Am 12. Juni 2019 traf sich das Bündnis Niedersächsischer Erwerbslosenberatungsstellen (BüNE) im DGB-Haus Hannover. Aus verschiedenen Städten Niedersachsens kamen wieder einmal 13 Vertreter*innen von Beratungsstellen zusammen, um von ihren Erfahrungen bei der täglichen Beratungsarbeit zu berichten und dabei auftretende Probleme zu diskutieren.
Im zweiten Teil des Fachtages referierte dann Horst-Peter Ludwig vom Diakonischen Werk Celle über das Thema Mietobergrenzen und Kosten der Unterkunft für Leistungsempfänger nach dem SGB II und SGB XII.
Das Treffen fand statt unter Begleitung der Landesarmutskonferenz Niedersachsen, bei der das Bündnis BüNE nun auch unterstützendes Mitglied geworden ist.
Matthias Braunholz begrüßte als Leiter der Beratungsstelle ●ASG Hannover alle Teilnehmenden, zu denen Sozialarbeiter*innen und Beratende aus folgenden Städten gehörten: Osnabrück, Nienburg, Celle, Peine, Göttingen, Osterode, Hildesheim, Braunschweig und Hannover.
Situation der Beratungsstellen vor Ort
Die versammelten Sozialberatungs-Experten berichteten dann reihum von ihrer Arbeit vor Ort in ihren Kommunen. Dabei fiel auf, dass nahezu alle von einer durchaus verbesserungswürdigen finanziellen Situation ihrer Beratungsstellen berichten mussten. Die Beschäftigung erfolge meist über zeitlich begrenzte Projektzusagen der Kommunen und auch bei den Sachkosten gebe es immer wieder Engpässe. Dabei gebe es durchaus Leitlinien, wie viele Beratungsstellen in einer Kommune angeboten werden sollten.
Es wäre deshalb durchaus sinnvoll und wünschenswert, wenn über längerfristige Förderungen eine bessere Planungssicherheit bei der Beratung armer Menschen mit Leistungsbezug nach SGB II und SGB XII erreicht werden könne. Die Notwendigkeit dieser Beratungen sei ja eindeutig an der hohen Zahl von Sozialgerichts‑Urteilen erkennbar, die in der Regel immer wieder zu Gunsten der klagenden Leistungsbezieher ausfallen würden.
Es gab aber auch einige positive Punkte, über die berichtet wurde:
Braunschweig
Beim ErSeBra Braunschweig gebe es mittlerweile zwei Außenstellen zur Beratung, für die auch mit Flyern geworben werde. In der Nordstadt solle künftig ein Erwerbslosenfrühstück angeboten werden, über das auch neue Klienten angesprochen werden sollen. Ein „HARTZ-IV Intensiv-Seminar“ werde angeboten und Kontakte mit der Agentur für Arbeit und dem DRK würden ausgebaut.
Ein Problem vieler Klienten sei ein zu langsames Bearbeiten von Anträgen. Die Nachfrage nach Schulungsmitteln wie Z. Bsp. Laptops ende bisher nur mit Vertröstungen.
Hildesheim
Vom TBA Hildesheim kam die Frage nach Nachweisen von Fortbildungen für Mitarbeitende. Über deren Art und Umfang gebe es offenbar keine wirklich konkreten Vorgaben?
Dis Zusammenarbeit mit dem Jobcenter „könnte besser sein“ – beim Thema „Schulmittel“ sei nicht richtig klar, wie intensiv dabei Schüler gefördert werden könnten. Darüber müsse besser informiert werden.
Sprachprobleme vieler Klienten würden oft eine Beratung erschweren. Es wären einige Fälle „Einstellung von Krankengeld“ vorgekommen.
Zuletzt wurde noch die Frage nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) gestellt und ob das nicht mehr ein Thema werden sollte?
Osterode
Von der LEB Osterode kam die Frage, wie Anträge transparenter und verständlicher gemacht werden könnten. Eine kritische Bemerkung gab es zum Verhalten einiger Klienten, die eine Art „Beratungs-Hopping“ machen würden, also Beratungsstellen ausprobierten, um eine für sie „bessere“ Beratung zu finden.
Göttingen
Auch von der LEB Region Südniedersachsen aus Göttingen gab es eine Beschwerde über unübersichtliche Bescheide, besonders bei Kindern.
Peine
Vom ErSePe Peine kam die Frage nach den Kosten von Fortbildungen für Mitarbeitende. Wie eindeutig müssten die im Etat berücksichtigt werden?
