Immerhin 744 Zuschauer waren am Donnerstag, dem 24. Juni 2021 in die Kreissporthalle in Lübbecke beim letzten Heimspiel der GWD Minden der Saison 2020/21 dabei. Und egal, ob Betreuer, Ordner, Mediziner, Zuschauer oder Vereinsverantwortliche – wer das Duell der Ostwestfalen gegen die Eulen Ludwigshafen live vor Ort erlebt hat, wird dieses Duell mit sehr vielen emotionalen Eindrücken verlassen haben. Sei es dass Spiel, bei dem die Hausherren einen zwischenzeitlichen Rückstand von 7 Treffern wettgemacht haben. Oder die Tatsache, dass erst in aller letzter Sekunde der Klassenerhalt endgültig feststand. Rührend war wie immer der Festakt der Wechselwilligen, der direkt nach dem letzten Saisonheimspiel mittlerweile zur Tradition geworden ist.
Vielleicht auch alles zusammen. Zusammengefasst haben sich die Gesichtszüge des Publikums ständig verändert. Aber beginnen wir doch einfach ganz von vorne. Denn als sich etwa eine Stunde vor dem Anpfiff die ersten Fans vor der Halle einfanden, waren die Erwartungen klar und energisch – wir wollen diesen einen, letzten wichtigen Punkt. Die Ausgangslage war nämlich, dass die GWD zu diesem Zeitpunkt drei Punkte Vorsprung auf den Abstiegsplatz 17 hatte. Also genau die Position, auf der sich die Gäste befanden. Während die Grün-Weißen mit einem Remis gerettet wären, brauchten die Gäste einen Sieg.
Dieser Sieg der Ludwigshafener hätte aber nicht unbedingt den Abstieg der GWD verursacht: Die endgültige Entscheidung um den vierten und letzten Zweitliganeuling aus dem Oberhaus hätte sich um drei Tage verzögert, und die Schlinge für Minden wäre wieder enger geworden.
Zur Halbzeitpause traf man viele Fans, die ein wenig mehr Hoffnung zu den Erfrischungsständen mitgebracht haben als während der Partie. Zwar klang das 14:10 aus Sicht der Eulen ernüchternd, doch lagen die Friesenheimer zwischenzeitlich gar mit 7 Treffern in Front. Allerdings neigte die Spielweise beider Teams nicht dazu, die Hoffnungen auf den Klassenerhalt durch die allzu grün-weiße Brille zu sehen. Die Südpfälzer bauten einen Abwehrriegel auf, durch den nur wenig hindurch passte: Erst recht nicht eher unüberlegte Angriffsversuche aus Dankersen. Dieses Gemisch aus Pech und unüberlegten Torchancen, die versiebt wurde, ließen auch die Eulen-Fans laut werden.
Laut, lauter, noch viel lauter wurde aber nun wieder der Anhang der Heimmannschaft, erst recht ab Minute 45. Dankersen (so hallte es permanent und nun aus immer mehr Kehlen) hat das Spiel tatsächlich fast gedreht, und lag nur noch mit einem Treffer zurück. Zu früh gefreut?
In den folgenden knapp 10 Minuten sah es fast so aus, denn nun gaben die Lokalrivalen der Rhein-Neckar Löwen wieder Gas. Sie mussten auch, wenn Minden deren Beleuchtung für das Oberhaus nicht vollständig ausknipste. Doch die GWD war wieder voll im Spiel, und wollte nicht bis zum Sonntag mit der Entscheidung warten. Und es sollte sich lohnen: Auf der Uhr standen noch 3 Minuten und 50 Sekunden Spielzeit, als Kevin Gulliksen nach permanentem Rückstand der eigenen Mannschaft zum 24:24 ausglich. Zu diesem Zeitpunkt hieß das Klassenerhalt!
Allerdings sind 230 Sekunden im Handballsport eine ganz geringe Garantie dafür, dass ein Unentschieden genau diese Restzeit zu halten ist. Fest stand lediglich, dass die Eulen zu diesem Zeitpunkt chancenlos auf den Ligaverbleib waren. In die Haut derer, die die Partie von der Auswechselbank verfolgten, wollte man freilich nicht stecken, der Spielverlauf hatte das Niveau eines Hitchcock-Films angenommen. Von der angekündigten Restzeit verstrichen nun tatsächlich 225 Sekunden, ohne dass ein Treffer fiel. Die GWD verfehlte einmal dass Ziel, aber Malte Semisch parierte zweimal erstligareif.
So blieb es beim rettenden Unentschieden.
Die letzten 230 Sekunden beginnen
Jetzt aber fehlen immer noch 5 Sekunden, und die sollten es in sich haben. Juri Knorr handelt sich nach einem Einsteigen tatsächlich eine 2‑Minuten-Strafe ein – Spielunterbrechung. In Unterzahl sollen die Gäste nun in Nähe des 7‑Meter-Punktes im verbleibenden Wimpernschlag die aller letzte Chance zum Sieg haben.
