Fachtag LAK Niedersachsen - 13.11.2018

Fachtag der Landes­ar­muts­kon­fe­renz Niedersachsen

WOHNUNG ist ein Menschenrecht

Es fehlt an bezahl­barem Wohnraum in Nieder­sachsen und in Deutsch­land allgemein. Was beim Fachtag der Landes­ar­muts­kon­fe­renz Nieder­sachsen  am 13. November 2018 nicht fehlte, war das Interesse dem entge­gen­zu­wirken. Der Veran­stal­tungs­raum im nieder­säch­si­schen Bildungs­werk ver.di in Hannover war gut besucht, und ob Staats­se­kretär, DGB-Bezirks­vor­sit­zender, Mitglieder von Initia­tiv­gruppen oder Betrof­fene – jede Meinung war tatsäch­lich gefragt.

In einer Meinung waren so ziemlich alle Anwe­senden geeint – die Fest­stel­lung, dass in Nieder­sachsen zu wenig in bezahl­baren Wohnraum inves­tiert wurde. Als Fehler darf hier der Verkauf der landes­ei­genen Wohnungs­bau­ge­sell­schaft im Jahr 2005 gesehen werden, zu dem auch ca. 30.000 Sozi­al­woh­nungen gehörten. Durch erhöhte Miet­preise hat sich die Situation für die Menschen in den Städten extrem verschärft; nicht nur für ohnehin schon sozial benach­tei­ligte Menschen: Auch der Mittel­stand muss einen Großteil seines Einkom­mens für seine Existenz aufbringen.

In Vertre­tung des Landes­be­zirks­lei­ters Nieder­sachsen-Bremen, Detlef Ahling, sprach ver.di-Mitglied und Öffent­lich­keits­ar­beiter Matthias Büschking davon, dass die Gewerk­schaften bislang für Verbes­se­rungen nicht aktiv genug gewesen sind. Büschking stellte fest, das ein normales Gehalt selten für das Aufbringen der Miete reicht, Familien mit einem durch­schnitt­li­chen Einkommen haben große Probleme, wirt­schaft­lich stabil zu bleiben. In Hannover selbst müssen viele Mieter 50 % ihres Netto­ein­kom­mens für die Miete aufbringen und sind somit eigent­lich unun­ter­bro­chen von Wohnungs­lo­sig­keit bedroht. Die Priva­ti­sie­rung des Wohnraums betrifft auch immer mehr junge Menschen, die gerade in Ballungs­räumen selten bezahl­baren Wohnraum finden.

Laut Büschking habe der Staat leicht­sinnig die Wohnungen an private Bauun­ter­nehmer "verscher­belt", nun stehe selbiger in der Pflicht, Ände­rungen in der Baupo­litik vorzu­nehmen. Das Vorhaben, bis zum Jahr 2030 in Nieder­sachsen 40.000 neue Wohnungen zu bauen, sei aller­dings nur ein kleiner Schritt, um allen Betrof­fenen gerecht zu werden. Die Schere geht in der Tat in eine präkere Richtung, denn in Nieder­sachsen fehlen bis zu 100.000 Wohnungen.

Die Lage ist fast so ernst, wie sie einst Joachim Ringel­natz in Berlin im Jahr 1923 empfand, darum trug Thomas Uhlen von der Caritas das Gedicht „Angst­gebet in Wohnungsnot“ zu Beginn seines Vortrages vor. Viele im Raum wirkten betroffen, weil sie in vielen Zeilen, die der Schrift­steller vor 95 Jahren verfasste, in der gegen­wär­tigen Zeit wieder erkannten. Anders als zuvor Büschking, der das „Wohnen“ als Menschen­recht darstellte, betonte Uhlen, die eigene WOHNUNG müsse ein Menschen­recht sein. Leider ist es durchaus nicht mehr selbst­ver­ständ­lich, wirklich ein Zuhause zu haben.

Die Politik hat die Lage nicht erkannt, und der Erhalt der Wohnung wird für viele immer schwie­riger. Das Vertrauen der Miete­rinnen und Mieter ist aufge­braucht, das Markt­ver­sagen ist eine der Ursachen. Um die Misere besser zu bewäl­tigen, geht es dabei nicht nur um eine vertrau­ens­volle Politik. Viele Menschen haben erkannt was zu tun ist, und beginnen, sich gegen­seitig zu helfen, wie man an der Bereit­schaft, Flücht­linge Will­kommen zu heißen, sehen konnte.

Die Landes­ar­muts­kon­fe­renz Nieder­sachsen hat Forde­rungen aufge­stellt. Uhlen ging diese gemeinsam mit allen Anwe­senden durch, um bei gleich­zeitig statt­fin­dender Diskus­sion entschei­dende Korrek­turen vorzu­nehmen. So solle z. Bsp. die Sozi­al­bin­dung beim erwei­terten Bestand von 100.000 Sozi­al­woh­nungen von 30 auf 60 Jahre erhöht werden. Aber auch der schnelle Bau von Unter­künften mit guten Wohn­be­din­gungen wurde kriti­siert, da Unter­künfte lediglich als letzte Konse­quenz geschaffen werden sollten – der Bau von bezahl­barem Wohnraum sollte immer Vorrang haben.

Über die Einfüh­rung einer wirksamen Miet­preis­bremse wurde ebenfalls disku­tiert, auch wenn der Punkt sich von der gesetz­li­chen Durch­führ­bar­keit als schwierig beweist. Als ein wesent­li­ches Problem ist auch die mobile Anbindung in kleineren Ortschaften anzusehen. Es gibt zwar in Dörfern und Gemeinden mitunter bessere Miet­kon­di­tionen, es fehle aber an einem funk­tio­nie­renden öffent­li­chen Nahver­kehr. Das erschwert vielen Menschen die Arbeitsplatzsuche.

