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Einladung der Natio­nalen Armuts­kon­fe­renz nach Berlin

Jedes Jahr im Herbst lädt die Nationale Armuts­kon­fe­renz (NAK) eine Gruppe von etwa 100 Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen nach Berlin zu einem Treffen ein, um sich über die Situation armer Menschen im Lande auszu­tau­schen und um gesell­schaft­liche Probleme zu besprechen,

Diese Jahr stand das 16. Treffen an, bei dem auch wieder Forde­rungen an die Politik ausge­ar­beitet wurden, wie die Situation armer Menschen in Deutsch­land verbes­sert werden müsste.

Zum Abschluss des Treffens veröf­fent­lichte die NAK eine Pres­se­mit­tei­lung, die wir hier veröffentlichen:

Pres­se­mit­tei­lung der Natio­nalen Armuts­kon­fe­renz (NAK)


26. Oktober 2023

Rund hundert Erwach­sene und Kinder mit Armut­s­er­fah­rung
formu­lieren Forde­rungen an die Politik

Berlin, 26.10.2023 – Auf dem heutigen 16. Treffen der Menschen mit Armut­s­er­fah­rung in Berlin kamen mehr als 100 Betei­ligte sowie Kinder und Jugend­liche aus ganz Deutsch­land zusammen, um sich über ihre Situation auszu­tau­schen, gesell­schaft­liche Probleme zu bespre­chen und ihre Forde­rungen auszuarbeiten.

Ein Ergebnis des Treffens: Die Kinder und Jugend­li­chen formu­lierten einen Brief an Bundes­kanzler Olaf Scholz.

Viele Teil­neh­mende schil­derten ihre Wahr­neh­mung, dass die aktuellen poli­ti­schen Debatten völlig an der realen Lebens­si­tua­tion und der täglich erlebten Not von in Armut lebenden Menschen vorbei­gehen“, berichtet Renate Antonie Krause aus Kiel, die das Treffen mit vorbe­reitet hat.

Statt wirksame Hilfen umzu­setzen, werden Menschen in Armut ständig diskreditiert.“

So sei es völlig unklar, welche der mit dem Bürger­geld und der Grund­si­che­rung verbun­denen großen Verspre­chen überhaupt umgesetzt werden.

Im Bundes­haus­halt sind die Mittel rapide zusam­men­ge­kürzt worden, mit denen die indi­vi­du­elle Förderung ermög­licht werden sollte. Und die Menschen in der Grund­si­che­rung im Alter sind überhaupt aus dem Blick geraten“, kriti­siert Krause.

Die Teil­neh­menden erar­bei­teten ihre Forde­rungen in Workshops zu den Themen Wohnen, Exis­tenz­si­che­rung und Zugang zu Sozi­al­leis­tungen.

Dorothea Starker aus Oldenburg berichtet aus dem Workshop Zugang zu Sozi­al­leis­tungen, dass die Zugangs­pro­bleme für die Bürge­rinnen und Bürger zu Leis­tungen und Hilfen oft schwierig gestaltet seien.

Da fehlt es an allen Ecken und Enden. Den als Helfenden in den Behörden ange­stellten Personen fehlen oft fachliche Grund­lagen, um Armuts­lagen richtig erkennen und einordnen zu können. Und sie müssen gute Instru­mente an der Hand haben, um Hilfen auch schnell und unkom­pli­ziert umsetzen zu können. Der Perso­nal­mangel ist überall spürbar, oft stehen formelle Vorgänge im Vorder­grund, statt die Gewähr­leis­tung wirksamer Unterstützung“.

Es fehle aber auch an vorge­la­gerten Hilfen. So seien Bera­tungs­stellen oft unter­fi­nan­ziert oder überhaupt nicht vorhanden, Quali­täts­stan­dards in Sozi­al­be­hörden und Jobcen­tern im Sinne einer lang­fris­tigen Verbes­se­rung der Lebens­per­spek­tiven seien unterentwickelt.

Außerdem kommen viele Menschen überhaupt nicht mehr an die Hilfen ran, weil sie mit den digitalen Zugängen nicht klar­kommen, das höre ich immer wieder“, betont Starker. Aber auch die Stellung derje­nigen, die Leis­tungen in Anspruch nehmen oder benötigen müsse an sich verbes­sert werden.

