Offener Brief frei­schaf­fender Humorist*Innen und Musiker*Innen zur Lage der Kulturbranche

Ab kommenden Montag, den 2. November 2020 ist es mal wieder soweit: Aufgrund der momentan stetig und stark anstei­genden Anzahl von Menschen, die sich mit dem COVID-19-Virus ange­steckt haben, hat die Bundes­re­gie­rung beschlossen für den Monat November einen Lockdown zu verhängen. Die neuen Regeln kommen dem Lockdown vom Frühjahr diesen Jahres recht nahe und gelten – vorerst – bis Ende November 2020.

Da auch Frei­zeit­ein­rich­tungen wie Theater, Opern, Konzert­häuser oder Clubs wieder geschlossen werden, veröf­fent­lichten die FREISCHAFFENDEN HUMORIST*INNEN UND MUSIKER*INNEN als Teil der Bewegung #alarm­st­uferot einen offenen Brief zur Lage der Kultur­branche, den auch wir, die Frei­stätter Online Zeitung, veröf­fent­li­chen möchten …

Sehr geehrte Frau Monika Grütters,
sehr geehrter Herr Hubertus Heil,
sehr geehrter Herr Peter Altmaier,
sehr geehrter Herr Olaf Scholz,
sehr geehrter Herr Jens Spahn,

kaum eine Branche hat seit Beginn der Pandemie härter dafür gear­beitet, ihren Kund*innen bzw. Zuschauer*innen wieder ein sicheres Erlebnis bieten zu können, als die Kultur­branche. Es wurden Hygie­ne­kon­zepte erar­beitet, Lüftungs­an­lagen erneuert, Ein- und Auslass­re­geln erdacht, Nach­ver­fol­gungs­listen geführt und vieles mehr – immer in enger Zusam­men­ar­beit mit den Behörden. Warum das alles? Weil man das Virus ernst nimmt, weil man sich der Verant­wor­tung in der Pandemie bewusst ist und weil man sein Publikum keiner Gefahr aussetzen möchte. Damit war der Kultur­be­trieb ein konstruk­tiver Teil der Lösung und nicht des Problems. Der poli­ti­sche Dank für diese Arbeit bleibt – mit Ausnahme folgen­loser Lippen­be­kennt­nisse – weit­ge­hend aus.

Hiermit fordern wir, die frei­schaf­fenden Humorist*innen und Musiker*innen, Sie dazu auf, endlich für die coro­nabe­dingten Schäden, beispiels­weise durch die Still­le­gung bzw. die dras­ti­schen Einschrän­kungen des Live-Betriebs, aufzu­kommen. Diese Forderung bezieht sich dabei ganz explizit nicht auf uns wenige Topver­diener der Branche, sondern auf die vielen finan­ziell ange­schla­genen privat­wirt­schaft­li­chen Kultur­stätten, denen die Schlie­ßung droht oder die bereits schließen mussten, was fast zwei Millionen Menschen auf, vor und hinter den Kulissen die beruf­liche Perspek­tive genommen hat. Die Situation ist vieler­orts so ernst, dass manche Unter­nehmer und Selbst­stän­dige sich bereits aus purer Verzweif­lung das Leben genommen haben – es wird endlich Zeit für Sie, zu handeln! 

Sie haben Maßnahmen beschlossen, die für uns faktisch einem Berufs­verbot gleich­kommen. Als Teil der Bewegung #alarm­st­uferot prangern wir an, dass wir bereits seit sieben Monaten auf konkrete und ziel­füh­rende Entschei­dungen warten. Dabei geht es nicht nur darum, endlich sinnvolle finan­zi­elle Hilfen bereit­zu­stellen, sondern gemeinsam mit uns Perspek­tiven zu schaffen, wie wir zukünftig den Kultur­be­trieb wieder aufnehmen können.

In den letzten Monaten gaben Sie uns das Gefühl, weniger wert zu sein als Autos, Flugzeuge und Fußball­spieler. Dabei gehören wir in der derzei­tigen Pandemie zu den Wirt­schafts­zweigen, die ohnehin schon finan­ziell wesent­lich schlechter gestellt sind als andere. Schließ­lich bekommen viele der (Solo-)Selbstständigen in unserer Branche aktuell kein Kurz­ar­bei­ter­geld und die meisten auch kein Arbeits­lo­sen­geld I. Selbst die Grund­si­che­rung bleibt vielen, trotz verein­fachtem Zugang, verwehrt. Sie fallen nach wie vor durchs Raster der Hilfs­maß­nahmen. Die poli­ti­sche Wert­schät­zung scheint allen­falls den Steuern zu gelten, die diese Selbst­stän­digen seit Jahr­zehnten entrichten.

