Für Musikfans ist die Bezeichnung Wonnemonat, was den Mai angeht, tatsächlich etwas Besonderes. An einem Samstagabend findet der größte Musikwettbewerb statt. Das ist auch 2019 so, der mittlerweile 64. Eurovision Song Contest ging am vergangenen Sonnabend über die Bühne. Ort des Geschehens war allerdings nicht Europa: Dank des Sieges von Netta Barzilai vor einem Jahr in Lissabon bekam Israel das Recht zum Austragen des Events. Der Gastgeber verlegte den Contest nach Tel Aviv, und somit wurde die Hafenstadt für eine Woche zur Partyzone des besonderen europäischen Karnevals.
Der ESC hat mittlerweile sehr viele Fans, und damit ist es logisch, dass es europaweit mittlerweile viele Public Viewings gibt, die es erlauben, in Gemeinschaft zu feiern und mitzufiebern. Unsere Redaktion, jedenfalls ein Teil davon, war am Finalabend bei einem solchen Happening. Der Ort des Geschehens war die Volkshochschule in Hannover. Stephan Kaps, einer der Organisatoren der Party, ist Programmbereichsleiter für Kultur und Kreativität. Unterstützt durch die Initiative des ESC-Experten Irving Wolther und durch die Förderung der UNESCO City Of Music gelang es, in der VHS eine kreative Location herzuzaubern. Etliche Hannoveraner, aber auch Auswärtige, kamen zu diesem Zweck in die Geburtsstadt von Lena Meyer-Landrut, unserer deutschen Gewinnerin des ESC 2010 in Oslo.
Und es wurde und war alles vorbereitet. Häppchen, Getränke, Maskerade sowie natürlich Stimmzettel. Und ganz wichtig, ein großer Bildschirm für die Übertragung aus Tel Aviv. Denn der ESC bedeutet nun mal, eine Fête aufzuziehen, Spaß an Musik aus den unterschiedlichsten Kulturen in allen erdenklichen Stilen zu haben – aber auch konzentriert bei den Acts zu sein, um seine Favoriten herauszufiltern.
Da die Fans lange vor 21 Uhr, und damit vor der Übertragung aus Tel Aviv da waren, wurde die Zeit überbrückt. Zum einen konnten sich die Gäste Songs aus der 64-jährigen Geschichte des ESC wünschen, und so in Erinnerungen an besondere Grand-Prix-Momente wähnen. Zum anderen gab es eine Art Experteninterview mit Prof. Dr. Irving Wolther, der via Schaltung aus Berlin hinzugeschaltet wurde. Wolther selbst verfolgt den Wettbewerb seit Kindesbeinen, und hat den ESC als Thema seiner Doktorarbeit gewählt und damit promoviert. „Dr. Eurovision“, wie Wolther seither von vielen bezeichnet wird, hatte die Semifinalshows noch live in Tel Aviv verfolgt. Zum Finale musste er aus beruflichen Gründen in Berlin sein, wo er es sich aber nicht hat nehmen lassen, dort an einem Public Viewing teilzunehmen, sowie sich für die ESC-Fans in Hannover Zeit zu nehmen.
Im Gespräch mit Stefan Kaps lobte Wolther Tel Aviv für die gelungene Ausrichtung des Festivals, und war zudem fasziniert von den vielen Facetten der Hafenstadt. Im Gegensatz zu Kaps, der aus dem Starterfeld keinen eindeutigen Favoriten ausmachen konnte, legte sich Wolther auf Italien als Gewinner fest. Der Experte nutzte aber das Gespräch, um Werbung für ein besonderes Event zu machen. Es nennt sich UNESCON, findet vom 28. bis 30. Juni 2019 in Hannover statt, und ist quasi das erste Festival für ESC Fans. Wir werden in naher Zukunft genauer darauf eingehen.
Und dann war es soweit. Über vier Stunden sorgte die Live-Übertragung aus Israel für beste Unterhaltung, Spannung und ein wenig Madonna. Alle wurden Zeuge der dramatischen Entwicklung bei der Punktevergabe. Ironischer Beifall brandete auf, als die null Televotingpunkte an den deutschen Beitrag „Sister“ verkündet wurden. Großes Erstaunen gab es während der Jury-Abstimmung über die vielen Punkte an Nordmazedonien. Deren Kandidatin Tamara Todevska, die dadurch lange Zeit in Führung lag hatte so gut wie keiner auf der Rechnung. Auch wenn viele sich unterschiedliche Gewinner gewünscht haben, so zeigten sich doch viele berührt, als der siegreiche Duncan Laurence aus den Niederlanden seine Sieger-Hymne „Arcade“ erneut vortrug.
ESC gemeinsam zu gucken heißt auch, sich zu einem freien Europa zu bekennen. Der Musikwettbewerb steht für Toleranz und Vielfalt unter den Menschen. An einem Samstag im Mai verwandelt sich der ganze Kontinent zu einem einzigartigen Wohnzimmer, in dem gemeinsam Musik gehört wird, und alle miteinander spielen. Das alleine zeigt, wie bedeutsam diese Veranstaltung ist. Ralph Siegel sagte einmal, für das, was der Wettbewerb bewirkt, gibt es keinen Ersatz. Das hat auch der Abend in der Volkshochschule Hannover bewiesen.