Durch relativ guten Kontakt zum Jobcenter hätte es die Möglichkeit gegeben, einen Arbeitstag eines Mitarbeiters des Jobcenters mitzuverfolgen. Könne das eine Anregung für andere sein?
Celle
Von der Beratungsstelle für Arbeitslose der Diakonie Celle kam die Frage nach neuen Richtlinien für Beratungsstellen, die 2020 kommen könnten und deren Konsequenzen für Folgeanträge. Die nunmehr monatlichen Zahlungen bei der Finanzierung ihrer Anträge seien absehbar zu niedrig. Was geschehe, wenn die Arbeitsverträge nach §16i SGB II einmal auslaufen würden? Die erhältlichen Infos beim Sozialministerium könnten hierzu besser sein.
Auch hier kamen Sprachprobleme neuer Klienten aus der Gruppe der Flüchtlinge zur Sprache. Auch mit „dolmetschenden“ Verwandten sei das oft problematisch. Dazu kämen dann Verständnisprobleme bei den erhaltenen Bescheiden und manchmal falsche Vorstellungen über gezahlte Leistungen, also Probleme des Haushaltens mit den verfügbaren Finanzen.
Nienburg
Es habe ein Treffen mit dem CDU-Abgeordneten Volker Meyer (Sprecher für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung im Landtag) gegeben.
Fortbildung sehe auch das Team der Beratungsstele Wohnwege (Herberge zur Heimat Nienburg e. V.) als wichtigen Punkt. Daneben sollte das Projekt BBGE (Bürgerinitiative BGE Nienburg) unterstützt werden, auch im Hinblick auf die wachsende Kinderarmut. Über die These „Leute brauchen Geld, um arbeiten zu können!“ von Götz Werner sollte mehr nachgedacht werden.
Osnabrück
Auch beim ASH Osnabrück beobachte man teilweise Wohnungsleerstände – leider in der Regel mit unbezahlbar teuren Mieten. Nachdem vor ca. 20 Jahren die kommunale Wohnungsbaugesellschaft verkauft worden sei, soll jetzt eine neue gegründet werden. Die Osnabrücker hätten gerade in einem Bürgerentscheid (parallel zur EU-Wahl) mit über 76% dafür gestimmt. Es sei eine „Klatsche“ für die aktuelle Ratsmehrheit!
Bei der Beratung kämen in letzter Zeit zunehmend Flüchtlinge hinzu. Dabei würde festgestellt, dass Angebote zur Sprachbildung immer wichtiger würden. Ein weiteres Problem sei die schleppende Bearbeitung bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse.
Auch in Osnabrück wurden unerwartet kurzfristig Bildungsnachweise für Mitarbeiter der Beratungsstelle angefordert.
Ein Neuantrag für weitere Förderung könnte zunehmend problematischer werden und steigende Personalkosten neben ebenfalls steigenden Sachkosten erhöhten die finanziellen Probleme: Durch weiteres Anwachsen der Unterdeckung bei der Landesförderung könnten damit nach 35 Jahren professioneller Sozialberatung Personalkürzungen anstehen.
Schulbedarf und Digitalisierung – dürften das dann zuletzt die Eltern zahlen? Dabei gebe es momentan eine sehr unsichere Lage der Förderung.
40 Jahre ●ASG Hannover
(Das Jubiläum dazu wurde am 17. Juni in der Bettfedernfabrik gefeiert – unsere Redaktion gratuliert!)
Die Runde endete mit der ●ASG Hannover, die durch eine direkte Jobcenter-Finanzierung eine Ausnahme darstellt. Daneben wird die ASG auch von der Stadt Hannover mitfinanziert.
(Da stellt sich doch sofort die Frage, warum das bei dieser für viele arme Menschen so wichtigen Art der unabhängigen Beratung die Ausnahme darstellt und nicht die Regel für alle Jobcenter?! – Kommentar unserer Redaktion)
Matthias Braunholz berichtete, dass der Verein mittlerweile einige Kontakte zu „aufgeschlossenen“ Landtagsabgeordneten mit „Grundgesetz-Treue“ habe. Es gebe Aussicht auf weitere Förderung, auch wenn noch nichts Konkretes vorliege. Der Abteilungsleiter im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung habe ein Treffen zugesagt, bei dem über Stand und Weiterentwicklung von Förderrichtlinien diskutiert werden solle. Das BüNE sollte die Liste geförderter Einrichtungen (… von der eine aktuellere Fassung leider seit 2017 fehle) dabei hinterfragen nach dem Motto: „Wo fehlen noch weitere Beratungsstellen?“
Ein weiterer Streitpunkt ergebe sich im Zusammenhang mit den zunehmend monatlich gezahlten Förderungen. Es gebe immer wieder Probleme mit verzögerten Förderungszusagen, die teils erst im April erfolgen würden. Für Beratungsstellen ohne Rücklagen könne das schnell existenzbedrohend werden – also Beratungsstellen „töten“! Außerdem sei eine kontinuierliche Erhöhung der Förderungen sehr sinnvoll, um die eigentliche Beratungsarbeit dauerhaft sicherzustellen.