Die bishe­rigen staat­li­chen Finanz­hilfen konnten nur Wenige aus unserer Branche tatsäch­lich nutzen, denn sie waren lediglich zur Deckung von Betriebs­kosten wie z.B. gewerb­liche Mieten, Pachten sowie Kredite für Betriebs­räume und Leasing­auf­wen­dungen gedacht. Kaum ein Selbst­stän­diger in unserem Bereich hat diese Betriebs­kosten. Was hier die Existenz bedroht, sind private Ausgaben wie Kran­ken­ver­si­che­rungs­bei­träge, Wohnungs­mieten und allge­meine Lebens­hal­tungs­kosten, die von den Finanz­hilfen nicht bezahlt werden dürfen. 

Die gesamte Veran­stal­tungs­branche ist in Deutsch­land der sechst­größte Wirt­schafts­zweig. Hier sind etwa 1,7 Millionen Menschen beschäf­tigt, und es werden knapp 130 Milli­arden Euro direkt umgesetzt. Unsere Spezia­listen haben Corona- Konzepte erar­beitet, die auch bei den wenigen Veran­stal­tungen, die es seit Pande­mie­be­ginn gab, erwie­se­ner­maßen einwand­frei funk­tio­niert haben. Dennoch geriert sich die Politik seit sieben Monaten eher als Kultur-Verhin­derer denn als ‑Förderer. Bei allen Corona-Beschlüssen wurden ganz selbst­ver­ständ­lich Veran­stal­tungen ein ums andere Mal mit Verboten belegt, während Flugzeuge, Züge, Busse, Bahnen, Fitness­stu­dios, Schwimm­bäder und Saunen wieder gut frequen­tiert waren. 

Die pauschalen, undif­fe­ren­zierten Aufrufe einiger Politiker, Veran­stal­tungen zu meiden, ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die seit Monaten für die sichere Durch­füh­rung von profes­sio­nellen Events kämpfen. Dafür gibt es keine logische Grundlage, denn die wenigen dies­jäh­rigen Kultur­ver­an­stal­tungen, die statt­finden durften, waren im Gegensatz z.B. zu privaten Feiern allesamt keine Superspreader-Events. 

Wir fordern:
• Arbeiten Sie aktiv mit den Vertre­tern der #alarm­st­uferot zusammen und setzen Sie ihre Forde­rungen um!

• Schaffen Sie Finanz­hilfen, die der Branche nützen. Selbst­stän­dige Kultur­schaf­fende müssen damit auch ihre privaten Kosten decken können.
• Es müssen einheit­liche Szenarien entwi­ckelt werden, die den Kultur­be­trieb wieder in Gang setzen. Geben Sie den 1,7 Millionen Menschen eine Perspektive!
• Die Politik muss endlich verstehen, dass auch (größere) Veran­stal­tungen sicher durch­führbar sind und dies auch gegenüber der Öffent­lich­keit trans­por­tieren. Nur so gewinnt das Publikum wieder Vertrauen, Veran­stal­tungen zu besuchen.

Helfen Sie uns! Jetzt! Sonst werden wir in ein paar Monaten kulturell ein ärmeres Land sein. Vieles von dem, was dann verschwindet, wird nicht wieder­kommen. Damit wird nicht nur produk­tiven Mitglie­dern eines Wirt­schafts­sys­tems die Lebens­grund­lage genommen, sondern eine Gesell­schaft ihrer Seele beraubt.

Mit freund­li­chen Grüßen

Carolin Kebekus | Tobias Mann | Atze Schröder | Bastian Pastewka | Bela B | Bodo Wartke | Bülent Ceylan | Chris Tall | Christoph Sieber | Dagmar Schön­leber | Daphne de Luxe | David Kebekus | Dieter Nuhr | Donots | Dr. Eckart von Hirsch­hausen | Eure Mütter | Felix Lobrecht | Florian Schroeder | Gaby Köster | Gerburg Jahnke | Gregor Meyle | Hazel Brugger | Heinrich del Core | Helmut Schleich | Hugo Egon Balder | Ines Anioli | Jeannine Michaelsen | Johann König | Johannes Oerding | Kasalla | Lisa Feller | Luke Mockridge | Mario Barth | Markus Krebs | Martin Frank | Max Giermann | Max Mutzke | Michael Mitter­meier | Micky Beisen­herz | Niede­ckens BAP | Olaf Schubert | Özcan Cosar | Querbeat | Peter Maffay | Paul Panzer | Ralf Schmitz | Ralph Ruthe | Sasha | The BossHoss | Tobias Künzel (Die Prinzen) | Torsten Sträter | Wolfgang Haffner