titelbild

Praxis­nahe Fort­bil­dung „Soziale Arbeit mit Wohnungslosen“

Seit vielen Jahren bietet Frank Kruse, der Bereichs­leiter der Wohnungs­lo­sen­hilfe Freistatt, Seminare mit Themen rund um die Arbeit der Wohnungs­lo­sen­hilfe an der Univer­sität Vechta an. Am 4. und 5. September 2018 waren Studie­rende im Berufs­an­er­ken­nungs­jahr einge­laden zum Fort­bil­dungs­se­minar „Soziale Arbeit mit Wohnungs­losen“, das praxisnah über die Arbeit mit wohnungs­losen Menschen infor­mieren sollte.

Fortbildung Universität Vechta - September 2018 - Historie der Armenhilfe
Fort­bil­dung Univer­sität Vechta – September 2018 – Historie der Armenhilfe

Zum dritten Mal in Folge hatte Frank Kruse ein Begleit-Team mitge­bracht, um – wie in den beiden vorhe­rigen Seminaren – auch eine praxis­nahe Aufgabe anzu­bieten. Die 19 Teil­neh­menden (diesmal waren zwei Männer vertreten) hatten bisher über­wie­gend keine Erfah­rungen im Bereich Wohnungs­lo­sen­hilfe gesammelt. Ihnen gegenüber standen Frank Kruse als Dozent, Janine Husmann, als Projekt­lei­terin der Wohnungs­lo­sen­hilfe Freistatt und zwei Mitar­beiter der Frei­stätter Online Zeitung. Die jungen Studie­renden kamen vielfach aus umlie­genden Orten Vechtas, es waren aber auch Berufs­an­wärter aus Bayern sowie aus Winter­berg im Sauerland dabei vertreten.

Erster Semi­nartag

Wohnungs­lose Menschen

In einer ersten Grup­pen­ar­beit wurden in drei Gruppen Eindrücke und Gedanken zu jeweils drei Fragen zum Thema Menschen ohne Wohnung gesammelt. Nach der Random-word-Methode des Design Thinking wurden dabei diese Fragen abgearbeitet:

  • Was sind Wohnungs­lose für Menschen?
  • Warum werden Menschen wohnungslos?
  • Wo bleiben Menschen ohne Wohnung?

Dabei wurden eine Vielzahl von Eindrü­cken und Beob­ach­tungen aber auch von verschie­denen Vorur­teilen zum Thema wohnungs­lose Menschen zusam­men­ge­tragen, dessen Viel­schich­tig­keit dadurch schon deutlich abge­bildet wurde. Wir haben diese ersten Ergeb­nisse der drei Gruppen in den folgenden Abbil­dungen doku­men­tiert. (zum Vergrö­ßern bitte anklicken und bei Bedarf die Bilder in einem neuen Brow­ser­fenster öffnen)

Soziale Arbeit mit Wohnungslosen

Anschlie­ßend erklärte Frank Kruse einer­seits die Begriffe „obdachlos“ und „wohnungslos“ (die bei vielen Diskus­sionen zum Thema leider immer wieder verwech­selt oder falsch benutzt werden). Und er verdeut­lichte die Probleme mit fehlenden statis­ti­schen Werten zur Anzahl betrof­fener Menschen in Deutsch­land: Die Bundes­Ar­beits­Ge­mein­schaft Wohnungs­lo­sen­hilfe (BAG W) geht für 2016 von etwa 52.000 obdach­losen Menschen auf der Strasse aus. Die Gesamt­zahl Wohnungs­loser schätzt die BAG W für 2016 auf etwa 860.000 Menschen, von denen etwa 420.000 aner­kannte – aber eben wohnungs­lose – Flücht­linge sind.

Danach erläu­terte Frank Kruse die Grundzüge der gesetz­li­chen Grund­lagen im Bereich Wohnungs­lo­sen­hilfe, mit denen Sozi­al­ar­bei­tende in der Praxis der Wohnungs­lo­sen­hilfe täglich zu tun haben.

Hilfe­be­darf fest­stellen und beschreiben

Nach einem Kurzfilm vom Umgang und Alltag von Mitar­bei­tenden und Klienten der Wohnungs­lo­sen­hilfe Freistatt wurde in drei Gruppen ein Rollen­spiel eines fiktiven Aufnah­me­ge­sprächs eines Klienten mit seinem Sozi­al­ar­beiter durchgeführt.

