„Schreibe, was du willst, du darfst alles machen. Sei dabei ruhig gemein, denn schließlich war unsere Leistung auch sehr gemein!“ Mit diesen Worten erklärte mir Frank Carstens nach dem Spiel gegen die Berliner Füchse das Auftreten der GWD Minden am Donnerstag. Der Trainer der Heimmannschaft bezog sich dabei auf die erste Halbzeit in Spiel 4 der Saison 2021/22. Am Ende bezogen die Ostwestfalen eine 25:31 Niederlage gegen die Hauptstädter, damit bleiben die Grün-Weißen nach wie vor punktlos, dazu sieht die Tordifferenz von Minus 33 bereits so früh in dieser Spielzeit etwas finster aus.
Das knappe Gespräch mit Trainer Carstens begann jedoch mit einem Kompliment, und zwar für den Kampfgeist und der tollen Leistung in der 2. Hälfte. Wenn man nämlich nur diese 30 Minuten betrachtet, so hatte die GWD diese Phase mit 15:12 Toren gewonnen. Und hier stimmte tatsächlich sehr vieles: Zweikämpfe, die Deckung, die Angriffslust – und auch die Moral. Die Mannschaft wirkte wie eingespielt, aber auch wie ausgewechselt. Die, die auf dem Platz waren, glaubten nun wieder an sich. In diesem Punkt waren die Heimischen sogar dem Publikum voraus, der Großteil der rund 1000 Zuschauer war bereits enttäuscht. Denn wie jedes Pflichtspiel bestand auch die Begegnung mit Berlin aus zwei Halbzeiten.
Und das war das Problem, nämlich die erste Hälfte. Sehr schnell zeigte sich, dass die Gäste nicht erneut auf einen grün-weißen Stolperstein reinfallen wollten. Denn trotz der drei Auftaktniederlagen waren die Hoffnungen des Publikum nicht unbegründet. Gegen die Füchse wurde in den letzten Jahren mit tollen Leistungen geglänzt und mit Punkten belohnt. Zudem hoffte man auch, dass den Berlinern das Europacup-Spiel sowie die Anfahrt in den Knochen steckte. Erst am Dienstag stiegen die Gäste erfolgreich international in die Saison ein, und bejubelten beim KS Azoty-Pulawy im Osten Polens die Grundlage für das Rückspiel nächste Woche.
Spiel und Anfahrt ein Problem für die Füchse? Im Gegenteil, mit dem Anpfiff trat der aktuelle Tabellenführer direkt wieder ins Gaspedal, und belagerten das Gehäuse von Torwart Carsten Lichtlein so, wie Kirmesbesucher es normalerweise bei einer Schießbude machen. Jeder Schuss ein Treffer – was auch keine allzu große Kunst war, denn die Hausherren der KAMPA-Halle halfen teilweise tatenlos mit. Vor allem wirkte Dankersen alles andere als ein Team. Denn wenn sich in dieser Anfangsphase mal ein Grün-Weißer mal in die andere Hälfte wagte, schob die gegnerische Abwehr direkt den Vorhang zu.
So dauerte es knappe 7 Minuten bis der erste GWD-Treffer fiel: Das Tor von Nikola Jukic verkürzte jedoch das Ergebnis auf 1:5 – ein Zeitpunkt, bei dem so ziemlich jedem in der Halle klar war, das ein Punktgewinn nur noch ein schöner Traum war. Auch deshalb, weil sich der desolate Auftritt der Ostwestfalen fortsetzte. Am Ende der 1. Halbzeit lagen das Tabellenschlusslicht gegen den Tabellenführer mit 10:19 in Rückstand. Und, angesichts des zuvor Gezeigten, aussichtslos in Rückstand.
Die GWD Minden hat ja im Sommer einen spürbaren Teil seiner ursprünglichen Stammspieler gehen lassen müssen. Dafür kamen natürlich neue Spieler nach Dankersen. Und vor allem sehr junge Spieler. Diesen muss man natürlich auch die Zeit geben. Zeit ist in diesem Fall ein dehnbarer Begriff, an jenem 23. September nannte sich dasselbe Wort Pausentee. Mit Beginn der 31. Minute trugen die Teams nach dem Seitenwechsel selbstverständlich noch die selben Trikots, aber die Gastgeber trugen zusätzlich eine ganz andere Form von Einstellung auf das Spielfeld.
Man könnte auch formulieren, dass im Unterschied zu den ersten 30 Minuten die Grün-Weißen den Anpfiff nicht überhört haben. Denn jetzt wurde gefightet, die Gegner bewacht, angegriffen, und man nahm es mit dem Meisterschaftsanwärter auf. Nach und nach holte man sich die Zuschauer wieder zurück, obwohl jeder wusste, wie der Sieger am Ende heißen würde. Die ersten zwei Treffer nach Wiederanpfiff erzielte die GWD, und wenn wir nur diese zweite Hälfte durchrechnen, so sind in dieser halben Stunde die Füchse nicht einmal in Führung gegangen. Was wäre gewesen, wenn die GWD bereits in der ersten Hälfte …
Wie schon mit der Veröffentlichung des schweren Startprogramms befürchtet, ist nun mit den verbleibenden 30 Spielen ein Kampf um den Ligaverbleib eröffnet. Das Spiel gegen Berlin hat bewiesen, dass mit allem auch zu rechnen ist. Nehmen wir die erste Hälfte als Grundlage, so wäre die GWD in dieser Verfassung chancenlos. Mit der Einstellung der zweiten Halbzeit ginge in jedem Fall mehr. Dieser Einsatz hilft nicht nur, Ergebnisse kosmetischer zu gestalten – mit der Einstellung kann man sich auch Schlingen entziehen. Mit einer solchen Einstellung kann man Rückreisen aus Kiel (nächster Gegner am 3.10.) auch zufriedener gestalten. Wir wünschen eine gute Fahrt, und kommt gut vom Erdgeschoss weg. Das erhöht die Hoffnung auf den 9. Oktober, wenn zum Derby TuS Lübbecke anreist.