Straßenzeitungen 2020

Stra­ßen­zei­tungen – Eine Hilfe zum Lebensunterhalt

Eine Idee aus Amerika: Obdach­lose Menschen stellen eine Zeit­schrift her, verkaufen sie auf der Straße und verdienen sich damit ihren Lebens­un­ter­halt. Sie verkaufen also ihr Blatt.

Die erste Stra­ßen­zei­tung wurde im Jahr 1989 in New York gegründet und erhielt den Namen "Street­news". Inspi­riert von diesem Projekt, gründete der Brite John Bird in London dann zwei Jahre später die erste Stra­ßen­zei­tung Europas und nannte sie "The Big Issue", was ins Deutsche übersetzt etwa "Das große Thema" bedeutet.

Quelle: https://www.facebook.com/bigissueuk/photos/a.392958144055530/4866047170079916
Quelle: https://www.facebook.com/bigissueuk/photos/a.392958144055530/4866047170079916

Und seit 1993 gibt es sie auch in Deutsch­land. Stra­ßen­zei­tungen oder Stra­ßen­ma­ga­zine – auch Obdach­lo­sen­zeit­schrift oder ‑magazin genannt – sind lokale Zeitungen oder Zeit­schriften, die von Menschen in sozialer Not verkauft und in seltenen Fällen auch redak­tio­nell mitge­staltet werden. Meist sind es Obdach­lose, oft aber auch Asyl­be­werber oder Lang­zeit­ar­beits­lose, die so einen nieder­schwel­ligen Zugang zu einer Arbeit bekommen, in Kontakt mit der Gesell­schaft bleiben und ein kleines Einkommen erzielen. Die meisten Zeitungen werden nach wie vor in gedruckter Form erstellt und verkauft. Nicht wenige haben aber auch einen infor­ma­tiven Online­auf­tritt. Nach­fol­gend eine – keines­falls voll­stän­dige – Übersicht der in Deutsch­land erschei­nenden Zeitungen. Wenn nichts anderes angegeben ist, erscheint die jeweilige Zeitung monatlich.

Quelle: https://www.dw.com/de/obdachlosenzeitungen-in-deutschland/a-18246117
Quelle: https://www.dw.com/de/obdachlosenzeitungen-in-deutschland/a‑18246117

Das seit 1993 in Hamburg erschei­nende Magazin „Hinz&Kunzt“ ist sowohl der Titel des Magazins als auch der Name des dahin­ter­ste­henden Projekts. Das Magazin versteht sich als Fürspre­cher obdach­loser und sozial benach­tei­ligter Menschen und das Projekt ist nach eigenen Angaben „Hamburgs größtes Beschäf­ti­gungs­pro­jekt für Obdach­lose“.  Mit einer verkauften Auflage von circa 50.000 Stück handelt es sich um das aufla­gen­stärkste Stra­ßen­ma­ga­zine in Deutsch­land. Außerdem ist "Hinz&Kunzt" auch eines der ältesten Magazine seiner Art in Deutsch­land. Die Auflage wird von über 500 Menschen klassisch auf der Straße vertrieben. Die Website von "Hinz&Kunzt" ist ebenso profes­sio­nell wie infor­mativ gestaltet.

Quelle: https://www.hinzundkunzt.de/heft/ich-war-ein-neonazi/
Quelle: https://www.hinzundkunzt.de/heft/ich-war-ein-neonazi/

In München erscheint das Magazin "BISS – Bürger in sozialen Schwie­rig­keiten". Ebenfalls im Jahr 1993 gegründet kann auch "BISS" auf eine lange Geschichte zurück­bli­cken. Und eine Auflage von etwa 38.000 Exemplaren/Monat im Jahr 2018 ist auch "BISS" einer der erfolg­reichsten Stra­ßen­zei­tungen Deutsch­lands. Die Zeitung setzt auf Arbeit als Schlüssel zur Inte­gra­tion und schafft für Verkäufer, die auf dem Arbeits­markt keine Chance haben, sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tige Arbeits­plätze. Der Verkaufs­preis beträgt 2,20 Euro, wovon die obdach­losen und bedürf­tigen Verkäufer 1,10 Euro behalten dürfen. Alter­nativ lässt sich "BISS" auch abonnieren.

Quelle: https://biss-magazin.de/biss-ausgabe-oktober-2020-rueckblick-ausblick/
Quelle: https://biss-magazin.de/biss-ausgabe-oktober-2020-rueckblick-ausblick/

"DRAUSSENSEITER – Das Kölner Stra­ßen­ma­gazin", das wie der Titel schon verrät aus der Domstadt am Rhein kommt, blickt auf eine lange Geschichte zurück. Bereits 1992 erschien der "DRAUSSENSEITER" unter dem Namen "BANK EXPRESS" und später als "BANK EXTRA" und gilt deshalb als ältestes Stra­ßen­ma­gazin Deutsch­lands. Auch hier behält der Verkäufer die Hälfte des Heft­preises für sich. Der Online­auf­tritt wartet ebenfalls mit Lokal­nach­richten auf.

