Aktionsgruppe Gnadenlos Gerecht mit Politikern im Gespräch beim Weltarmutstag in Hannover - 17.10.2020

HARTZ-IV“-Erhöhung –
nicht mehr als „ein Appel und ein Ei“?

Erhöhung des ALG-II-Regel­satzes 2021

Anfang September 2020 meldete das Bundes­ar­beits­mi­nis­te­rium, dass die geplante Erhöhung des Arbeits­lo­sen­geldes II (ALG II) – das umgangs­sprach­lich gerne auch als „HARTZ IV“ bezeichnet wird – zum 1. Januar 2021 nun doch um erstaun­liche 14,- Euro erhöht werden soll.

Ursprüng­lich war ja zuerst einmal nur eine Erhöhung um 7,- Euro geplant, mit der das Minis­te­rium für Arbeit und Soziales seiner bishe­rigen Praxis nach dem Regel­be­darfs­er­mitt­lungs­ge­setz gefolgt wäre. Letzteres soll ja die Preis­ent­wick­lung für regel­be­darfs­re­le­vante Güter in Deutsch­land ausglei­chen, wie es offiziell heißt.

Für Allein­ste­hende wird es also Anfang 2021 eine Erhöhung von bisher 432,- Euro auf immerhin 446,- Euro beim ALG II geben.

Doch diese Erhöhung ist für die ALG-II-Bezieher alles andere als ein Grund zum Jubeln. Im Gegenteil: „HARTZ IV“ ist seit dem Inkraft­treten der „Arbeits­markt-Reform“ von 2005 zur wach­senden Armuts­falle für immer mehr Menschen geworden. Nicht zuletzt auch durch die Auswei­tung von prekären Arbeits­ver­hält­nissen, was die Teilnahme am sozialen Leben mit diesen monat­li­chen Zahlungen im Verlauf der Jahre immer schwie­riger bis unmöglich gemacht hat.

Für arme Menschen hört sich diese geplante Erhöhung um gerade einmal 14,- Euro monatlich daher an wie „ein Appel und ein Ei“ mehr zu bekommen – auch vor dem Hinter­grund von Milli­ar­den­zah­lungen an Groß­firmen in der aktuellen Corona-Krise.

Aktion am Welt­ar­mutstag

Genauso empfand es wohl auch Klaus-Dieter Gleitze, Geschäfts­führer der Landes­ar­muts­kon­fe­renz Nieder­sachsen. Gemeinsam mit dem Akti­ons­gruppe „Gnadenlos Gerecht“ veran­stal­tete er am 17. Oktober – dem Welt­ar­mutstag – unter dem Motto „Ein Appel und ein Ei“ in der bekannte Einkaufs­meile Kröpcke in Hannover eine besondere Aktion zur Verdeut­li­chung der mangel­haften Regel­sätze beim ALG II. Einge­laden waren neben Menschen, die gegen die frag­wür­dige HARTZ-IV“-Politik mobil machen auch die Landes- und Frak­ti­ons­vor­sit­zenden sämt­li­cher Regie­rungs- und Oppo­si­ti­ons­par­teien im nieder­säch­si­schen Landtag. Erschienen waren dann aber lediglich die Partei­spitzen von DIE LINKE, vom BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN sowie von der Pira­ten­partei Deutsch­land. Den übrigen poli­ti­schen Parteien schien das Thema Armut in Deutsch­land wohl zu unwichtig zu sein (oder nicht als christ­lich-demo­kra­ti­sches, sozi­al­de­mo­kra­ti­sches oder liberales Thema zu taugen?).

SPD, CDU und FDP glänzten allesamt durch Abwe­sen­heit.

Einge­laden war auch Marc Beinsen (Mitglied der Impro­kokken) als Jongleur, der mit Hilfe von Eiern und Äpfeln symbo­lisch mit den verschie­denen Teil-Tages­sätzen des HARTZ-IV“-Regelsatzes jonglierte. Dabei stand jedes Ei oder jeder Apfel für eine Sparte dieses ominösen Regel­satzes. Marc verdeut­lichte mit seinem Jonglieren so die Probleme eines jeden Bezie­henden, mit diesem Tages-Budget irgendwie zurecht zu kommen.

Diese Beträge für Ernährung, Hygiene, Strom, Mobilität, Zeitung und anderes sind nun mal vom Gesetz­geber dermaßen knapp bemes­senen, dass es an allen Ecken und Enden nicht wirklich reicht, um vernünftig „über die Runden zu kommen“. Erst recht, wenn dann auch noch vom Jobcenter – vorgeb­lich „zu Recht“, aber fast immer sehr frag­würdig – sank­tio­niert werden sollte.

Auf welche eigent­lich notwen­dige Dinge des alltäg­li­chen Lebens der Betrof­fene dann notge­drungen verzichten will, macht dieses Machwerk einer vorgeb­li­chen „Reform des deutschen Sozi­al­sys­tems und Arbeits­marktes (?) der Agenda 2010“ zu dem verhassten Knebe­l­in­stru­ment, das fast jeder „HARTZ IV“ bezie­hende Mensch in Deutsch­land schon erleben musste.