Da geht es auch hier ganz stark um Empowerment.

Zum Ersten klar sagen und sich trauen: Ich benötige Hilfe, ich nehme aber auch die mir zuste­henden sozialen Rechte in Anspruch.

Zum Zweiten: Die Hilfe­su­chenden müssen ernst genommen und respek­tiert werden. Sie haben ihre eigenen Kompe­tenzen und Erfah­rungen, die für die Verbes­se­rung der sozialen Angebote auch genutzt werden sollten, etwa durch die Mitwir­kung in Jobcenter-Beiräten und durch die flächen­de­ckende Schaffung von Ombudsstellen.“

Dorothea Starker fordert: „Aus Sicht der Menschen mit Armut­s­er­fah­rung gilt aber auch: Sie müssen an sich arbeiten, offensiv auftreten, ihre Rechte einfor­dern und die Scham über­winden. Ich sage: Schäme Dich nicht für Deine Armut – werde aktiv!“

Fragen der Exis­tenz­si­che­rung wurden in einem weiteren Workshop kritisch diskutiert.

Viele Leis­tungs­be­zie­hende erleben noch nicht konkret, wie durch das Bürger­geld die Agenda 2010 über­wunden wird“, berichtet Peter Ring aus Schwabach in Mittel­franken. Nach wie vor werde viel über die Armen gespro­chen, weniger über die Armut und kaum mit den Menschen mit Armutserfahrung.

Da muss sich die Sozi­al­po­litik ändern. Poli­ti­ke­rinnen und Politiker müssen dieje­nigen, für die die sozialen Leis­tungen entwi­ckelt werden, intensiv in Gespräche über die Ausge­stal­tung mit einbe­ziehen. Da sind die Betei­li­gungs­for­mate des Minis­te­riums für Arbeit und Soziales ein guter erster Schritt, aber das muss für alle Minis­te­rien und auch für die parla­men­ta­ri­sche Arbeit einfach ein selbst­ver­ständ­li­cher und ständiger Standard werden.“

Die am Workshop Betei­ligten entwi­ckelten deutliche Forde­rungen an die Ermitt­lung des Exis­tenz­mi­ni­mums und die Ausge­stal­tung der Exis­tenz­si­che­rung. „Es muss ganz klar sein: Jeder und jede in Deutsch­land Lebende muss das Exis­tenz­mi­nimum auch tatsäch­lich sicher zur Verfügung haben“ betont Ring.

Am Lebens­not­wen­digen darf nicht herum­ge­stri­chen und es darf nicht vorent­halten werden. Für ein menschen­wür­diges Leben darf es keine Bedin­gungen geben, das ist ein soziales Grundrecht.“

Auch die Höhe der Leis­tungen stand zur Debatte. Dabei wurde kriti­siert, dass der Gesetz­geber immer noch Elemente eines Statistik- und eines Waren­korb­mo­dells für das Exis­tenz­mi­nimum vermische.

Peter Ring: „Da wird erst in einer Vergleichs­gruppe ermittelt, was Menschen mit geringen Einkommen ausgeben, dann soll das Maßstab für den Regelsatz sein, aber schließ­lich werden bestimmte Ausgaben relativ will­kür­lich gestri­chen wie zum Beispiel Grün­pflanzen oder Haus­tier­futter. Darum fordern wird, dass es endlich eine einheit­liche Methode gibt und diese zeitnah ange­wendet wird.

Hierfür gibt es gute und wissen­schaft­lich gesi­cherte Vorschläge. Bedarfe müssen klar benannt und nicht beliebig fest­ge­setzt und die so ermit­telte Höhe des Exis­tenz­mi­ni­mums auch tatsäch­lich ausge­zahlt werden. Und das muss für das Bürger­geld wie für die Grund­si­che­rung im Alter glei­cher­maßen gelten.“

Im Workshop Wohnen wurde deutlich, wie exis­tenz­be­droh­lich die aktuelle Lage am Wohnungs­markt für Menschen mit wenig Geld ist.