Quelle: https://issuu.com/draussenseiter_koeln/docs/0320_ds_208_nachtarbeit
Quelle: https://issuu.com/draussenseiter_koeln/docs/0320_ds_208_nachtarbeit

"fifty­fifty" aus Düssel­dorf, das 1995 erstmals erschien, betreibt Lokal­re­dak­tionen in Bonn, Duisburg sowie Frankfurt am Main und wird inzwi­schen in einer Auflage von 60.000 Exem­plaren von Menschen in sozialer Not in mehreren west­deut­schen Groß­städten verkauft. Auch dieses Magazin lässt sich im Abon­ne­ment beziehen. Die Homepage weist aber darauf hin, dass es, wenn möglich, sinn­voller ist, die Zeitung auf der Straße zu kaufen.

Quelle: https://www.fiftyfifty-galerie.de/magazin/epaper
Quelle: https://www.fiftyfifty-galerie.de/magazin/epaper

"KiPPE – Das Leipziger Stra­ßen­ma­gazin" erscheint verkaufs­ab­hängig, etwa zehn Mal im Jahr.  Und dies mit einer Auflage von 10.000 Stück. Ins Leben gerufen wurde die "KiPPE" als "Hilfe-zur-Selbst­hilfe-Projekt" im Jahr 1995 durch den Verein "Hilfe für Wohnungs­lose", 2001 übernahm dann das Sucht­zen­trum Leipzig die Träger­schaft. Der Verkauf der "KiPPE" erfolgt auf der Straße sowie in Gast­stätten und Bars der Stadt Leipzig. Die Verkäu­fe­rInnen sind in sozialer Not, von Wohnungs­lo­sig­keit bedroht oder gar wohnungslos – in dieser Hinsicht stehen sie auf der Kippe.

Quelle: https://www.facebook.com/StrassenzeitungKippe/photos/4733311003407263
Quelle: https://www.facebook.com/StrassenzeitungKippe/photos/4733311003407263

Mit einer kleinen Redaktion aus Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen, unter­stützt von frei­be­ruf­li­chen Foto­gra­fInnen und AutorInnen erstellt der seit 1995 exis­tie­rende "bodo" aus Dortmund ein Monats­ma­gazin für die Region. Mehr als 100 Verkäufer bieten "bodo" in Dortmund, Bochum, Unna, Witten und Herne an. Die monat­liche Auflage beträgt 20.000 Exemplare.

https://www.nordstadtblogger.de/in-malmsheimers-garten-das-strassenmagazin-bodo-fuer-dortmund-und-bochum-im-august-2020/
Quelle: https://www.nordstadtblogger.de/in-malmsheimers-garten-das-strassenmagazin-bodo-fuer-dortmund-und-bochum-im-august-2020/

Die "DIE ZEITSCHRIFT DER STRASSE – Das Bremer Stras­sen­ma­gazin", ein gemein­sames Projekt von Studie­renden, Menschen mit Abhän­gig­keits­er­kran­kungen, Jour­na­lis­tInnen, frei­willig sozial Enga­gierten, von Wohnungs­lo­sig­keit und Armut bedrohten oder betroffen Menschen, Hoch­schul­do­zen­tInnen und Street­wor­ke­rInnen, aus der Hanse­stadt an der Weser erscheint sechs Mal jährlich. Ein Magazin mit ausge­prägtem Lokal­bezug, das 2010 als Medien‑, Sozial- und Lern­pro­jekt von der Hoch­schule Bremer­haven, der Hoch­schule für Künste Bremen und dem Verein für Innere Mission in Bremen gegründet wurde. Die Zeit­schrift wird im Erschei­nungsort Bremen und in Bremer­haven haupt­säch­lich von Wohnungs­losen auf der Straße verkauft. 2012 erhielt Professor Michael Vogel den renom­mierten Bremer Bürger­preis für seinen Einsatz zugunsten der "ZEITSCHRIFT DER STRASSE".

Quelle: https://zeitschrift-der-strasse.de/ueber-uns/buero/
Quelle: https://zeitschrift-der-strasse.de/ueber-uns/buero/

"drObs – Die Stra­ßen­zei­tung für Dresden und das Umland" aus der Haupt­stadt des Frei­staates Sachsen, auch als Elbflo­renz bekannt, ist jeden Monat sozialen Themen auf der Spur. Man findet das Blatt auf den Straßen und Plätzen Dresdens: Dort verkaufen lang­zeit­ar­beits­lose, wohnungs­lose und sozial benach­tei­ligte Menschen die Stra­ßen­zei­tung. "drObs" will für diese Menschen und ihre Probleme ein Forum sein. Das Blatt und seine Verkäufer sind seit nunmehr 22 Jahren in der Stadt präsent.

