Eine Idee aus Amerika: Obdachlose Menschen stellen eine Zeitschrift her, verkaufen sie auf der Straße und verdienen sich damit ihren Lebensunterhalt. Sie verkaufen also ihr Blatt.
Die erste Straßenzeitung wurde im Jahr 1989 in New York gegründet und erhielt den Namen "Streetnews". Inspiriert von diesem Projekt, gründete der Brite John Bird in London dann zwei Jahre später die erste Straßenzeitung Europas und nannte sie "The Big Issue", was ins Deutsche übersetzt etwa "Das große Thema" bedeutet.
Und seit 1993 gibt es sie auch in Deutschland. Straßenzeitungen oder Straßenmagazine – auch Obdachlosenzeitschrift oder ‑magazin genannt – sind lokale Zeitungen oder Zeitschriften, die von Menschen in sozialer Not verkauft und in seltenen Fällen auch redaktionell mitgestaltet werden. Meist sind es Obdachlose, oft aber auch Asylbewerber oder Langzeitarbeitslose, die so einen niederschwelligen Zugang zu einer Arbeit bekommen, in Kontakt mit der Gesellschaft bleiben und ein kleines Einkommen erzielen. Die meisten Zeitungen werden nach wie vor in gedruckter Form erstellt und verkauft. Nicht wenige haben aber auch einen informativen Onlineauftritt. Nachfolgend eine – keinesfalls vollständige – Übersicht der in Deutschland erscheinenden Zeitungen. Wenn nichts anderes angegeben ist, erscheint die jeweilige Zeitung monatlich.
Das seit 1993 in Hamburg erscheinende Magazin „Hinz&Kunzt“ ist sowohl der Titel des Magazins als auch der Name des dahinterstehenden Projekts. Das Magazin versteht sich als Fürsprecher obdachloser und sozial benachteiligter Menschen und das Projekt ist nach eigenen Angaben „Hamburgs größtes Beschäftigungsprojekt für Obdachlose“. Mit einer verkauften Auflage von circa 50.000 Stück handelt es sich um das auflagenstärkste Straßenmagazine in Deutschland. Außerdem ist "Hinz&Kunzt" auch eines der ältesten Magazine seiner Art in Deutschland. Die Auflage wird von über 500 Menschen klassisch auf der Straße vertrieben. Die Website von "Hinz&Kunzt" ist ebenso professionell wie informativ gestaltet.
In München erscheint das Magazin "BISS – Bürger in sozialen Schwierigkeiten". Ebenfalls im Jahr 1993 gegründet kann auch "BISS" auf eine lange Geschichte zurückblicken. Und eine Auflage von etwa 38.000 Exemplaren/Monat im Jahr 2018 ist auch "BISS" einer der erfolgreichsten Straßenzeitungen Deutschlands. Die Zeitung setzt auf Arbeit als Schlüssel zur Integration und schafft für Verkäufer, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Der Verkaufspreis beträgt 2,20 Euro, wovon die obdachlosen und bedürftigen Verkäufer 1,10 Euro behalten dürfen. Alternativ lässt sich "BISS" auch abonnieren.
"DRAUSSENSEITER – Das Kölner Straßenmagazin", das wie der Titel schon verrät aus der Domstadt am Rhein kommt, blickt auf eine lange Geschichte zurück. Bereits 1992 erschien der "DRAUSSENSEITER" unter dem Namen "BANK EXPRESS" und später als "BANK EXTRA" und gilt deshalb als ältestes Straßenmagazin Deutschlands. Auch hier behält der Verkäufer die Hälfte des Heftpreises für sich. Der Onlineauftritt wartet ebenfalls mit Lokalnachrichten auf.
"fiftyfifty" aus Düsseldorf, das 1995 erstmals erschien, betreibt Lokalredaktionen in Bonn, Duisburg sowie Frankfurt am Main und wird inzwischen in einer Auflage von 60.000 Exemplaren von Menschen in sozialer Not in mehreren westdeutschen Großstädten verkauft. Auch dieses Magazin lässt sich im Abonnement beziehen. Die Homepage weist aber darauf hin, dass es, wenn möglich, sinnvoller ist, die Zeitung auf der Straße zu kaufen.
"KiPPE – Das Leipziger Straßenmagazin" erscheint verkaufsabhängig, etwa zehn Mal im Jahr. Und dies mit einer Auflage von 10.000 Stück. Ins Leben gerufen wurde die "KiPPE" als "Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekt" im Jahr 1995 durch den Verein "Hilfe für Wohnungslose", 2001 übernahm dann das Suchtzentrum Leipzig die Trägerschaft. Der Verkauf der "KiPPE" erfolgt auf der Straße sowie in Gaststätten und Bars der Stadt Leipzig. Die VerkäuferInnen sind in sozialer Not, von Wohnungslosigkeit bedroht oder gar wohnungslos – in dieser Hinsicht stehen sie auf der Kippe.
Mit einer kleinen Redaktion aus Journalistinnen und Journalisten, unterstützt von freiberuflichen FotografInnen und AutorInnen erstellt der seit 1995 existierende "bodo" aus Dortmund ein Monatsmagazin für die Region. Mehr als 100 Verkäufer bieten "bodo" in Dortmund, Bochum, Unna, Witten und Herne an. Die monatliche Auflage beträgt 20.000 Exemplare.
