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Vorge­se­hene ALG-II Regel­sätze wurden bestätigt

Der Bundesrat tagte

Der Bundesrat hat am 27.11.2020 die neuen ALG-II-Regel­sätze bestätigt, mit denen der künftige monat­liche Auszah­lungs­be­trag laut Regel­satz­be­darfs­er­mitt­lungs­ge­setz ab Januar 2021 auf 446,- Euro steigen soll.

Die Entschei­dung war bis zuletzt strittig, wie die folgende Pres­se­mit­tei­lung des Tacheles e. V. vom 26.11.2020:


Tacheles e. V. - Pressemitteilung

P R E S S E M I T T E I L U N G

Regelsätze ab Januar 2021 - Sozialgesetzbücher Deutschland
Graphik: wohnungslos.info

Berlin / Wuppertal, 26.11.2020


Regel­satz­be­darfs­er­mitt­lungs­ge­setz
– jetzt einschreiten!


Das bundes­weite Bündnis AufRecht bestehen fordert den Bundesrat dazu auf, den Entwurf der Bundes­re­gie­rung für ein Regel­be­darfs­er­mitt­lungs­ge­setz in der vom Bundestag beschlos­senen Form zu stoppen, indem es den Vermitt­lungs­aus­schuss anruft.

Bei der Sitzung am 27. November wird dem Bundesrat der vom Bundestag verab­schie­dete Entwurf für ein neues Regel­be­darfs­er­mitt­lungs­ge­setz zur Zustim­mung vorliegen (Bundes­rats-Drucks. 654/20). Die darin enthal­tenen neuen Regel­be­darfe werden die mate­ri­elle Situation und die Teil­ha­be­chancen von beinahe 8 Mio. Menschen in den kommenden Jahren bestimmen. 

Wir hoffen sehr, dass der Bundesrat bei seiner kriti­schen Haltung zu den Methoden und Ergeb­nissen der Bedarfs­er­mitt­lung bleibt und den Vermitt­lungs­aus­schuss anruft. Auch, wenn das bedeuten sollte, dass die geplante Anhebung der Regel­be­darfe zum nächsten 1. Januar zunächst verschoben oder diese – ersatz­weise – auf Grundlage des alten Bedarfs­er­mitt­lungs­ge­setzes bestimmt werden müssten.

Die Bundes­re­gie­rung hat ihre Haus­auf­gaben einfach nicht gemacht. Die vom Bundesrat vorge­tra­gene dezi­dierte Kritik hat sie gänzlich unbe­ein­druckt gelassen. Die Erwi­de­rung der Bundes­re­gie­rung zu dieser Kritik, die sich in der Bundes­tags-Druck­sache 19/34549 findet, lässt keine ernst­hafte Bereit­schaft erkennen, auf die Länder­kammer zuzugehen.

Abgesehen von den Anpas­sungen, die im Zuge der Aktua­li­sie­rung anhand der jüngsten Preis- und Lohn­ent­wick­lung vorge­nommen wurden, und der Hinzu­fü­gung weiterer Artikel bleibt der wesent­liche Inhalt des Gesetzes in den hier maßgeb­li­chen Artikeln 1, 2 und 3 der alte. Die Summe der Strei­chungen einzelner Ausga­be­po­si­tionen wider­spricht dem Statis­tik­mo­dell und stellt die Ermitt­lung der Regel­sätze insgesamt in Frage.

Wir teilen zusammen mit Gewerk­schaften, Wohl­fahrts- und Sozi­al­ver­bänden die fundierte Kritik der Länder­kammer an dem Geset­zes­ent­wurf der Regierung. (Näheres dazu auch unter
https://www.erwerbslos.de/aktivitaeten/716-kritik-an-zu-niedrigenregelsaetzen)

Der Umfang der letztlich will­kür­li­chen Strei­chungen bei einzelnen Bedarfs­po­si­tionen macht z. Bsp. für Allein­ste­hende rund 160,- Euro aus. Das ist für die Betrof­fenen ein gewal­tiger Betrag, der Monat für Monat in der Haus­halts­kasse fehlt.