Fortbildung
Zum Thema Fortbildung fragte Matthias Braunholz nach Anregungen für künftige Tagungen des Bündnisses. Die könnten bis zur Grenze von 5.000,- Euro vom BüNE veranstaltet werden.
Bei Fortbildungen für Mitarbeitende von Beratungsstellen seien besonders folgende Punkte zu beachten:
- Was sind die Mindestanforderungen?
- Wer führt sie durch?
- Wie qualifiziert muss die/der Referent*in sein?
Dazu wurden folgende angedachte Themen vorgestellt:
- Eingliederungsmaßnahmen (EinGV) – 1/2 Tag
- Mehrbedarfe – 1/2 Tag
- MOG und Wohnungsgröße – 1 Tag
- Rechtsberatungshilfe / Prozesskostenbeihilfe – 1/2 Tag
- WOG / KiZ – evtl. 2020
- EU-Bürger und SGB II
- Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)
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Vortrag „Mietobergrenzen und Kosten der Unterkunft“
Problem der „Begutachtung“ von Mietobergrenzen
Dieser Vortrag über die Situation bei Leistungsempfängern nach dem SGB II und SGB XII veranschaulichte die problematische Lage auf dem Wohnungsmarkt, die besonders in den Städten für arme Menschen immer bedrohlicher werde.
Horst-Peter Ludwigs vom Diakonischen Werk Niedersachsen informierte zunächst über Wohngeld und Angemessenheitsgrenzen. Vor dem Hintergrund, dass für arme Menschen besonders in den Städten mittlerweile praktisch keine Wohnungen mehr zu finden seien, könne bei Problemen mit dem Jobcenter schnell extremer Druck bis hin zu „Angst und Schrecken“ entstehen.
Auch das Thema Wohnnebenkosten belaste besonders arme Menschen immer mehr, die oft ihnen eigentlich zustehende Zahlungen nicht durchsetzen könnten, wodurch ihnen bundesweit bis zu 60 Millionen Euro pro Jahr vorenthalten blieben.
Bei Anfechtung abgelehnter Anträge auf Mietzahlung oberhalb der Gutachten-Grenzen vor einem Sozialgericht würden regelmäßig viele dieser Gutachten als rechtswidrig eingestuft. Besonders die falsche Interpretation von Bereichen der Landkreise, Regionen und Wohnungsämter würden regelmäßig beanstandet.
Eine Überprüfung und Widerspruch gegen ablehnende Bescheide sei also oft sinnvoll. Dazu seien zur Zeit bundesweit etwa 30.000 Verfahren anhängig.
Leider gebe es in der Regel bei Gerichtsverfahren eher keine grundsätzlichen Klärungen vor dem Sozialgericht – ob das nicht auch eine Folge davon sei, dass in der Regel Vergleiche für Anwälte lukrativer seien als Urteile?
Durch solche rechtswidrigen Gutachten würden die Einsparungen allein des Landes Niedersachsen auf 500.000 Euro bis zu einer Million Euro pro Jahr geschätzt. Auch sei es fragwürdig, dass die Gutachten vom Land bezahlt würden und die Gutachten-Firmen bei Problemen (für sie negativen Gerichtsurteilen) oft einfach durch Firmenneugründungen ungehindert weiter-„arbeiten“ könnten.
Dazu komme eine mangelhafte Veröffentlichung der Gutachten, trotz des eindeutigen Rechts auf Einsicht der betroffenen Kläger. Oft gebe es fragliche Berechnungen bei Mietkosten und Nebenkosten, falsche Berücksichtigung der Personenzahl einer Wohnung und auch eine zu geringe Anzahl berücksichtigter Wohnungen in den Gutachten. Zuletzt seien auch die langwierigen Verfahrenszeiten vor dem Sozialgericht zu beklagen, bei denen Widersprüche oft üblich seien.
Als weiteres Problem machte Horst-Peter Ludwig die oft übliche Pauschalisierung aus, die für ALG-II-Bezieher in der Regel einfach zu niedrig sei.
