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Keine Gnade auf der Straße“ – jetzt auch in Nienburg

Am Freitag, den 8. November 2019 hatte das Kaufhaus FUNDUS in Nienburg zur Eröffnung der Ausstellung …

Keine Gnade auf der Straße“
vom 8.11. bis zum 22.11.2019
im FUNDUS Kaufhaus Nienburg

… mit Bildern von Karin Powser einge­laden. Karin ist als Foto­künst­lerin seit vielen Jahren in Groß­städten – und dabei besonders in Berlin – unterwegs, um das Leben „draußen auf der Straße“ zu dokumentieren.

Kaufhaus FUNDUS – Ausstellung Keine Gnade auf der Straße – Fotografin Karin Powser
Kaufhaus FUNDUS – Ausstel­lung Keine Gnade auf der Straße – Foto­grafin Karin Powser

Dabei liegt ihr Schwer­punkt auf Foto­gra­fien von Menschen, für die die Straße oft zur letzten Zuflucht nach dem Verlust ihrer Wohnung geworden ist.

Keine Gnade auf der Straße!“

Kaufhaus FUNDUS Nienburg -Logo
Kaufhaus FUNDUS Nienburg 

Die Eröffnung wurde von Matthias Mente (Geschäfts­füh­rung der Nien­burger Wohn­raum­hilfe gGmbH und Sozi­al­ar­beiter beim Verein Herberge zur Heimat Nienburg e. V.) moderiert, der alle Gäste und besonders Karin Powser im Kaufhaus FUNDUS begrüßte.

Begrüßung durch Matthias Mente, Sozialarbeiter beim Kaufhaus FUNDUS
Begrüßung durch Matthias Mente, Sozi­al­ar­beiter beim Kaufhaus FUNDUS

Bettina Mürche eröffnete als Vorsit­zende der Herberge zur Heimat Nienburg e. V. die Grußworte mit der Frage „Keine Gnade auf dem Wohnungs­markt?“ in Anlehnung auf den Ausstellungstitel.

Herberge zur Heimat Nienburg - Logo

Mit dieser Anregung zum Nach­denken über die aktuelle Entwick­lung am Wohnungs­markt in deutschen Gemeinden verband sie die Forderung nach Schaffung von ausrei­chendem bezahl­baren Wohnraum.

Bettina Mürche bei der Ausstellungseröffnung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg
Bettina Mürche bei der Ausstel­lungs­er­öff­nung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg

Immer mehr Menschen mit eher niedrigem Einkommen würden heute keinen finan­ziell ange­mes­senen Wohnraum finden. Daher bat sie auch für das Nien­burger Wohnungs­bau­pro­jekt „Aktiv Wohnraum schaffen“ der Nien­burger Wohn­raum­hilfe gGmbH zu Spenden auf – z. Bsp. auch als Weih­nachts- oder Geburtstagsgeschenk.

Helge Limburg (MdL Nieder­sachsen für Bündnis 90/Die Grünen und Parla­men­ta­ri­scher Geschäfts­führer) bedankte sich bei Karin Powser für die Ausstel­lungs­fotos, also für ihre Kunst für Menschen. Dabei betonte er die Bedeutung von Kunst, um Menschen zusam­men­zu­bringen, um dann inne zu halten und viel­leicht auch über manches nachzudenken.

Helge Limburg (MdL Nds.) bei der Ausstellungseröffnung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg
Helge Limburg (MdL Nds.) bei der Ausstel­lungs­er­öff­nung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg

Er sehe – auch als Jurist, der er sei – heute wieder einen Bedarf, den Rechts­staat gegen Angriffe zu vertei­digen. Auch sehe er die Politik in der Pflicht, das Menschen­recht auf ange­mes­senen Wohnraum sicher­zu­stellen. Es gehe darum, jedem Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten – aber keine Massen­un­ter­kunft! – unter dem er eine Heimat finden könne.