Millionen von Menschen sind von Wohnungsnot betroffen. Das ist ein ganz zentrales Problem und muss endlich zur Kenntnis genommen werden. Die Politik muss ihrer Verant­wor­tung nach­kommen, dagegen endlich wirksame Maßnahmen umzu­setzen“, fasst Elvira Prescher aus Ober­hausen im Ruhr­ge­biet das Anliegen der Betei­ligten zusammen. Es gehe hier nicht um irgend­eine Ange­le­gen­heit neben anderen, sondern ganz banal um ein menschen­wür­diges Leben in Würde:

Wohnen ist ein Schutz­raum und zugleich Voraus­set­zung für ein selbst­be­stimmtes Leben“, so Prescher.

Das Vertrauen darauf, dass alle Menschen guten und ausrei­chenden Wohnraum bekommen, hat aber auch noch eine weitere Bedeutung“, erläutert Guido Heinemann aus Ludwigs­burg bei Stuttgart.

Wenn ich jeden Tag befürchten muss, gar nicht mehr sicher Wohnen zu können, bedroht das die Menschen ganz exis­ten­tiell. Nicht zuletzt erodiert so das Vertrauen in den Staat. Das kann bis zu Wahl­er­folgen der AfD führen, obwohl deren Programm die Situation der Menschen noch weiter verschlech­tern würde.

Wohnen ist ein Grund­recht.

Laut Guido Heinemann und Elvira Prescher formu­lierten die Work­shop­teil­neh­menden als Kernforderungen:

  • Die Antwort auf Wohnungs­lo­sig­keit muss immer eine Wohnung sein.
  • Leerstand durch Speku­la­tionen beenden!
  • Funk­tio­nie­rende Miet­de­cke­lung – selbst für den Mittel­stand sind die Mieten zu hoch.
  • Digi­ta­li­sie­rung und damit Wohn­raum­zu­gänge auch für Obdach­lose ausbauen, zum Beispiel durch kosten­loses und ständig verfüg­bares Internet, Strom­zu­gang und Hilfe bei der Nutzung.
  • Die Macht der SCHUFA wirksam begrenzen.
  • Mehr Unter­stüt­zung bei Miet­schulden oder fehlenden Bescheinigungen.

Nicht nur Erwach­sene trugen auf dem 16. Treffen der Menschen mit Armut­s­er­fah­rung ihre Forde­rungen zusammen. In einer Kinder- und Jugend­werk­statt formu­lierten Kinder und Jugend­liche aus ganz Deutsch­land einen Brief an den Bundeskanzler.

Darin heißt es: „Lieber Olaf, Wir wollen, dass die Lebens­mittel günstiger sind und die Klamotten auch. Das Schu­lessen müsste besser gemacht werden – die meisten sind darauf ange­wiesen, weil nicht jeder Geld hat, am Nach­mittag zu essen. Die Klas­sen­fahrten sollten im Voraus über­nommen werden.

Bitte gehen Sie gegen Mobbing vor – viele wissen nicht, wie sich Mobbing anfühlt. Sie können etwas tun, damit unser Leben besser wird! Danke, dass Sie diesen Brief gelesen haben!

Wir müssen reden, Olaf!


Das Bundes­mi­nis­te­rium für Arbeit und Soziales fördert dieses Beteiligungsformat.

Pres­se­kon­takt

Michael Stiefel, Projekt­lei­tung Betei­li­gung von Menschen mit Armutserfahrung, 
beteiligung@diakonie.de,
Telefon: +49 30 65 211–13 25 

Michael David, Mitglied im Koor­di­nie­rungs­kreis der Natio­nalen Armutskonferenz, 
armutskonferenz@diakonie.de,
Telefon: +49 30 65 211–16 36 

Auch unsere Redaktion unter­stützt die Arbeit der Natio­nalen Armuts­kon­fe­renz (NAK) mit ihren Forde­rungen besonders zur Verbes­se­rung der Situation von Menschen mit geringem Einkommen. Wir werden auch künftig auf unserer Webseite über ihre Veran­stal­tungen berichten.

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NAK-Treffen in Berlin 2023