Die "DIE ZEITSCHRIFT DER STRASSE – Das Bremer Strassenmagazin", ein gemeinsames Projekt von Studierenden, Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen, JournalistInnen, freiwillig sozial Engagierten, von Wohnungslosigkeit und Armut bedrohten oder betroffen Menschen, HochschuldozentInnen und StreetworkerInnen, aus der Hansestadt an der Weser erscheint sechs Mal jährlich. Ein Magazin mit ausgeprägtem Lokalbezug, das 2010 als Medien‑, Sozial- und Lernprojekt von der Hochschule Bremerhaven, der Hochschule für Künste Bremen und dem Verein für Innere Mission in Bremen gegründet wurde. Die Zeitschrift wird im Erscheinungsort Bremen und in Bremerhaven hauptsächlich von Wohnungslosen auf der Straße verkauft. 2012 erhielt Professor Michael Vogel den renommierten Bremer Bürgerpreis für seinen Einsatz zugunsten der "ZEITSCHRIFT DER STRASSE".
"drObs – Die Straßenzeitung für Dresden und das Umland" aus der Hauptstadt des Freistaates Sachsen, auch als Elbflorenz bekannt, ist jeden Monat sozialen Themen auf der Spur. Man findet das Blatt auf den Straßen und Plätzen Dresdens: Dort verkaufen langzeitarbeitslose, wohnungslose und sozial benachteiligte Menschen die Straßenzeitung. "drObs" will für diese Menschen und ihre Probleme ein Forum sein. Das Blatt und seine Verkäufer sind seit nunmehr 22 Jahren in der Stadt präsent.
Das "Asphalt"-Magazin ist seit 1994 eine in Hannover erscheinende und niedersachsenweit vertriebene, soziale Straßenzeitung. Als Nachfolgerin der im Dezember 1993 von den durch die Hannoversche Initiative obdachloser Bürger e.V. (H.I.o.B.), einer Gruppe von obdachlosen Aktivisten herausgegebenen "HIOB's‑Botschaften" erschien "Asphalt" erstmals im September 1994 in Hannover. Initiator und bis 2012 Herausgeber der Obdachlosenzeitung war Walter Lampe. Aktuell sind der Kabarettist Matthias Brodowy, die ehemalige Landesbischöfin Margot Käßmann und Pastor Rainer Müller-Brandes die Herausgeber. Im Laufe von drei Jahren wurde das Magazin in 15 weiteren Städten Niedersachsens auf der Straße verkauft und erreicht monatlich rund 58.000 LeserInnen. Die Namensgebung der Straßenzeitung nimmt Bezug auf den Straßen-Asphalt, das Medium, mit dem wohnungslose Menschen häufig Kontakt haben.
Der "Straßenkreuzer – Das Sozialmagazin" aus Nürnberg erscheint elfmal im Jahr – im August/September erscheint eine Doppelnummer – mit jeweils 12.000 bis 18.000 Exemplaren. Das Sozialmagazin wird auf der Straße von Armen und Obdachlosen verkauft. Das redaktionelle Konzept setzt auf journalistische Professionalität, denn "unsere Verkäuferinnen und Verkäufer sollen ein möglichst hochwertiges Produkt mit Stolz anbieten können", so die Macher des "Straßenkreuzer". Die besten Journalisten und Fotografen des Großraums stellen ihr Können deshalb Heft für Heft zur Verfügung.
In Osnabrück erscheint alle zwei Monate "abseits!? – Die Osnabrücker Straßenzeitung". Die Erstausgabe, die im Sommer 1995 mit einer Auflage von 1.000 Stück erschien und in nur acht Stunden ausverkauft war, wurde von der Lokalpresse mit einer positiven Berichterstattung unterstützt. Heute erscheint "abseits!?" in einer Stückzahl von 6.000 bis 10.000 Exemplaren. Die Redaktion von "abseits" besteht auch heute noch – nach 20 Jahren – fast ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitarbeitern und legt besonderen Wert darauf, dass sich auch Menschen an der Redaktionsarbeit beteiligen, die eigene Erfahrungen mit dem Leben im sozialen Abseits haben. Das Ausrufezeichen im Namen steht übrigens für den Skandal, dass Menschen in diesem Land im sozialen Abseits leben müssen, das Fragezeichen für die Frage, ob das wirklich so sein muss.
"HEMPELS – Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein" hat seinen Sitz in Kiel. "HEMPELS" erschien erstmals im Frühjahr 1996 und wird mittlerweile von rund 250 Verkäufern in ganz Schleswig-Holstein verkauft – unter anderem in Flensburg, Kiel, Lübeck, Eckernförde, Schleswig, Rendsburg, Husum und Heide. Jeder dieser Straßenverkäufer ist bei "HEMPELS" registriert, verkauft an einem festen, mit dem jeweiligen Betreuer abgesprochenen Standplatz und erhält einen Ausweis, der während des Verkaufs immer deutlich sichtbar getragen werden muss.
Wie bereits eingangs erwähnt ist dies nur eine unvollständige Liste von Straßenzeitungen in Deutschland. Eine etwas umfangreichere Liste findet ihr hier.
Text: Marco und Stefan
Quelle Titelbild: Maja Hitij/dpa/mjh hpl