Vor wenigen Wochen berichteten wir über den Armutskongress 2019. Ich selbst war zu diesem Anlass direkt vor Ort in Berlin. Als ich am Abend nach dem 1. Kongresstag per Bus zum Hotel fuhr, lief unweit vom Friedrichstadt-Palast ein Fuchs quer über die Fahrbahn. Zu diesem Zeitpunkt war es menschenleer auf der Straße. Und selbst wenn – wer sich auskennt, weiß, dass Füchse in der Regel eine gewisse Scheu vor Menschen haben und diese schlauen Zeitgenossen für uns Zweibeiner völlig harmlos sind.
Exakt dreieinhalb Wochen später machte unsere Redaktion wieder eine Begegnung mit Füchsen aus Berlin. Sie kamen allerdings nicht überraschend, denn die gleichnamige Handballmannschaft machte am 29. Spieltag Halt in der KAMPA-Halle. Der Wunsch, sie mögen mindestens genauso scheu und harmlos sein wie der echte Fuchs auf Berlins Straßen, war seither gewachsen. Das hofften zumindest auch die einheimischen Fans in Grün-Weiß – und die Hoffnung war berechtigt. Zum einen ist es der Mindener in dieser Spielzeit gewohnt, dass die eigene Mannschaft gegen die Topteams regelmäßig gute Leistungen abruft, zum anderen hinken die Spieler aus der Bundeshauptstadt mit Tabellenplatz sieben ihren eigenen Erwartungen deutlichst hinterher.
Vor dem Anpfiff traf man allerdings auch auf verärgerten GWD-Anhang. Bemerkungen über den GWD-Auftritt eine Woche zuvor in Melsungen waren dabei recht bissig. Der Großteil gewann dem Spiel in Kassel wenig positives ab, mit fast einer Ausnahme – Leon Grabenstein. Die Verletzung von Torhüter Espen Christensen bewegte Trainer Frank Carstens zu Mut und „Risiko“, und er ließ das Tor von einem Teenager hüten. Sprach man die Fans auf die Art und Weise der Spielweise der Mannschaft, gingen die Mundwinkel nach unten. Das änderte sich schlagartig, als man den Namen Leon Grabenstein erwähnte. Sein erstes Bundesligaspiel absolvierte er mit Bravour, ganz so als stünde er ständig in Erstligaspielen im Tor.
Da Christensen sich bedauerlicherweise immer noch am auskurieren musste, vertraute Carstens zu Beginn dem erfahreneren Kim Sonne den Job des Abwehrens von Gegentreffern an. Das Spiel lief keine Viertelstunde, als Sonne durch Grabenstein ersetzt werden musste. Der Däne wirkte nach einem Zweikampf leicht angeschlagen, so dass die GWD wieder auf den Youngster vertrauen durfte. Unsere Redaktion wünscht beiden angeschlagenen Keepern die besten Genesungswünsche.
Nach dem Spiel gab es durchweg nur Komplimente für die gesamte Mannschaft der GWD Minden. Sie habe nur wenige Fehler gemacht, und dem Favoriten aus Berlin ordentlich die Stirn geboten. Die 3.800 Zuschauer vor Ort wurden Zeuge eines Spiels auf Augenhöhe. 60 Minuten lang wechselte die in Führung liegende Mannschaft regelmäßig, aber kein einziges Mal lag ein Team mit mehr als zwei Treffern in Führung. Der Spielverlauf löste Emotionen aus, das Publikum geriet lautstark in Ekstase. So lautstark, dass Velimir Petkovic als Trainer der Gäste schwer beeindruckt von der Atmosphäre war. Aus Grün-Weißer Sicht hatte dieser 5. Mai nur einen Haken: Das Endergebnis. Mit 28:27 stahlen die Füchse beide Punkte, und gaben sie zum Ende des Spiels auch nicht wieder her.
Dabei roch es eine halbe Minute vor Spielschluss noch stark nach einem Punkt. Denn zu diesem Zeitpunkt glich Dankersen aus und egalisierte einen Zwei-Tore-Rückstand, der wiederum 60 Sekunden nach Vorentscheidung aussah. Nach Spielschluss wurde heftig diskutiert, ob genau die letzten 30 Sekunden zuviel waren. Oder wurde gar die zweite Hälfte fünf Minuten zu früh angepfiffen? Denn genau in dieser Phase verspielten sich die Mindener ihre 14:12 Pausenführung. Überhaupt nichts zu diskutieren gab es am Auftritt der GWD. Nach dem Spielende blieben alle auf der Achterbahn der Gefühle. Ein wenig traurig darüber, dass es nicht ganz gereicht hatte. Aber alle waren stolz darauf wie gut sich die Mannschaft präsentiert hatte.
Eine Mannschaft, zu der ganz urplötzlich ein junger Mann namens Leon Grabenstein gehört. Natürlich, es bleibt ein Mannschaftssport, und ein Einzelner, der heraus sticht, reicht nicht aus, wenn die anderen nicht mitspielen. Doch seit einigen Tagen macht es in Minden wieder Spaß, sich auf die Zukunft zu freuen. Denn wenn das bei dem 19-jährigen Talent erst der Anfang ist, dann werden in absehbarer Zeit nicht nur Füchse gezähmt.