So fielen Marc als Jongleur regel­mäßig und symbol­trächtig immer wieder einmal seine ausge­preisten Eier und Äpfel zu Boden … auf den „armselig“ harten Boden der fest­ge­schrie­benen Bestim­mungen zum ALG-II-/„HARTZ-IV“-Bezug.

In Krisen­zeiten wie diesen werden es immer mehr Menschen mit Zukunfts­ängsten, Arbeits­lo­sig­keit, Armut oder gar drohender Wohnungs­lo­sig­keit konfron­tiert. Je länger die Corona-Pandemie andauert, um so schlimmer wirken sich jetzt für viele betrof­fene Menschen die zöger­li­chen oder gar fehlenden Hilfen der Politik aus. Ein wach­sender Anteil der Bevöl­ke­rung muss offenbar befürchten, wirt­schaft­lich „vor die Hunde“ zu gehen.

Die Forde­rungen der Akti­ons­gruppe „Gnadenlos Gerecht“ und auch von Klaus-Dieter Gleitze als LAK-Geschäfts­führer waren entspre­chend klar formuliert:

Nicht um 14,- Euro sondern um 100,- Euro sollte das ALG II angehoben werden. Ein einma­liges „Corona-Geld“ von 1.000,- Euro sollte ebenfalls an die rund 6 Millionen Bezieher gehen, um ihre finan­zi­elle Lage zu verbessern.

Viele der ärmeren Menschen waren schon während des ersten Lockdowns wegen geschlos­sener Tafeln und Tages­treffs stark in ihrem Leben beein­träch­tigt und müssten das jetzt erneut befürchten. ALG-II-/„HARTZ-IV“-Bezieher dürften auch nach der Corona-Krise nicht mehr von den Jobcen­tern sank­tio­niert werden, fordern LAK und „Gnadenlos Gerecht“.

Die Politik schaut (teilweise) zu

Die Passanten und Betei­ligten hatten während der Veran­stal­tung die Gele­gen­heit, mit den Landes­vor­sit­zenden von immerhin drei Parteien ins Gespräch zu kommen. Dabei entstanden inter­es­sante Diskus­sionen, für die wir uns hier beson­derer bei Lars Leopold (DIE LINKE), Hans-Joachim Janssen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Thomas Ganskow (Pira­ten­partei Deutsch­land) bedanken möchten, besonders auch weil einige „renom­mierte“ Parteien sich diesem Dialog verwei­gerten oder sich offenbar den Bürger*inne*n bei dieser Aktion zum Welt­ar­mutstag nicht stellen wollten.

Zwar unter­schied­lich in der Auffas­sung, so erkannten doch alle drei Vorsit­zenden, dass arme Menschen in der Krise „noch ärmer dran sind“ als andere Bürger*innen. Unter­schied­liche Auffas­sungen gab es bei ihnen dann aber zum Thema Bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen (BGE), das zumindest bei vielen Mitglie­dern und Poli­ti­kern DER LINKEN als ein mögliches Modell zur Armuts­be­kämp­fung angesehen wird.

Wir kennen mitt­ler­weile viel zu viele betrof­fenen arme Menschen, die ein BGE nur zu gerne einmal auspro­bieren würden, auch auf die Gefahr hin, dass dann viele ALG-II-verwal­tende Büro­kraten-Menschen eventuell arbeitslos werden könnten.

Unser Fazit

Uns bleibt noch einmal hervor­zu­heben, dass – wie auch schon zu den Veran­stal­tungen zum Tag der Wohnungs­losen am 10. und 11. September – leider wieder einmal Politiker von CDU, FDP und SPD bei dieser Aktion nicht anwesend waren.

  • Müssen wir das als Desin­ter­esse am Thema „Armut in Deutsch­land“ bei ihnen interpretieren?
  • Wie wollen sie dann die immer deut­li­cher werdende Armut in Deutsch­land bekämpfen?
  • Oder fehlt es diesen Parteien einfach an passenden Ideen?

Eine kleine Hoffnung machen immerhin die (immer noch viel zu begrenzten) Mittel für neuen sozialen Wohnungsbau, den die Politik zumindest ansatz­weise als wichtiges Arbeits­feld wieder­ent­deckt zu haben scheint. Wenn wir uns die Entwick­lung der Mieten in großen und kleinen Städten – aber auch immer mehr auf dem Lande – anschauen, muss da aber wohl noch deutlich mehr geschehen!

Damit die Mittel­schicht im Land nicht noch mehr leidet und mehr und mehr abgehängt wird, sollte es auch im Interesse unserer gesamten Gesell­schaft sein, die immer größer werdende Spaltung unserer Gesell­schaft in Arme, Mittel­schicht und Reiche abzubauen, statt ihr Ausein­an­der­driften weiter zuzulassen.

Wegducken und sich aus der Verant­wor­tung stehlen?
– die Zeiten hierfür sind unserer Meinung nach vorbei!

Die Gruppe „Gnadenlos Gerecht“, die LAK Nieder­sachsen und alle Betei­ligten der Kröpcke-Aktion in Hannover vom letzten Samstag sind sich darin zumindest einig.