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KWP Göttingen – OpenAir mitten im Wald

Es ist inzwi­schen ein unge­wohntes Gefühl, um Mitter­nacht noch auf einer Party zu sein!“ Stimmt, seit 1 1/2 Jahren schickt uns Corona zeitig zur Bettruhe, weil lange Zeit keine Location für unbe­grenzte Nächte und Feiern nicht mehr zur Verfügung stehen. In der Nacht zum 4. September war das auch Deutsch­lands Topkünstler Michael Schulte aufge­fallen. Denn nicht nur für die rund 650 zuge­las­senen Zuschauer, auch für den Hauptact des KWP Open Air ist das lange Aufbleiben etwas lange nicht mehr Dagewesenes.

Die 31. Auflage des unter­halt­samen Festivals war selbst für die Veran­stalter eine Heraus­for­de­rung, die sich aber letzt­end­lich in zahl­rei­chem Besuch auszahlte. Waren bei den vorhe­rigen 30 Open Airs im Wald zuletzt im Jahr 2019 an die 3000 Zuschauer vor Ort, gibt die anhal­tende Covid-19-Pandemie immer noch zwingende Auflagen vor, um aktuell eine solche Show anzu­bieten. Bierbänke im Sicher­heits­ab­stand, Masken­pflicht außerhalb des eigenen Platzes – und die, die da waren, hätten sicher­lich auch gerne häufiger getanzt.

Das Kaiser-Wilhelm-Park Open Air – kurz KWP Göttingen, war nach der Zwangs­pause 2020 auch im Spät­sommer 2021 ein zwei­tä­giges Spektakel mit Top-Acts aus und weit um Göttingen herum. Die Idee, eine Bühne mitten in einem Wald­ge­biet zu plat­zieren, ist von der Optik und von der blei­benden Ruhe für die Anwohner mehr als gelungen. Unser Blatt war zum ersten Mal zu Gast für einen Abend, und so viel steht fest, wenn wir dürfen, kommen wir wieder. Überzeugt waren alle Anwe­senden auch von dem viel­fäl­tigen Programm, dass inmitten von soviel Natur geboten wird. Das Publikum war entspre­chend auch in allen Alters­schichten anwesend, von ganz jung bis jung geblieben.

Den Start­schuss der drei Acts des Abends machte eine Göttin­gerin. Oder eine Künst­lerin aus Washington. Oder noch besser gesagt, beides. Vor einem Jahr zog die Frontfrau der Formation Lea And The Moment aus der US-ameri­ka­ni­schen Haupt­stadt ins südliche Nieder­sachsen, dass aber bereits zum zweiten Mal. Alle kramten bei ihrer Begrüßung bereits in ihren Englisch­kennt­nissen, jedoch lediglich die Anmo­de­ra­tion für ihr Programm hatte inter­na­tio­nalen Charakter. Die Musikerin spricht fabelhaft deutsch, aber noch deut­li­cher ist ihre gesungene Sprache.

Die Blues­röhre verzau­berte den Wald in eine Gospel­lo­ca­tion. Die Zuhörer bekamen einen stimmlich perfekten Mix aus Folk, Soul und ein wenig Country. Lea schreibt ihre Songs selbst, und gibt jedem ihrer Stücke ihre eigene Hand­schrift. Sie kann, wie zu ihrem Beginn des Programm, alleine mit ihrer Ausdrucks­kraft eine ganze Bühne füllen. Die Bühne wurde gefüllt, oder besser gesagt, nach und nach aufge­füllt. Denn im Laufe ihrer rund einstün­digen Show kamen ihre weiteren Band­mit­glieder hinzu, um die Stimm­kraft der Frontfrau noch mehr zu untermalen.

Nach dem sehr niveau­vollen Auftakt war die Zeit für wasch­echte Göttinger gekommen. Gebürtige, denn keiner der sechs Band­mit­glieder lebt mehr in seiner Heimat­stadt. Flooot, so der Name der Formation, sind stilis­tisch eine Sensation. Eingän­gige Popsongs werden gerappt – und geblasen. Richtig, denn die drei Front­jungs benutzen für ihre Art Main­stream zusätz­lich Posaune und Trompete. Bevor Sie jetzt denken, dass harmo­niert doch überhaupt nicht, sollten Sie die Band wirklich einmal live erleben. Rund 2 Stunden fesselten die Musiker das Publikum mit einer sensa­tio­nellen Vielfalt.

