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HARTZ IV“ laut BA-Chef eine „groß­zü­gige Regelung“?

Herr Scheele, fehlt es Ihnen an Aufmerksamkeit?“

Oder warum provo­zieren Sie rund fünf­ein­halb Millionen Menschen in diesem Land heraus? Die Zahl derer, die sich durch diese Äuße­rungen auf den Schlips getreten fühlen, dürfte um einiges höher sein. Denn auch Menschen, deren geringer Verdienst gerade mal reicht, um über die Runden zu kommen, verpassen Sie mit Ihren Ansichten eine schal­lende Ohrfeige."

WDR Integrationsgipfel 2016 Detlef Scheele (Foto: © Raimond Spekking / Wikimedia)
Detlef Scheele auf dem WDR Inte­gra­ti­ons­gipfel 2016
Foto: © Raimond Spekking / Wikimedia (CC-by-SA‑4.0)

Am Wochen­ende wurde Detlef Scheele, seit 2015 Vorstands­mit­glied der Bundes­agentur für Arbeit, von aktiencheck.de zitiert. In der Nacht zum Sonntag wurde daraus eine mehr als befremd­liche Stel­lung­nahme veröf­fent­licht. Laut dem gebür­tigen Hamburger ist nicht nur der Bezug von Arbeits­lo­sen­geld II (ALG II) eine „groß­zü­gige Regelung“. Herr Scheele zeigte sich offenbar auch positiv bestätigt, dass trotz der Krise durch die Corona-Pandemie „Hartz-IV“-Empfänger auch wieder sank­tio­niert werden dürfen.

Der SPD-Politiker unter­streicht mit weiteren Äuße­rungen, wie sehr er die Nähe zur Basis offenbar verloren hat. So erkennt Scheele zwar rich­ti­ger­weise, dass Menschen mit geringem Einkommen die Grund­si­che­rung durch ihre Steuern finan­zieren. Umgekehrt lässt der BA-Chef unerwähnt, dass die Kassie­rerin mit dem geringen Verdienst ebenfalls viel zu wenig Lohn für ihre Mühen erhält. Oder hat es der Sozi­al­de­mo­krat versäumt, in seine Über­le­gungen einzu­be­ziehen, dass nicht die „Hartz-IV“-Höhe, sondern viel mehr die Löhne und Gehälter der Gering­ver­diener das eigent­liche Problem sind?

Neben der erwähnten Kassie­rerin fällt uns auch der Frisör, der Gebäu­de­rei­niger, die Stewar­dess, der Kellner usw. ein, die ihre harte Arbeit auf der Lohn­ab­rech­nung zum Muster ohne Wert werden lassen.

Als „völligen Blödsinn“ – so wird Scheele zitiert – bezeichnet der BA-Chef die mögliche Einfüh­rung eines bedin­gungs­losen Grund­ein­kom­mens (BGE). Mit der Formu­lie­rung „Wer 1.000 Euro im Monat erhalte und keiner Arbeit nachgehe – da wüsste ich gerne, was aus den Menschen wird“ unter­streicht der Hanseate, wie wenig er den Menschen zutraut, die mit einem Grund­ein­kommen ihr Leben ohne Verpflich­tung zur Aufnahme einer Erwerbs­ar­beit orga­ni­sieren könnten.

Es mangelt ihn an der Phantasie, dass mehr Euros im Porte­mon­naie viel­leicht auch die allge­meine Kaufkraft ankurbeln könnte und dass der Binnen­markt und der Arbeits­markt davon profi­tieren könnten. Auch, dass durch das BGE – oder dass ebenfalls von einigen Poli­ti­kern ange­dachte Bürger­geld – das jetzige ALG II / „HARTZ IV“ ersetzen würde, und der Steu­er­zahler die derzeitig immensen Verwal­tungs­kosten nicht mehr mittragen müsste, fanden in seinen Berech­nungen wohl keinen Platz.

Detlev Scheele hat aus unserer Sicht jeglichen respekt­vollen Umgang mit Empfän­gern und „Aufsto­ckern“ vermissen lassen. Der BA-Chef hat dabei übersehen, dass dieje­nigen, die es trifft, sich schon seit Jahren an den Wahlurnen zu wehren wissen, und der SPD immer mehr ihre Zustim­mung zu dieser diskri­mi­nie­renden Politik verweigern.

Es waren in den Jahren 2002 und 2003 die Koalition von SPD und GRÜNEN unter der Führung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die diese „Arbeits­markt­re­form“ als Teil der Agenda 2010 auf den Weg brachten – die im Nach­hinein betrachtet nur zu berech­tigt – fast nur von DEN LINKEN und Gewerk­schaften vehement kriti­siert und bekämpft wurde.

Es war der miss­lun­gene Versuch einer „Reform“, der bis heute dazu geführt hat, dass etwa 25% aller Arbeit­nehmer in Deutsch­land zu Nied­rig­löhnen beschäf­tigt werden, diese Rege­lungen also für mindes­tens 6 Millionen Deutsche zur Armuts­falle wurden.  Es ist die „Reform“, die bis zu 10 Milli­arden Euro jährlich an Aufsto­ckungs-Leis­tungen für Arbeit­nehmer  erfordert, die von ihrem viel zu geringen Arbeits­lohn nicht leben können. Dabei sind die zu erwar­tenden stei­genden Zahlen durch die Corona-Krise hier noch gar nicht genau bekannt.

Herr Scheele, probieren Sie es doch einige Monate lang einmal aus, nur von der Grund­si­che­rung zu leben.
Oder wäre Ihnen solch eine Selbst­ver­such zu basisnah?

Mit der Behaup­tung, bei Hartz-IV handelt es sich um eine „groß­zü­gige Regelung“, verspielen Sie jegliches Vertrauen der Leis­tungs­be­zieher und erschweren den Jobcen­tern und ihren Mitar­bei­tern ihre Arbeit mit noch unzu­frie­de­neren „Kunden“.

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