demo_titelbild

Tag der Wohnungs­losen – Kein Tag zum Feiern

Wie in jedem Jahr wurde auch 2020 deutsch­land­weit der Tag der Wohnungs­losen begangen, der diesmal auf den 11. September fiel. Unsere Redaktion hat sich bei Veran­stal­tungen in Hannover (am 10. September) und Bremen (am 11. September) umgesehen. Beide Veran­stal­tungen hatten, trotz unter­schied­li­cher Heran­ge­hens­weise, ein Thema gemeinsam: Wohnungs­lo­sig­keit in Zeiten der Corona-Pandemie.

Bereits am 10. September lud die Orga­ni­sa­tion „armut­stinkt“ zur Erin­ne­rung an die Bedeut­sam­keit des Themas Wohnungs­lo­sig­keit in die nieder­säch­si­sche Landes­haupt­stadt Hannover ein. Wie wichtig das Thema ist, bewiesen die Anspra­chen einiger Betei­ligten. Nicht nur, dass bezahl­barer Wohnraum ein Menschen­recht ist, er ist es mehr denn je während der aktuellen Pandemie. Seit März empfehlen und verhängen Landes- und Bundes­po­li­tiker Maßnahmen und Hygie­ne­kon­zepte. Doch an der Basis zur Umsetzung für alle hapert es. Bei den Reden der Betrof­fenen, sowohl am Georgs­platz als auch vor dem Nieder­säch­si­schen Landtag, sollten die Inhalte sicher­lich die richtigen erreichen. Doch anwesend waren lediglich Vertreter von der Partei DIE LINKE und von der Pira­ten­partei.

 

Zwischen den mahnenden Worten bekamen zumindest jene Hanno­ve­raner einen Eindruck, die bei der Demons­tra­tion quer durch die Innen- und Altstadt auf die Probleme der Betrof­fenen aufmerksam wurden. Am Landtag ange­kommen, sprach Jessica Kaußen, Frak­ti­ons­vor­sit­zende der Partei DIE LINKE in der Region Hannover, mahnende Worte an die eigent­lich Regie­renden. Die Linke-Poli­ti­kerin verwies auf Corona-bedingte notwen­dige Maßnahmen zur Unter­brin­gung der Wohnungs­losen. Doch der Appell alleine genügt nicht, wenn die eigent­lich Verant­wort­li­chen sich bei dieser Veran­stal­tung in gewohnter Manier als Drücke­berger empfahlen.

Keine Demons­tra­tion, aber einen Infostand, orga­ni­sierte das Bremer Akti­ons­bündnis „Menschen­recht auf Wohnen“ am Tag darauf auf dem Markt­platz in der Altstadt, gut sichtbar vom Rathaus. Aber auch hier wagte kein Politiker trotz guten Wetters einen Blick zum Fenster hinaus. Mit Plakaten und einem Bera­tungsbus gingen Betrof­fene und Mitar­beiter von Sozi­al­ein­rich­tungen infor­mativ auf die Passanten zu. Des weiteren fielen fünf Toilet­ten­schüs­seln vor dem Infostand ins Auge. Die Keramik sollte darauf hinweisen, dass die politisch gefor­derten Hygie­ne­maß­nahmen von Wohnungs­losen nach wie vor nur erschwert umzu­setzen seien. Ein Betrof­fener erwähnte, wie schwierig alleine das Hände­wa­schen sei, da entspre­chende Einrich­tungen seit Ausbruch der Pandemie nur noch redu­zierten Zugang ermög­li­chen – wenn überhaupt.

Nicht nur in Hannover und in Bremen gab es Aktionen, um darauf aufmerksam zu machen, wie bedroh­lich ernst die Lage durch Corona für Wohnungs­lose geworden ist. Doch was ist zu tun? Am 18. März hielt Bundes­kanz­lerin Angela Merkel ange­sichts der schon damaligen Bedrohung und Ausbrei­tung durch das Virus eine außer­plan­mä­ßige Ansprache an die Bevölkerung.

Einige Zitate daraus:

"Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Heraus­for­de­rung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemein­sames soli­da­ri­sches Handeln ankommt".Richtig, aber wo bleibt der soli­da­ri­sche Umgang der Politik im Umgang mit Wohnungslosen?

"Ich möchte Ihnen erklären, wo wir aktuell stehen in der Epidemie, was die Bundes­re­gie­rung und die staat­li­chen Ebenen tun, um alle in unserer Gemein­schaft zu schützen und den ökono­mi­schen, sozialen, kultu­rellen Schaden zu begrenzen. " - Wirklich? Alle? Und was versteht man in der Politik unter Schutz?

"Aber vor allem auch Zeit, damit dieje­nigen, die erkranken, best­mög­lich versorgt werden können." – Zählen das Nicht­an­bieten von Unter­brin­gung sowie das Schließen von Tafeln ebenfalls dazu

"Und wir sind eine Gemein­schaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt." – Vor allem Mitar­beiter der Lufthansa und der Fußball-Bundesliga. 

"Aber alles, was Menschen gefährden könnte, alles, was dem Einzelnen, aber auch der Gemein­schaft schaden könnte, das müssen wir jetzt redu­zieren. Wir müssen das Risiko, dass der eine den anderen ansteckt, so begrenzen, wie wir nur können." – Nach wie vor ist das Anste­ckungs­ri­siko durch Menschen, die auf der Straße leben, genauso hoch wie im Frühjahr. 

"So wie unter­schiedslos jeder von uns von dem Virus betroffen sein kann, so muss jetzt auch jede und jeder helfen. Zu aller erst, indem wir ernst nehmen, worum es heute geht. Nicht in Panik verfallen, aber auch nicht einen Moment denken, auf ihn oder sie komme es doch nicht wirklich an. Niemand ist verzichtbar. Alle zählen, es braucht unser aller Anstren­gung. Das ist, was eine Epidemie uns zeigt: wie verwundbar wir alle sind," – Das kann man, sechs Monate nach diesen Worten auch als einen Appell an die Inves­toren auf dem Wohnungs­markt verstehen.

Das sind nur einige Behaup­tungen von der Regie­rungs­chefin, die bis zum heutigen Tag nur teilweise oder gar nicht zutreffen. Bei den Veran­stal­tungen in Hannover und Bremen zeigten Wohnungs­lose, was sie vom soli­da­ri­schen Umgang verstehen. Sie hielten den gefor­derten Abstand, und über­wie­gend wurde gar Mund- und Nasen­schutz getragen, obwohl beide Termine unter freiem Himmel abge­halten wurden. Und umgekehrt? Bis zum heutigen Tag gibt es keine gesetz­li­chen Vorkeh­rungen,  um Betrof­fenen einen Schutz für sich und andere zu bieten. Kein leer­ste­hender Wohnraum, keine zusätz­liche Unter­kunft und wenig Möglich­keiten für die in Armut lebenden Menschen, sich an den überall bestehenden Hygie­ne­kon­zepten zu beteiligen.

Ein halbes Jahr nach der Ansprache der Bundes­kanz­lerin bliebe fest­zu­halten: Die Worte stimmen, doch sie werden nicht auf alle Menschen ange­wendet. Für die aktuelle Regierung gilt genauso wie für sämtliche Landes­re­gie­rungen, dass zu erkennen und so umzu­setzen, wie Frau Merkel es sich in Ihren Worten vorge­stellt hat. Nur so schützt man wirklich alle, nur so bleibt man glaubhaft – aber auch nur so macht auch der Tag der Wohnungs­losen Sinn.