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Aus Sicht des Praktikers empfahl er als politische Forderung:
Forderung zur Mietobergrenze: Wohngeld-Tabelle plus 10 Prozent
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Kosten der Unterkunft
Wenn es zum Wohnen in einer zu teuren Wohnung kommt, ist ein Nachweis über eine alternative Wohnungssuche nötig. Dazu sollte das Jobcenter konkrete Anweisungen geben. Als ALG-II-Bezieher sollte man deshalb eine Liste mit allen vergeblichen Versuchen zur Wohnungsfindung erstellen.
Offenbar werde die Auswahl solventer Mieter immer noch größer, was auch als Grund für weiter steigende Mieten gesehen werden müsse. Daher müsse auch bei einer Mietobergrenze Wohngeld-Tabelle plus 10 Prozent bei Bedarf individuell mehr gezahlt werden.
Da es bei Vermietern auch eine Anpassung ihrer Mieten preiswerterer Wohnungen an die jeweiligen Sozial-Zahlungen gebe, sei die Schaffung von mehr sozial-preisigem Wohnraum durch die öffentliche Hand unabdingbar.
Fazit der Tagung
Zuletzt fassten Matthias Braunholz und Lars Niggemeyer (vom DGB Niedersachsen, auch Sprecher der LAK Niedersachsen) wichtige Punkte zusammen:
- Wohnungsnot betrifft auch immer mehr „normale“ Gering-Verdiener
- Brauchen wir eine Landes-Wohnungsbaugesellschaft?
- Das Land muss mehr Wohnungen kaufen!
- Die Schaffung günstiger, bezahlbarer Wohnungen muss erleichtert werden
- Jobcenter-Aufforderung zur Suche nach einer preiswerteren Wohnung:
- Über 3.000 Fälle aus der Region Hannover sind der LAK Niedersachsen für 2018 bekannt
- Dabei sind lediglich 93 Umzüge möglich gewesen
- Aber 458 Fälle schieden aus dem ALG-II-Bezug aus
- für Niedersachsen werden > 90.000 Fälle von Minderzahlungen zu Ungunsten der Leistungsbezieher geschätzt (mit jeweils etwa 90,- Euro Fehlbetrag pro Fall) - Was soll mit Wohnungs-Leerständen geschehen?
… Beschlagnahmung?
… Steuerrechtliche Lenkung? – Leerstand verteuern ist nötig! - Sozialer Wohnraum muss langfristig geschaffen werden!
(also in der Regel nicht durch private Wohnungsbaugesellschaften?!) - Problemhafte Vergleichsräume dürfen künftig nicht mehr benutzt werden,
um angemessene Mietgrenzen „nach unten“ zu ziehen - Überdenken der Umlage von Kosten der „Modernisierung“ auf Mieter
- 8% SGB-II-Bezieher, die „unangemessen“ untergebracht wohnen?
- Künftige Koppelung von MOG und Wohngeldtabelle?
- Bessere Klärung der Zuständigkeit von Ministerien?
(… Soziales kontra Wohnungsbau) - Selbstverständnis von Städten:
- Weiterer sozialer Wohnungsbau nicht erwünscht?
- „Das lockt „falsche“ Bewohner an“? - Wie gehen andere EU-Länder mit solchen Problemen um?
- Skandinavien: Nur ein Haus pro Bewohner?
(Grund bleibt Landeseigentum)
- Niederlande: 800,- Euro Rente plus Wohnkosten im Alter?
Gemeinsame Positionen
Forderungen an die Gesellschaft
- Auch ALG-II Bezieher müssen als Mieter akzeptiert werden!
- Alte, Kinderreiche, e.t.c. ebenso!
- Grundgesetz-widriges Verhalten sollte geahndet werden!
Wir danken der Landesarmutskonferenz Niedersachsen und dem Bündnis Niedersächsischer Erwerbslosenberatungsstellen für die Einladung zur Teilnahme an diesem Fachtag.
Er ermöglichte interessante Einblicke in die Arbeit der beteiligten Beratungsstellen. Etwas erschreckend fanden wir die zahlreichen Probleme, die abseits der eigentlichen Beratungsarbeit für Klienten offenbar immer wieder den Alltag der Beratenden beeinträchtigen.
Für die wichtige Arbeit, die hier für arme Menschen mit Bezug von Leistungen nach SGB II und SGB XII erbracht wird. wünschen wir uns eindeutig eine bessere Unterstützung durch das Land Niedersachsen und die Kommunen.
Wir werden gerne auch künftig über die weitere Arbeit und weitere Treffen des BüNE berichten.