Welche Perspek­tiven ergeben sich für wohnungs­lose Menschen? Dieser Frage gingen Mode­ra­torin Katharina Garves von der AWO sowie Klaus-Dieter Gleitze von der Landes­ar­muts­kon­fe­renz in einem Fach­ge­spräch mit unserem Redakteur Christof Meyer-Gerlt nach. Christof stellte dabei zunächst die Wohnungs­lo­sen­hilfe Freistatt ein wenig vor, anschlie­ßend sprach er über das einzige von Wohnungs­losen selbst­ver­wal­tete Pres­se­me­dium Deutsch­lands, der Frei­stätter Online Zeitung,  die der selbst von Wohnungs­lo­sig­keit betrof­fene 2014 mit ins Leben gerufen hat.

Deswei­teren stellte Christof klar, dass es in der UN-Charta klar definiert ist, das WOHNUNG, und nicht wohnen ein Menschen­recht sei. Wohnen könne man schließ­lich ja auch in Turn­hallen mit vielen anderen Menschen, ein menschen­wür­diges Zuhause sei aber etwas ganz anderes. Außerdem wies er darauf hin, dass Wohnungs­losen das passive Wahlrecht im kommu­nalen Raum verwehrt ist, was eine aktive poli­ti­sche Teilhabe, da wo es am wich­tigsten wäre, unmöglich macht.

Es wird geschätzt, dass es in Deutsch­land derzeit 80.000 Menschen gibt, die ohne jegliches Obdach sind. Von Wohnungs­lo­sig­keit sind aber aktuell mehr als eine Million Menschen in Deutsch­land betroffen (laut einer Schätzung der BAG-Wohnungs­lo­sen­hilfe). Daher seien Eigen­in­itia­tiven der Betrof­fenen wichtiger denn je. Christof erwähnte dabei die seit 2016 regel­mäßig statt­fin­denden Wohnungs­lo­sen­treffen, die daraus entstan­dene Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen sowie die Kölner Initia­tive Bauen, Wohnen und Arbeiten als Beispiele.

Die Betrof­fe­nen­in­itia­tive „Gnadenlos Gerecht“ , die sich schon seit längerer Zeit für die Inter­essen der Bezieher von ALG-II einsetzt, wurde beim Fachtag von Inga Schmalz vertreten. Die Gruppe, die bereits auf der Maikund­ge­bung einen Eckre­gel­satz von mindes­tens 600 Euro forderte, protes­tiert auch gegen die will­kür­liche und unsach­ge­mäße Berech­nung der Regel­sätze. Inga Schmalz kam zu der Erkenntnis, das „Hartz IV“ und die Folgen politisch gewollt seien.

Um Verbes­se­rungen auf kommu­naler Ebene will sich Markus Kissling von der Landes­ar­beits­ge­mein­schaft Soziale Brenn­punkte e. V. bemühen. Es gelte, Projekte zu entwi­ckeln, die zum eigen­stän­digen Handeln der von Armut betrof­fenen Menschen führen müssten. Als Beispiel nannte Kissling die neu erbauten sozialen Treff­punkte der Stadt Dannen­berg an der Elbe.

In der abschlie­ßenden Podi­ums­dis­kus­sion gab Frank Doods, der Staats­se­kretär im Nieder­säch­si­schen Minis­te­rium, Fehler bei der Heran­ge­hens­weise der privaten Wohnungs­bau­ge­sell­schaften zu. Er setzte verstärkt auf Wohn­raum­för­de­rung. Andreas Sonn­nen­berg, Vorsit­zender von Werkheim e.V. in Hannover, betonte erneut, wir brauchen Wohnungen – und keine (Massen-)Unterkünfte.

Mehrdad Payandeh prangerte die Wohn­bau­po­litik an, und stellte etliche frus­trie­rende Zustände fest. Der DGB-Vorsit­zende vom Bezirk Nieder­sachsen-Bremen erklärte, es könne nicht sein, das in Deutsch­land, einem der reichsten Länder der Welt, knapp ein Drittel der Bevöl­ke­rung um ihre wirt­schaft­liche und häusliche Existenz bangen muss.

Abschlie­ßend wurde fest­ge­stellt, und das bei diesem Fachtag zum ersten Mal, dass der Forde­rungs­ka­talog aufgrund der zahl­rei­chen Verbes­se­rungs­vor­schläge der Teil­nehmer und eben auch der anwe­senden Betrof­fenen neu verfasst werden müsse. Dies werde in den nächsten Tagen geschehen und wenn die neue Abschluss­erklä­rung vorliegt, werden wir diese selbst­ver­ständ­lich auch veröffentlichen.

Insgesamt ist zu bemerken, dass sich die Teilhabe von Betrof­fenen bei diesem Fachtag deutlich verbes­sert hat. Viel­leicht schafft es ja beim nächsten Fachtag sogar jemand aus der Gruppe Betrof­fener Menschen in die abschlie­ßende Podi­ums­dis­kus­sion. Wir denken, dass es auch einige Augen­öffner für die LAK-Mitglieder gab. Auf jeden Fall war diese Veran­stal­tung ein deut­li­cher Schritt in die richtige Richtung. Wir sind auf den verbes­serten Forde­rungs­ka­talog gespannt und danken der LAK und Geschäfts­führer Klaus-Dieter Gleitze für die Einladung und die Möglich­keit der Beteiligung.