Zuerst wurde ein Aufnah­me­ge­spräch zur Erör­te­rung der Lage des „Klienten“ (Anamnese) durch­ge­spielt, zu dem der „Klient“ eine vorge­ge­bene Kurz­bio­gra­phie vorliegen hatte. Daneben bekam er einige Zusatz-Lebens­daten gestellt, die er seinem „Sozi­al­ar­beiter“ nur zurück­hal­tend „preis­geben“ sollte. Anschlie­ßend wurde dann jeweils ein anspruchs­be­grün­dender Bericht (ABB) erstellt, der in der Praxis zur Geneh­mi­gung der ersten drei­mo­na­tigen Clearing-Phase beim Kosten­träger einzu­rei­chen wäre – also die Grundlage für eine Kosten­über­nahme darstellen würde.

Anschlie­ßend tauschten alle Teil­neh­menden der Fort­bil­dung ihre Eindrücke der Rollen­spiele mitein­ander aus, die durchaus positiv bewertet wurden. Vor allem weil die Inter­ak­tion von Klient und Sozi­al­ar­bei­tendem dabei in ihrer viel­schich­tigen Natur verdeut­licht wurde und ein Hinein­ver­setzen in die verschie­denen Rollen leicht ermög­licht wurde.

Der folgende Vergleich der drei anspruchs­be­grün­denden Berichte nach ihren Glie­de­rungs­punkten ermög­lichte dann noch die Prüfung auf eventuell vorhan­dende Lücken der erfassten Probleme oder Defizite des Klienten. Dabei wurde deutlich, dass eine sorg­fäl­tige Befragung die Berück­sich­ti­gung aller rele­vanten Umstände und sozialen Probleme erleich­tern kann. Sie bildet die Grundlage für eine zuletzt möglichst erfolg­reiche Kosten­über­nahme des zustän­digen Kostenträgers.

Zusam­men­fas­send sollte ein anspruchs­be­grün­dender Bericht (ABB) danach folgende Punkte abhandeln:

  • Wohn­unmstände
  • Wirt­schaft­liche Lage
  • Ausbil­dungs- und Arbeitssituation
  • Familiäre Situation
  • Soziale Kompetenz
  • Lebens­prak­ti­sche Fähigkeiten
  • Gesund­heit­li­cher Status
  • Stel­lung­nahme zu Selbsthilfekräften
  • Begrün­dung der statio­nären Hilfebedürftigkeit

Frank Kruse beendete den ersten Fort­bil­dungstag mit einem Diskurs über die Heraus­for­de­rungen beim Umgang mit Behörden – also den Kosten­trä­gern. Das sei in manchen Bundes­län­dern deutlich anspruchs­voller als in Nieder­sachsen. Abschlie­ßend empfahl er aus eigener Erfahrung die Wohnungs­lo­sen­hilfe als hoch­span­nendes Arbeits­feld für künftige enga­gierte Sozialarbeitende.

Zweiter Semi­nartag

Aufge­lo­ckert mit einigen Film­bei­trägen von RTL-Nord zur Arbeit der Wohnungs­lo­sen­hilfe Freistatt berich­tete Frank Kruse  am Folgetag zunächst wieder aus der Praxis der Wohnungs­lo­sen­hilfe zum Thema:

Berech­nung von Zahlungen an Klienten in statio­nären Einrichtungen

Dabei komme es sehr auf den Einzel­fall an, vor allem wenn ein vorhan­denes Einkommen gegen Leis­tungen der Sozi­al­hilfe oder des Jobcen­ters aufge­rechnet werde. Für diese Berech­nungen sollte immer ein passendes Excel-Blatt benutzt werden, das die dabei zu berück­sich­ti­genden Einschrän­kungen, Abhän­gig­keiten und Verrech­nungs­schritte korrekt berücksichtigt.

Dazu konnten einige der Anwe­senden auch von eigenen Erfah­rungen berichten, die sie schon in ihrer beruf­li­chen Praxis in Einrich­tungen gesammelt hatten.

Histo­ri­sche Entwick­lung der Armenhilfe

Zur Tradition von Frank Kruses Seminaren an Univer­si­täten gehört immer auch eine Einfüh­rung in die Geschichte des gesell­schaft­li­chen Umgangs mit armen Mitmen­schen. Zunächst bekam die Runde zwanzig Karten mit Ereig­nissen gestellt, die dann bestimmten Jahres­zahlen zuge­ordnet werden sollten. Beginnend mit der frühen Chris­ten­heit beleuch­tete Frank Kruse dann die verschie­denen Phasen und Eckpfeiler in der euro­päi­schen Geschichte, die bis zur heutigen Sozial-Gesetz­ge­bung geführt haben. Dabei gab es dann doch immer wieder Ereig­nisse, die dabei auf der Jahres­leiste umge­ordnet werden mussten.

