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Köszönöm, Doktor Eurovízió – ESC and Eat made in Hungary

Wenn man in den vergan­genen Jahren sich über Ungarn unter­halten hat, so war dies selten positiv. Viel zu sehr hat die Regie­rungs­ar­beit von Victor Orban das west­eu­ro­päi­sche Demo­kra­tie­ver­ständnis vermissen lassen. Aber alles hat zwei Seiten. Man könnte so einige Länder aufzählen, bei deren Nennung man auto­ma­tisch die Menschen­rechts­lage auf den Prüfstand bringt. Jedoch – ist es fair, nur aufgrund der poli­ti­schen Situation ein ganzes Land in Miss­kredit zu bringen? Nach 11 Monaten Pause, und endlich wieder, beant­wor­tete Doktor Euro­vi­sion Irving Benoit Wolther zusammen mit hungrigen Freunden des Euro­vi­sion Song Contests mit einem mehr als deut­li­chen Nein.

ESC-Fans und Ungarn – im Unter­schied zu der oben ange­führten Frage fällt hier die Antwort seit 2020 noch magerer aus. Zumindest im Mai, also dem Zeitpunkt, wenn sich der Vorhang für Europas größte Musikshow hebt. 2019 in Tel Aviv war letztmals ein Beitrag von der DUNA  (unga­ri­scher Fern­seh­sender) einge­reicht worden, seither glänzt man in diesem  Teil Südost­eu­ropas mit dem Fern­bleiben des Wett­be­werbs. Genaue Gründe liegen seitens des Senders oder einem sonstigen Vernat­wort­li­chen nicht vor, die Fans unter­stellen den Magyaren jedoch gerne mal die Absicht, dass dem Land und seiner gestren­geren Staats­füh­rung zu queer und regen­bo­gen­lastig ist.

Ausge­rechnet Ungarn – dabei waren sie es gemeinsam mit Rumänien, die schon Ende der 1980er Jahre – zu einem Zeitpunkt, als ostwärts der Eiserne Vorhang noch Bestand hatte – an die Tür der EBU anklopfte. Man wollte da schon Mitglied in Europas gemein­schaft­li­cher TV-Union werden, um in erster Linie ihre Musik am ESC teil­nehmen zu lassen. Doch erst nach den poli­ti­schen Umstürzen gelang es, sich Zutritt zum Festival zu verschaffen. 1993 gab es erstmalig einen Beitrag Ungarn´s zum Song Contest, doch Europa wartete beim Finale im irischen Mill­street Town vergeb­lich auf den Song "Arva Reggel" von Andrea Szulak. Da außer den Magyaren sechs weitere "neue Nationen" ebenfalls ihre Première feiern wollten, schickte man alle Beiträge zunächst  in die slowe­ni­sche Haupt­stadt Ljubljana zu einer Vorauswahl, wo die damals 29jährige schei­terte. Erst ein Jahr später, wieder in Irland, dafür in Dublin, bekam die auser­wählte Friderika Bayer die Chance, ihr zartes Chanson "Kinek Mondiam el Vetkeimet" auf Platz 4 zu singen. Besser schnitt Ungarn danach bis zum heutigen Tag nicht mehr ab.

Ungarn machte danach oftmals sehr unre­gel­mäßig mit, mit mäßigem und über­schau­baren Erfolg. So mussten sie 13 Jahre warten, um überhaupt wieder in die Top Ten zu gelangen. Zwischen 2011 und 2018 waren sie in diesem Bereich lediglich noch drei Mal anzu­treffen, aber dafür schafften alle acht Songs in dieser Zeit den Sprung in das große Sams­tags­fi­nale. Andrea Szulak inbe­griffen war jedoch 5x nach den Semi­fi­nals die Heimreise angesagt. Zuletzt auch bei ihrer letzten Teilnahme 2019. Die Beiträge, die für Ungarn an den Start gingen, könnten bunter nicht sein; so gibt es landes­ty­pi­schen Jazzblues, Loun­ge­musik, Roma-unga­ri­sche Tanzmusik; aber auch trans­pa­rente Pop- und Dance­musik genauso wie knall­harten Postmetal. Seit 2012 wurden zudem alle Beiträge im Á Dal ermittelt, der Name der Vorent­schei­dung. Bei Fans wurde Á Dal zum tradi­tio­nellen Inbegriff, traten dort meist 20 oder deutlich mehr Kandi­daten an, um Ungarn´s Ticket für den ESC zu gewinnen.

Allein diese Vielfalt, die das Land zu bieten hat, war auch ein Grund, weshalb die Gäste von Irvin Wolther mit bester Laune kamen, und es sechs Stunden bis nach Mitter­nacht auch blieben. Treff­punkt war wie üblich das "Edgar", so wie das Phonos-Büro in Hannover regulär heißt. Damit trägt das euro­vi­sio­närste Büro, dass es wohl in diesem Land gibt, den Namen des Urgroß­va­ters von Dr. Wolther. Es gab über Stunden einen genauso infor­ma­tiven und unter­halt­samen Austausch über Ungarn, dessen Landes­ge­schichte, aber vor allem über die musi­ka­li­sche und natür­liche über die ESC-Gesc­chichte des Landes. Und es gab jede Menge zu kochen und vor allem zu essen. Direkt fast vom Start weg ging es für Gastgeber und die Gäste Richtung Küche, Es wurde auch gekocht, aber natürlich auch geredet. Viel­leicht nicht ganz im Sinne des Gast­ge­bers und seine Planung, denn noch vor dem Hören sämt­li­cher Beiträge ging man bei der Zube­rei­tung die Beiträge allesamt durch. Das entlockte Dr. Wolther die gutge­meinte Vorfreude und Aussage "Na, da sind wir ja irgend­wann bei ESC and Eat: Thema: Marokko schnell durch". (Marokko nahm 1980 ein einzieges Mal teil, weder vorher noch danach hatte das Land wieder einen Beitrag gestellt)

Zum Start gab es pürierte Maro­nen­suppe mit gerös­teten Brot, selbige mit Sahne sämig gemacht. Der Hauptgang hatte es in sich; mit Hack­fleisch gefüllte und mit Käse über­ba­ckene "kleine" Kürbisse, dazu gedüns­tete Paprika, fast schon das, was der typische Laie mit unga­ri­scher Küche verbindet. Zum Nachtisch Nudeln. Jawohl, aller­dings in einer herz­haften Kuchen­kom­bi­na­tion einge­ba­cken, so dass es eine eigene Würze hatte. Dazu gab es eine landes­ty­pi­sche Kaffee­kom­pos­tion, mit Sahne­haube und Kakao bestäubt. Kurzum, sämtliche Geschmacks­stile waren nicht nur verfüh­re­risch, sondern auch ein wenig gefähr­lich für das Gewicht. Aber warum auch nicht, inmitten der vorweih­nacht­li­chen Tage darf auch der ESC-Fan auch an so manchem Fest­schmaus teilhaben.

Apropo ESC – natürlich waren auch die aktuellen Entwick­lungen ein Gesprächs­thema; sei es die anste­henden Vorent­scheide, sei es der zurück­lie­gende Junior ESC in Nizza, oder die fest­ste­henden Kandi­daten für Malmö 2024. Trotz des mächtigen Abend­brots zu Ungarn – der Appetit auf die größte Musikshow der Welt wird hoffent­lich nie gestillt. Viel­leicht auch aktuell deshalb, weil man ein wenig den Eindruck hat, dass hier noch Europa statt­findet. Und viel­leicht in Zukunft auch mal wieder mit Ungarn.

 

Fotos & Text.: Hari Januschke