Aber der Unglücksrabe bekam ein Gesicht: Hendrik Wagner traute sich im Hexenkessel Kreissporthalle zu einem letzten Wurf, aber Maximilian Janke stellte sich gekonnt in den Weg und blockte den Wurf. Abpfiff – und es stand wie 230 Sekunden zuvor immer noch 24:24. Das reichte für GWD Minden, um ab September wieder 34 Erstligaspiele vor sich zu haben.
Auf den Rängen gab es nun kein Halten mehr: Jubel, Freude, aber auch große Erleichterung.
Die letzten 4 Sekunden
Die Mindener Spieler ließen ihren Emotionen freien Lauf, beglückwünschten sich ausgelassen gegenseitig. Dennoch, bei aller Freude, bot sich auf dem Feld auch ein trauriges Bild. Die Eulen Ludwigshafen müssen nach 4 Spielzeiten die Liga wieder verlassen. Bei aller grün-weißen Freude, auch dieses Team und seine Fans haben sich Respekt mehr als verdient.
Obwohl die Rheinland-Pfälzer stets am unteren Teil der Tabelle zu finden waren, war ihr permanenter Kampfgeist bewundernswert. Das Team war sehr schwer zu bezwingen, und sie waren für fast jeden Gegner eine besondere Aufgabe. Wir freuen uns sehr für Grün-Weiß, trauern aber auch mit den Eulen. Es war jedoch schon vor dem Anpfiff klar, dass eines von beiden Teams an diesem Abend in Lübbecke in der kommenden Spielzeit in Liga 2 antreten muss.
Das Spiel ist aus
Die Tränen der Freude waren gerade gelaufen, da wurden die Augen bei vielen erneut feucht, dieses Mal vor Rührung und Dankbarkeit. Denn die traditionelle Verabschiedung von Spielern im Kader, die sich in der neuen Spielzeit anderweitig an neuen neuen Aufgaben herausfordern, stand nun an. Wie in den Jahren zuvor bekamen die Wechselwilligen verdiente Komplimente vom sportlichen Geschäftsführer Frank von Behren, dazu Standing Ovations vom zahlreich dagebliebenen Publikum. Klar, Tim Brand, Leon Grabenstein, Jonas Molz, Aljaksandr Padschywalau, Joscha Ritterbach und Simon Strakeljahn haben sich ebenso in die Herzen der Ostwestfalen eingelebt wie jene drei, die am Ende verstärkt in ihren GWD-Einsätzen im Fokus lagen.
Juri Knorr war gerade verpflichtet, aber noch nicht im Einsatz, da war er schon ein großes Thema in Minden. In nur zwei Jahren lernten wir Juri als sehr fröhlichen Menschen kennen, der stets seine positive Art behielt und hoffentlich weiter behalten wird. Der neue Rhein-Neckar Löwe wird ab September genauso fehlen wie Kevin Gulliksen. Seit 2018 tankte sich der Norweger auf Rechtsaußen in die Mitte durch, und war nur selten zu halten. Anfänglich nur auf englisch, lernte der bescheidene Skandinavier sehr schnell deutsch zu sprechen. Oder war es nur Übung für die Universitätsstadt Göppingen? Dort geht der 24-jährige ab dem kommenden Herbst auf Torejagd.
Doch den größten Bahnhof bekam der Mann, der seit 2013 (!) ein ordentliches Stück GWD-Geschichte mitverfasst hat. Christoffer „John“ Rambo, geboren vor fast 32 Jahren im norwegischen Sandefjord, kehrt mit dem Saisonende in sein ursprüngliches Zuhause zurück. Er hat einen Abstieg, aber auch den sofortigen Wiederaufstieg miterlebt. Rund 1000 Tore für die Grün-Weißen gehen auf sein Konto. Seltene Besucher sahen in Rambo den GWD-Star schlechthin. Die, die ihn näher kannten, wussten, dass seine zurückhaltende Art neben dem Spielfeld ein wichtiger Punkt in seiner Persönlichkeit sind. Wir sagen jetzt schon Entschuldigung, dass wir die Bilder von Christoffer Rambo nicht kommentiert haben – in diesem Fall dürfen die Bilder eine eigene Sprache sprechen.
Nach 19 Heimspielen, aber nur 3 Corona-bedingten Einsätzen vor Ort, sagen auch wir an alle Grün-Weißen vielen, Vielen Dank, dass wir nach der langen Zwangspause auch wieder mit dabei sein durften. Das soziale Engagement aller im Verein ist ohnehin erstklassig, schön, dass diese Farbe dieses Einsatzes auch weiterhin im Oberhaus strahlen darf.
Wie tolerant es bei der großen Familie GWD Minden zugeht, bewies der Verein einen Tag zuvor; als ganz Deutschland noch über die Beleuchtung der Münchner ALLIANZ-Arena diskutierte, erschien das Vereinslogo in den sozialen Netzwerken schon in Regenbogenfarben. Hier hat man schon sehr lange begriffen, dass anders sein etwas ganz normales ist.