Tatsäch­lich verfügte das ärmste Zehntel der Bevöl­ke­rung 2017 nach dem aktuellen Vertei­lungs­re­port 2020 des Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung real sogar über nied­ri­gere Einkommen als 2010. In dieser Einkom­mens­gruppe wird das Einkom­mens­ni­veau bei den meisten Menschen vermut­lich fast voll­ständig durch die staat­li­chen Grund­si­che­rung (SGB II, XII und AsylBlG) bestimmt. Das weist deutlich darauf hin, dass die jähr­li­chen Anhe­bungen der Regel­be­darfe nicht ausrei­chen, um den ohnehin niedrigen Lebens­stan­dard der Leis­tungs­be­zie­henden zumindest auf niedrigem Niveau stabil zu halten.

Armut und Ausgren­zung in Deutsch­land werden also schlimmer, nicht besser. Dieser Befund wird durch den jüngst vorge­stellten Armuts­be­richt 2020 des Pari­tä­ti­schen Wohl­fahrts­ver­bandes bestätigt. Von Armut betroffen sind neben Arbeits­losen auch z. Bsp. viele Allein­er­zie­hende, Personen mit niedrigem Erwerbs­ein­kommen, die dies durch Leis­tungen der Grund­si­che­rung aufsto­cken müssen, Menschen mit gesund­heit­li­chen Einschrän­kungen, Pflegende und auch viele Kinder, die mit im Haushalt leben.

Das sind für uns und viele Betrof­fene ausrei­chende Gründe, den Gesetz­ent­wurf der Regierung abzu­lehnen. Bundes­länder, Gewerk­schaften und Wohl­fahrts­ver­bände haben wieder­holt auf die metho­di­schen Unzu­läng­lich­keiten bei der Bedarfs­er­mitt­lung hinge­wiesen und Alter­na­tiven vor-geschlagen. Die Bundes­re­gie­rung hingegen schaltet auf stur. Sie möchte eine breitere Diskus­sion über die Art der Regel­satz­be­mes­sung und die Höhe der daraus resul­tie­renden Sätze offen­kundig vermeiden.

Die bishe­rigen Fehler sollten sich statt­dessen für ein faires und nach­voll­zieh­bares Verfahren zur Bestim­mung der Regel­be­darfs­höhe sowie für eine armuts­feste Regel­leis­tung einsetzen. Das fordern wir zusammen mit all den anderen Menschen, die anläss­lich der Akti­ons­tage am 30. und 31.10.2020 bundes­weit in vielen Städten unter Betei­li­gung von Gewerk­schaften und Sozi­al­ver­bänden protes­tiert haben (siehe dazu die Doku­men­ta­tion unter https://tinyurl.com/y522tj6p).

Die in diesem Zusam­men­hang unter den erschwerten Bedin­gungen einer Pandemie gesam­melten über 1.500 Unter­schriften für die Rücknahme aller politisch moti­vierten Strei­chungen am Exis­tenz­mi­nimum und für eine Bemessung der Regel­be­darfe, die Armut und Ausgren­zung verhin­dern, werden wir beim Präsi­denten des Bundes­rates einreichen.


Mit freund­li­chen Grüßen Frank Jäger und Rainer Timmer­mann
für das Bündnis ‚AufRecht bestehen‘, das getragen wird von …

  • der Arbeits­lo­sen­selbst­hilfe Oldenburg (ALSO)
  • ARBEITSLOSNICHT WEHRLOS“ Wolfsburg (ANW)
  • Gruppe „Gnadenlos Gerecht“ Hannover
  • Gewerk­schaft­liche Arbeits­lo­sen­gruppe im DGB-KV Bonn/Rhein-Sieg
  • Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft Prekäre Lebens­lagen (BAG-PLESA)
  • Frank­furter Arbeits­lo­sen­zen­trum e. V. (FALZ)
  • Koor­di­nie­rungs­stelle gewerk­schaft­li­cher Arbeits­lo­sen­gruppen (KOS)
  • Tacheles e. V. Wuppertal
  • ver.di Bundeser­werbs­lo­sen­aus­schuss
  • Wider­spruch e. V. Bielefeld

… sowie vielen örtlichen Bünd­nissen und Initiativen.