Mit der Erin­ne­rung an Wien mit seinem extrem großen Bestand an sozial leist­baren städ­ti­schen Wohnungen sehe er auch die Notwen­dig­keit einer Landes-Wohnungs­bau­ge­sell­schaft, mit der neu gebaute Wohnungen auch lang­fristig im Gemein­de­be­sitz bleiben sollten.

Dr. Frank Schmädeke (MdL Nieder­sachsen, CDU) begrüßte alle Gäste mit der Auffor­de­rung, doch einmal über eine Mitglied­schaft im Herbergs­verein Nienburg nach­zu­denken. Er betonte die Unter­stüt­zung des Landes für Wohn­be­ra­tungs­stellen, sehe aber auch die Probleme vieler Menschen bei drohender Wohnungs­lo­sig­keit, die dann auch leicht zur Obdach­lo­sig­keit führen könnten.

Dr. Frank Schmädeke (MdL Nds.) bei der Ausstellungseröffnung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg
Dr. Frank Schmädeke (MdL Nds.) bei der Ausstel­lungs­er­öff­nung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg

Hier sei eine stetige Anpassung finan­zi­eller Förde­rungen an die allge­meine Kosten­stei­ge­rungen nötig. Auch bei den 34 Tages­auf­ent­halten in Nieder­sachsen, die mit etwa 19.700 Besuchern 2016 einen weiter stei­genden Hilfe­be­darf aufzeigten. Das sei eine Stei­ge­rung von 16% zum Vorjahr und von etwa 30% im Fünfjahres-Zeitraum.

Er begrüße diese Ausstel­lung als Möglich­keit eine größere Öffent­lich­keit für die Wohn­pro­bleme vieler Menschen zu schaffen. Das mache die Einfor­de­rung von drin­gendem Handeln möglich und könne einen Anstoß für mehr gemein­sames Handeln liefern.

Was ist denn Gnade?“

Detlev Kohlmeier (Landrat des Land­kreises Nienburg an der Weser und auch Vorsit­zender des Land­schafts­ver­bandes Weser-Hunte e. V.) stellte danach diese Frage.

Laut Wikipedia verstehe man darunter „die Abwei­chung einer Regelung zum Vorteil des Begna­deten“. Aber Wohnung dürfe eben keine „Gnaden­gabe“ sein, auch wegen dem gnaden­losen Leben für Obdach­lose auf der Straße.

Landrat Detlev Kohlmeier bei der Ausstellungseröffnung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg
Landrat Detlev Kohlmeier bei der Ausstel­lungs­er­öff­nung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg

Es gebe viele indi­vi­du­elle Gründe für eine Wohnungs­lo­sig­keit, die heute praktisch jeden Bürger treffen könne. Bezahl­barer Wohnraum werde damit immer wichtiger, der auf dem Lande oft noch gegeben sei. Es gebe aber einen Drang zum Leben in der Stadt mit der dort in der Regel besseren Versor­gung armer Menschen, und dabei sehe er Gemeinden und Land in der Pflicht, ange­mes­senen Wohnraum anzu­bieten – auf der Straße gebe es nun mal keinen Schutz vor Kälte oder Hitze und auch keine Intim­sphäre. Aber selbst­ver­ständ­liche Wohn­um­stände, die nur eine eigenen Wohnung bieten könne, sollten doch für alle Bürger möglich sein.

Detlev Kohlmeier dankte zuletzt Karin Powser für ihre Bilder, die sehr viel erzählen würden und leider zu viele Lebens­si­tua­tionen zeigen würden, die es zu verbes­sern gelte.