Prototyp für Hilfeangebote

Zweiter Punkt des Nach­mit­tags war dann wieder eine Grup­pen­ar­beit, aufge­teilt in zwei Gruppen. Es galt dabei nach einem „Exper­ten­in­ter­view“ ein Hilfs­an­gebot zur Vermei­dung von Wohnungs­lo­sig­keit zu  entwickeln.

Was die Studenten größ­ten­teils nicht ahnten, war, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon andert­halb Tage mit zwei Betrof­fenen verbracht hatten. Die Verblüf­fung gelang, bei dem ein oder anderen erlosch damit das ein oder andere Vorurteil.

Ergebnis der anschlie­ßenden Diskus­sion waren Über­le­gungen zu früh­zei­tigen Angeboten für Menschen in Notlagen. Einer­seits stellte sich dabei die Frage nach der Erreich­bar­keit betrof­fener Menschen, die durch eine bessere Zusam­men­ar­beit betei­ligter Ämter und Behörden sicher­lich noch verbes­sert werden könnte. Auch eine breit gestreute Bekannt­ma­chung von idea­ler­weise unab­hän­gigen Bera­tungs­an­ge­boten wäre dabei wünschenswert.

Projekte der Wohnungs­lo­sen­hilfe Freistatt

Zum Abschluss wurden den Teil­neh­menden dann noch zwei Projekte aus Freistatt vorge­stellt, bei denen Wohnungs­lose mit ehren­amt­li­cher Mitarbeit weit­ge­hend selbst­or­ga­ni­siert an Themen zur Wohnungs­lo­sig­keit arbeiten.

Ein Projekt stellt die Frei­stätter Online Zeitung dar, mit der unsere Redaktion zum einen alle Bewohner, Einwohner und Mitar­beiter Freistatts über die vielen Angebote und Möglich­keiten infor­mieren möchte, die Freistatt zu bieten hat.

Außerdem möchten wir Freistatt, unsere Gemeinde, nach außen reprä­sen­tieren, indem wir die vielen Angebote und Möglich­keiten aufzeigen, die in und um Freistatt angeboten werden.

Das Projekt Wohnungs­lo­sen­treffen hat in den letzten drei Jahren drei Wohnungs­lo­sen­treffen in Freistatt orga­ni­siert, bei denen sich bis zu 120 Wohnungs­lose in einem Zeltlager trafen. Bestand­teil aller drei Treffen waren auch die Betei­li­gung vom Armuts­netz­werk e. V. und der euro­päi­schen Vertre­tung für Wohnungs­lose HOmeless People in EuroPE (HOPE).

Dabei haben sie gemeinsam eine Plattform, die Selbst­ver­tre­tung Vereinter Wohnungs­loser, gegründet, die sich für eine bessere Welt, die Über­win­dung von Armut, Ausgren­zung, Miss­brauch, Entrech­tung und Wohnungs­lo­sig­keit sowie für die Verbes­se­rung konkreter Lebens­si­tua­tionen einsetzt. Diese Selbst­ver­tre­tung vereinter Wohnungs­loser will gemeinsam die Mecha­nismen der Ausgren­zung, Entmün­di­gung und Selbst­ent­mün­di­gung überwinden.

Beide Projekte versuchen mit ihrer Arbeit auch für mehr Verständnis für die Bedürf­nisse wohnungs­loser Menschen zu werben. Dazu nehmen sie z. Bsp. auch mit eigenen Ständen an Messen, Ausstel­lungen und Veran­stal­tungen teil, um mit Besuchern ins Gespräch zu kommen.

Fazit

Es war zwar nicht der erste Frei­stätter Einsatz in Vechta, aber ein sehr positiver. Das lag vor allem an der Bereit­schaft der Studenten, sich während der Weiter­bil­dung konstruktiv zu enga­gieren. Dies wurde nicht nur während der gemein­samen Arbeit deutlich, sondern auch beim jewei­ligen Schluss­wort der Teil­neh­menden zum Ende des Seminars. Der Großteil nahm eine Menge Erfah­rungen für das weitere Leben und für die eigene Arbeit mit. Die Bilanz der Studenten fiel genauso positiv wie ehrlich und durchaus auch kritisch aus. Aber wir lernen schließ­lich auch jedes Mal dazu. Einzelne Kritik­punkte werden bei der weiteren Ausar­bei­tung künftiger Veran­stal­tungen auf jeden Fall berücksichtigt.

Den jungen Studie­renden wünschen wir vor allem, dass sie ihre Einsatz­be­reit­schaft nie verlieren.