Ergän­zende Links


Anmer­kungen der Redaktion der
Frei­stätter Online Zeitung

Die soge­nannte „Berech­nung“ der „Regel­sätze“ zu den Sozi­al­ge­setz­bü­chern in Deut­dsch­land – die den Betrof­fenen gegenüber gerech­ter­weise leider eigent­lich eine „Klein-Rechnung“ heißen müsste – begleitet unsere Redaktion schon seit ihrer Gründung.

Für alle davon betrof­fene Menschen sind diese „Regel­sätze“ immer mehr zu „Mangel-Sätzen“ geworden, da selbst ihre seither erfolgten Erhö­hungen nie die wirkliche Entwick­lung der Lebens­hal­tungs­kosten in Deutsch­land ausglei­chen konnten. Das zeigen zuletzt nicht nur die immer trauriger ausfal­lenden „Armuts­be­richte“ unserer Regierung, auch die Entwick­lung der Armuts­quote in Deutsch­land kennt nur eine Entwick­lung, hin zu einer immer weiter wach­senden Bevöl­ke­rungs­gruppe „moderner armer Menschen“, unter denen besonders Kinder, Allein­er­zie­hende, Arbeits­lose und Rentner vertreten sind.

Dieses traurige Thema einer beträcht­lich wach­senden Armuts­be­völ­ke­rung in Deutsch­land hat sich besonders unter allen Regie­rungen ab der Schröder-/Fischer-schen „Arbeits­markt­re­form“ Agenda 2010 immer weiter verschärft. Was besonders unsere „großen Volks­par­teien“ aus einer sich einstmals positiv entwi­ckelnden „Sozialen Markt­wirt­schaft“ gemacht haben, ist unserer Meinung nach einer Demo­kratie, die sich einem fried­li­chen Mitein­ander ihrer Bevöl­ke­rung verpflichtet fühlen sollte, in keiner Weise würdig.

Die neuen Regel­sätze ab Januar 2021

Mit dieser aktuellen „groß­ar­tigen“ Erhöhung um unglaub­liche 14,- Euro ergibt sich dann ab Januar für etwa 8 Millionen Mitbürger folgende Finanz-Perspektive:

Regelsätze ab Januar 2021 - Sozialgesetzbücher Deutschland
Regel­sätze ab Januar 2021 – Sozi­al­ge­setz­bü­cher Deutschland

Um es noch etwas genauer umzu­bre­chen möchten wir hier zuletzt noch einige Bilder der Gruppe „Gnadenlos Gerecht“ aus Hannover zeigen, die am Welt­arn­mutstag (17.10.2020) an der Kröpke Hannover mit Unter­stüt­zung von Klaus-Dieter Gleitze als Geschäfts­führer der Landes­ar­muts­kon­fe­renz Nieder­sachsen stattfand:

Liebe Bundes­re­gie­rung!

Wir möchten an dieser Stelle doch einmal alle aktuell „Soziale Themen“ betreu­ende Minis­te­rinnen, Minister und unsere Frau Bundes­kanz­lerin Merkel fragen, wann sie endlich Themen wie eine wirkungs­volle Armuts­be­kämp­fung und eine wirkungs­volle Bekämp­fung des aktuell zu beob­ach­tenden „Mieten­wahn­sinns“ zum „Chefthema“ machen werden?

Nach unserer Erfahrung bedarf es keiner hell­se­he­ri­schen Fähig­keiten, um in den kommenden Jahren eine signi­fi­kante Stei­ge­rung der Zahlen wohnungs­loser Menschen in Deutsch­land voraus­zu­sagen, wenn in diesen Bereichen wie bisher „weiter­re­giert“ – oder besser gesagt nach der Drei-Affen-Art „weiter ignoriert“ werden sollte.

Wir möchten uns bei dieser Proble­matik einfach einmal Greta Thunberg anschließen,
Frau Bundes­kanz­lerin Merkel:

Wir wollen, dass ihr in Panik geratet!“

Viele besorgte Demokrat*inn*en, die mitt­ler­weile am Verstand zu vieler Politiker zweifeln

Die „freie Markt­wirt­schaft“ von Wohnungs­bau­un­ter­nehmen und Fonds-Verwal­tern hat jeden­falls unserer Meinung nach zur Lösung dieser Krise praktisch nichts anzu­bieten.
(… außer einer Gewinn-Maxi­mie­rung für ihre „Share­holder“)