Sicher­heit und Ordnung

Harald Bremer (Vorstand des Karl-Lemmer­mann-Hauses – Sozi­al­päd­ago­gisch betreutes Wohnen – e. V.) erinnerte daran, dass heut­zu­tage oft vorrangig ein beson­deres Augenmerk auf Sicher­heit und Ordnung gelegt werde, was oft zu einer Verdrän­gung Obdach­loser in Städten führen würde. Da sei es gut, wenn Einrich­tungen wie die Herberge zur Heimat das Thema Wohnungs­lo­sig­keit aus der „Schmud­del­ecke“ heraus­holen würde. Er begrüße es, das dieses Wirken in unserer Gesell­schaft Menschen neue Chancen geben könne.

Harald Bremer bei der Ausstellungseröffnung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg
Harald Bremer bei der Ausstel­lungs­er­öff­nung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg

Harald Bremer betonte die Authen­ti­zität von Karin Powsers Bildern. Er sehe darin auch eine Auffor­de­rung zum Inves­tieren in unsere Gesell­schaft, in der es heute offenbar zu viele „Abge­hängte“ Menschen gebe. Er denke dabei besonders an arme und wohnungs­lose Menschen, aber auch an viele Jugend­liche, die zu wenig Unter­stüt­zung finden würden.

Matthias Mente bedankte sich bei allen Förderern und besonders bei Harald Bremer, dessen Verein den größten Beitrag zur Ausstel­lung geleistet hätte.

Danach kam Uwe Eger (aus dem Vorstand der Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e. V. in Gründung) zu Wort:

Moin moin, zusammen!“

Alle Gäste hätten jetzt schon viel gehört von allen Vorre­denden. Ihm bleibe also haupt­säch­lich etwas im Namen der Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e. V. (in Gründung) zu sagen. Er bedankte sich bei Karin Powser für ihre Bilder, ihre Ausstel­lung und auch für die Einladung zur Teilnahme an der Eröffnung heute, gefolgt von der Frage:

Was stellen die Bilder eigent­lich dar?“

Elend, das sich allen Sinnen offenbart!“

… war seine persön­liche Antwort. Er kenne aus eigener Erfahrung solche Situa­tionen, in denen obdach­lose Menschen immer wieder normalen Passanten in unan­ge­nehmen Situa­tionen begegnen würden und oft auf Ablehnung stoßen würden.

Er sehe auf Kongressen oft nur verwal­tende Menschen, viele Politiker – dabei frage er sich immer wieder: Wo bleiben die Betrof­fenen, die Menschen auf der Straße?

Ob sie denn immer nur selber Schuld an ihrer Lage hätten? Dazu verdammt zu sein, nicht mehr hoch zu kommen als Betroffene?

Solche Situa­tionen würden ihn immer wieder aufregen. Ein Gefühl von Hilfs­lo­sig­keit, Hoff­nungs­lo­sig­keit, das auch immer wieder aggressiv machen könne.

Uwe Eger forderte deshalb mehr Begeg­nungen auf Augenhöhe, die einfach nötig seien für die Verbes­se­rung der Situation obdach- und wohnungs­loser Menschen. Auch im Hinblick auf das Auftreten der „AfD“, mit der heute ein Wegsperren und Schlim­meres im Umgang mit „uner­wünschten“ Menschen wieder denkbar erscheine.

Danach zeigte sich Dr. Stefan Schneider (Koor­di­nator der Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e. V. in Gr.) von den Worten seines Vorred­ners bewegt. Er fragte nach Entwick­lungen der letzten Jahr­zehnte, ob es heute eine „neue“ Situation gebe?

Dr. Stefan Schneider bei der Ausstellungseröffnung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg
Dr. Stefan Schneider bei der Ausstel­lungs­er­öff­nung im Kaufhaus FUNDUS Nienburg

Er sehe, dass die Bilder Karin Powsers Betrof­fen­heit schaffen würden. Schon um 1993 habe er Kontakt mit Karin gehabt, die damals ihre Bilder in schwarz­weiß foto­gra­fierte, die dann noch entwi­ckelt werden mussten. Damals hätte es noch keine Tafeln und Arztmobile gegeben, nur verein­zelt erste Stra­ßen­zei­tungen. Seither habe es über die Jahre eine lange Entwick­lung gegeben: Um 2000 herum hätte es nach einer Besserung für Obdach­lose ausge­sehen, aber seit etwa 2006 sei eine stetige Verschlech­te­rung bemerkbar.