Ihre Stücke sind mitunter ein wenig frech bis leicht provo­zie­rend; aber so richtig böse ist ihnen keiner. Denn auch sich selbst nehmen die Künstler unter­ein­ander auf die Schippe, und präsen­tieren ihr Programm mit sehr viel Charme. Inhalte ihrer Songs sind das haus­ei­gene Sofa, das seelische Tief­druck­ge­biet, aber auch die Bierbank, auf der sich die drei Front­jungs nieder­ließen, um sich mit dem Publikum zu soli­da­ri­sieren. Und die gast­ge­bende Stadt Göttingen hat Dank der Band auch eine eigene, und auch eine sehr ehrliche Hymne bekommen. Doch lange still­sitzen gilt nicht für die Band, die in diesem Jahr ihr zehn­jäh­riges Bühnen­ju­bi­läum feiert nicht, denn neben unter­schied­li­chen Musik­stilen können sie auch fabelhaft enter­tainen und sogar tanzen.

Die Uhr zeigte, dass es an diesem Freitag Abend inzwi­schen 23 Uhr geworden ist, aber alle Gekom­menen warteten auf die Krönung des Abends. Wieder ein zehn­jäh­riges Jubiläum, solange ist es her, dass Musikfans bei der TV-Show The Voice Of Germany auf Michael Schulte aufmerksam wurden. Und wenn man dem deutschen Ed Sheeran auch noch seine Einge­wöh­nungs­zeit auf dem Online­kanal YouTube hinzu­rechnet, so ist der rote Locken­kopf musi­ka­lisch noch länger aktiv. Beim KWP OpenAir sahen die Göttinger, wie Michael Schulte sich positiv entwi­ckelt hatte. Der zweifache Vater aus Buxtehude bietet inzwi­schen ein Stimm­vo­lumen, dass seinen Songs auch rockigen Charakter gibt.

Schulte hat es aus eigenem Können geschafft. Als einer der wenigen, die bisher erfolg­reich aus dem Casting­format hervor­ge­gangen sind, bestritt der gebürtige Schleswig-Holsteiner mitt­ler­weile nur mit eigenen Songs seinen Auftritt. Bei seinen Hits wie „Keep Me Up“ und „Back To The Start“ beglei­tete sich Schulte selbst mit der Gitarre, ebenso bei seinem 2021-er Song „Stay“. Seine Show und sein Enter­tain­ment sind dabei genauso sympa­thisch wie unter­haltsam, da erlaubt man dem Ausnah­me­künstler Ausflüge in die Versuchs­welten von „Macarena“ oder „Ave Maria“.

Noch bevor es in die Zugaben ging, erinnerte Michael  Schulte an wohl seinem größten Triumph bislang. Seinen Song „You Let Me Walk Alone“ präsen­tierte er nicht nur in Göttingen, sondern auch im Mai 2018 in Lissabon einem euro­päi­schen Publikum. Die tragische Geschichte vom Verlust des Vaters bescherte dieser Song als deutscher Beitrag Platz 4 beim Euro­vi­sion Song Contest. Dieses sehr persön­liche Lied holte an diesem Abend mehr Punkte als die deutschen ESC-Teil­nehmer der Jahre 2011–2021 zusam­men­ge­rechnet. Ohnehin war 2018 das Jahr des Michael Schulte. Nach dem erfolg­rei­chen inter­na­tio­nalen Ausflug verkaufte sich sein Album „Wide Awake“ wie warme Semmeln, heiratete wenige Wochen nach dem ESC-Finale, und zwei Monate später wurde er zum ersten Mal Vater. Zudem bekam er im selben Jahr den Bambi verliehen.

Irgend­wann, zwischen halb eins und ein Uhr in der Nacht, brachen die mitt­ler­weile unge­wohnten Party­gänger noch gar nicht müde den Heimweg an. Die meisten per Shut­tlebus, denn mit dem haus­ei­genen PKW zum Veran­stal­tungs­ge­lände war nicht nur ökolo­gisch, sondern auch logis­tisch in dieser Menge unmöglich. Das Angebot nahmen die aller­meisten Besucher an, um Erin­ne­rungen von einem Festival mitzu­nehmen, wie es in dieser Klasse nur ganz wenige gibt. Ein Riesen­kom­pli­ment verdienen auch die Techniker, die ohne öffent­li­chen Sound­check den Eintritt gerecht werden ließen. Von zwei Festtagen innerhalb des Göttinger Kultur­som­mers war die Frei­stätter Online Zeitung erstmal da – und wenn es nach uns geht, kommen wir gerne wieder.