schleichender Prozess.“ So beteuerten die Macher die beiden vom Rotstift betroffenen Projekte nur zeitweilig einzustellen. Durch hohe Mietkosten wurden nach ihren Angaben Rücklagen aufgebraucht. Der Einbruch der Printmedien macht letztendlich auch vor den Straßenzeitungen nicht halt.
Wie geht der Vorstand des Vereins mit den leerstehenden Räumen des Gebrauchtwarenkaufhauses „Trödelpoint“ und dem Sozialtreff „Kaffee Bankrott“ aber nun um?
Die zur Zeit tragenden Säulen des Vereines sind das Wohnhaus und die Notübernachtung mit 31 Betten für Alleinstehende und ein Zimmer für wohnungslose Familien. Auf Grund der Zunahme wohnungsloser Familien hat sich der Vorstand entschlossen die freiwerdenden Räume als Notunterkunft für Familien mit hohen Subventionen des Berliner Senats auszubauen.
Natürlich braucht es weiterhin Notunterkünfte, gerade auch für Familien, aber doch bitte nicht auf Kosten der Straßenzeitungsverkäufer und Verkäuferinnen und der von Armut betroffenen Menschen. Wieder einmal werden die verschiedenen Interessen armer Menschen gegeneinander ausgespielt. Ist die Schließung sozialer Projekte wie dem Straßenfeger, dem „Kaffee Bankrott“ und dem „Trödelpoint“ aus finanzpolitischen Gründen gewollt?
Seit fast zwölf Jahren habe ich im Vertrieb am Ostbahnhof zusammen mit anderen Kollegen gearbeitet. Viele interessante und gute Gespräche konnten wir mit unseren Verkäufern führen. Nicht nur Inhaltliches sondern auch Persönliches tauschten wir aus. Es gab Verkäufer*innen, die in Tränen ausbrachen als sie von der Schließung erfuhren. Ihnen wurde nicht nur der Verdienst sondern auch die Tagesstruktur genommen. Mir werden die Begegnungen mit unseren Verkäufern fehlen. Mir wird auch der „Strassenfeger“ als Zeitung fehlen.
Ich bin als direkt Betroffener von der Entwicklung zutiefst enttäuscht.