Heute gebe es große Vorbe­halte gegenüber jeder Kamera, sicher auch eine Entwick­lung mit dem Aufkommen sozialer Medien, der Ausschlach­tung von Stories über obdach- und wohnungs­lose Menschen von verschie­denen Medien für ihre oft zwei­fel­haften Zwecke … trotzdem schaffe es Karin Powser noch, ihre Bilder zu machen, ihre wichtige Arbeit fort­zu­setzen – die auch mit dem Kauf des Ausstel­lungs­ka­ta­logs direkt unter­stützt werden könne.

Wer einmal arm wird, der bleibt es auch!“

Für Berlin beobachte er eine stetige Verschlech­te­rung der Verhält­nisse für Obdach­lose. Die Stimmung werde immer hoff­nungs­loser und leider auch immer gewalttätiger. 

Es sei eine zuneh­mende Ausweg­s­lo­sig­keit zu bemerken, bei Schulden mit Schufa-Einträgen und schließ­lich bei dann folgendem Wohnungsverlust.

Eine Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen?

Dem setzte Stefan Schneider dann die Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen (SWM) entgegen mit der Frage: Was kann politisch erreicht werden? Der Kampf von etwa 90 aktiven SWM-lern gegen die deutsche Immo­bi­lien-Lobby? Das sei doch ein ziemlich schwerer Stand.

Es gelte, die Daseins­vor­sorge als Pflicht aller Kommunen ener­gi­scher einzu­for­dern. Einrich­tungen wie das Kaufhaus FUNDUS und andere Treffs seien zwar ein positiver Ansatz, sie könnten aber nur ein Anfang sein. Die Hilfe darf nicht damit aufhören, nur Schlaf­säcke und heißen Kaffee zu verteilen!

Forderung nach bezahl­barem Wohnraum für Alle

Matthias Mente empfahl zuletzt noch die EU-Initia­tive „Bezahl­barer Wohnraum für Alle“ (.… eine Initia­tive, die mit den Brexit-Querelen mitt­ler­weile einge­stellt wurde im Jahre 2020) mit den auslie­genden Unter­schrif­ten­listen zu unter­stützen. Das sei ja auch Ziel der Nien­burger Initia­tive „Aktiv Wohnraum schaffen“ – die etliche barrie­re­freie Wohnungen schaffen werde. Eine Spende sei doch auch eine gute Hilfe bei der Weihnachtsgeschenk-Suche.

Ausstellungseröffnung FUNDUS Nienburg - Glücksrad für Wohnungssuchende
Ausstel­lungs­er­öff­nung FUNDUS Nienburg – Glücksrad für Wohnungssuchende

Damit entließ er die Gäste in die Abschluss­runde mit offenen Diskus­sionen bei kleinen Häppchen, Kaffee und einem abschlie­ßenden Gang durch die Ausstel­lung vor dem Kaufhaus FUNDUS samt Möglich­keit zum Glücksrad-Drehen – mit Option zum Hauptgewinn:

Viel­leicht einer neuen besseren UND bezahl­baren Wohnung?

Wir danken Matthias Mente, allen Betei­ligten und dem Herberge zur Heimat Nienburg e. V. für die Einladung dieser immer wieder inter­es­santen Ausstel­lung mit den Bildern Karin Powsers.

Wir wünschen dem Kaufhaus FUNDUS mit der Ausstel­lung viele neue Gäste. Es wird wohl für Jahre ein langer Kampf um mehr Öffent­lich­keit für das Thema Wohnungs­not­stand durch fehlende bezahl­bare Wohnungen bleiben – wir werden weiter davon berichten.