Quelle: https://www.facebook.com/drobs.dresden/photos/1236178079885799
Quelle: https://www.facebook.com/drobs.dresden/photos/1236178079885799

Das "Asphalt"-Magazin ist seit 1994 eine in Hannover erschei­nende und nieder­sach­sen­weit vertrie­bene, soziale Stra­ßen­zei­tung. Als Nach­fol­gerin der im Dezember 1993 von den durch die Hanno­ver­sche Initia­tive obdach­loser Bürger e.V. (H.I.o.B.), einer Gruppe von obdach­losen Akti­visten heraus­ge­ge­benen "HIOB's‑Botschaften" erschien "Asphalt" erstmals im September 1994 in Hannover. Initiator und bis 2012 Heraus­geber der Obdach­lo­sen­zei­tung war Walter Lampe. Aktuell sind der Kaba­ret­tist Matthias Brodowy, die ehemalige Landes­bi­schöfin Margot Käßmann und Pastor Rainer Müller-Brandes die Heraus­geber. Im Laufe von drei Jahren wurde das Magazin in 15 weiteren Städten Nieder­sachsens auf der Straße verkauft und erreicht monatlich rund 58.000 Lese­rInnen. Die Namens­ge­bung der Stra­ßen­zei­tung nimmt Bezug auf den Straßen-Asphalt, das Medium, mit dem wohnungs­lose Menschen häufig Kontakt haben.

Quelle: https://www.facebook.com/AsphaltMagazin/photos/3470667123018212
Quelle: https://www.facebook.com/AsphaltMagazin/photos/3470667123018212

Der "Stra­ßen­kreuzer – Das Sozi­al­ma­gazin" aus Nürnberg erscheint elfmal im Jahr – im August/September erscheint eine Doppel­nummer – mit jeweils 12.000 bis 18.000 Exem­plaren. Das Sozi­al­ma­gazin wird auf der Straße von Armen und Obdach­losen verkauft. Das redak­tio­nelle Konzept setzt auf jour­na­lis­ti­sche Profes­sio­na­lität,  denn "unsere Verkäu­fe­rinnen und Verkäufer sollen ein möglichst hoch­wer­tiges Produkt mit Stolz anbieten können", so die Macher des "Stra­ßen­kreuzer". Die besten Jour­na­listen und Foto­grafen des Großraums stellen ihr Können deshalb Heft für Heft zur Verfügung.

Quelle: https://www.facebook.com/StrassenkreuzerVerein/photos/5015493458468302
Quelle: https://www.facebook.com/StrassenkreuzerVerein/photos/5015493458468302

In Osnabrück erscheint alle zwei Monate "abseits!? – Die Osna­brü­cker Stra­ßen­zei­tung". Die Erst­aus­gabe, die im Sommer 1995 mit einer Auflage von 1.000 Stück erschien und in nur acht Stunden ausver­kauft war, wurde von der Lokal­presse mit einer positiven Bericht­erstat­tung unter­stützt. Heute erscheint "abseits!?" in einer Stückzahl von 6.000 bis 10.000 Exem­plaren. Die Redaktion von "abseits" besteht auch heute noch – nach 20 Jahren – fast ausschließ­lich aus ehren­amt­li­chen Mitar­bei­tern und legt beson­deren Wert darauf, dass sich auch Menschen an der Redak­ti­ons­ar­beit betei­ligen, die eigene Erfah­rungen mit dem Leben im sozialen Abseits haben. Das Ausru­fe­zei­chen im Namen steht übrigens für den Skandal, dass Menschen in diesem Land im sozialen Abseits leben müssen, das Frage­zei­chen für die Frage, ob das wirklich so sein muss.

Quelle: https://www.facebook.com/strassenzeitung.abseits/photos/5035174239856633
Quelle: https://www.facebook.com/strassenzeitung.abseits/photos/5035174239856633

"HEMPELS – Das Stra­ßen­ma­gazin für Schleswig-Holstein" hat seinen Sitz in Kiel. "HEMPELS" erschien erstmals im Frühjahr 1996 und wird mitt­ler­weile von rund 250 Verkäu­fern in ganz Schleswig-Holstein verkauft – unter anderem in Flensburg, Kiel, Lübeck, Eckern­förde, Schleswig, Rendsburg, Husum und Heide. Jeder dieser Stra­ßen­ver­käufer ist bei "HEMPELS" regis­triert, verkauft an einem festen, mit dem jewei­ligen Betreuer abge­spro­chenen Stand­platz und erhält einen Ausweis, der während des Verkaufs immer deutlich sichtbar getragen werden muss.

https://www.facebook.com/StrassenmagazinHempels/photos/3852491001446227
Quelle: https://www.facebook.com/StrassenmagazinHempels/photos/3852491001446227

Wie bereits eingangs erwähnt ist dies nur eine unvoll­stän­dige Liste von Stra­ßen­zei­tungen in Deutsch­land. Eine etwas umfang­rei­chere Liste findet ihr hier.

 

Text: Marco und Stefan

Quelle Titelbild: Maja Hitij/dpa/mjh hpl