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Ich höre was – das du nicht siehst

Dr. Irving Wolther – es ist der Arzt, den Sie immer dann fragen sollten, wenn Sie etwas über den Euro­vi­sion Song Contest wissen wollen. Der Herr Doktor, der 2006 weltweit als erster über den Euro­vi­sion Song Contest promo­viert hatte, wird auch nicht müde, sich ständig neue Veran­stal­tungen auszu­denken, um die ESC-Leiden­schaft – sei es die eigene, aber auch die der unzäh­ligen vielen Fans – in eine andere Ebene zu bringen. Aus unserer Sicht absolut verständlich.

Beim Aufbruch am Morgen des 3. Dezembers 2022  Richtung Hannover hatte ich nur bedingt eine Vorstel­lung, was mich, aber auch die anderen Gäste in den heiligen Räumen des Phonos Jour­na­lis­ten­büros erwartete. „Ich höre was, das du nicht siehst“ – das klingt aus der Ferne zunächst nach einem Programm, für das die  eine oder andere Kran­ken­kasse während einer Kur gerne die Kosten über­nehmen würde. Fast – denn wenn schon mal ein Doktor zu solch einer Veran­stal­tung einlädt, dann hat sie im Ergebnis tatsäch­lich etwas heilbringendes.

Um es in der Kürze zusam­men­zu­fassen – es war ein Austausch mit ESC-Fans, Musikfans, aber auch mit hoch­pro­fes­sio­nellen Musikern. Musik zu hören, ohne zu wissen, wer sie verfasst hat, und welche Gedanken sich der Verfasser beim Kompo­nieren des Stückes gemacht hat. Musik in eigenen Bildern auszu­drü­cken, Musik in der eigenen Vorstel­lungs­kraft zu erleben. Klingt kompli­ziert, war aber letzten Endes nicht nur einfach, vor allem war es für alle Anwe­senden sehr unterhaltsam.

Zu den Anwe­senden zählte auch die Pianistin Marina Baranova. Die aus der Ukraine stammende Kompo­nistin zählt zur vielfach Ausge­zeich­neten unseres Landes und darüber hinaus, ihre Konzerte finden in Europa genauso Beachtung wie in Teilen Asiens und Latein­ame­rikas. Gemeinsam mit Dr. Wolther präsen­tierten sie zunächst einen Gitar­risten, der aller­dings nur zu hören war. Die Aufgabe der Gäste bestand dann darin, eine Vorstel­lung über den Künstler zu bekommen, und über das Stück selber. Einer der Ratenden, ohne dass der Gitarrist zu sehen war, vermutete rich­ti­ger­weise, dass das Stück selber aus Spanien stammt, aber der Künstler aus dem Osten Europas.

Yaroslaw Kravchuk, ein begna­deter und talen­tierter Gitarrist aus der Ukraine, lebt seit knapp einem halben Jahr in Deutsch­land. In seiner aktuell eher unheil­vollen Situation – seine Heimat verlassen zu müssen – ereilte ihn das Glück, das Marina Baranova auf ihn aufmerksam wurde. Jetzt präsen­tierte er das Stück „Capriccio Arabe“ des Spaniers Francisco Tárrega noch einmal, um die Wirkung auf andere Art wirken zu lassen.

Anschlie­ßend gab es beim gemein­samen vormit­täg­li­chen Brunch die Gele­gen­heit, über die darge­bo­tene Vorstel­lung mit Musikern und Gästen zu disku­tieren. Die Verbin­dung aus Frühstück und Mittag­essen wurde so, den Räum­lich­keiten des Phonos Jour­na­lis­ten­büros gerecht werdend, mit inter­na­tio­nalen Lecke­reien zelebriert.

Waren es die Köst­lich­keiten, die das anschlie­ßende Empfinden nicht mehr so trefflich kamen, wie vom fran­zö­si­schen Kompo­nisten Roland Dyens ursprüng­lich angedacht wurde? „Fuoco“, einem 3‑Satz-Stück, wurde von Kravchuk gefühl­voll darge­boten. Die Aufgabe bestand darin, aus den Vorgaben Herbst, Feuer, Wind und Abend den passenden Inhalt zu finden. Die Lösung bestand darin, dass in dem Werk eine herz­kranke Person wie Phönix aus der Asche geheilt wurde.

Haben Sie schon einmal das beliebte Kinder­spiel „Stille Post“ auf musi­ka­li­scher Basis gespielt?

Auch dieser kreative Einfall passte zum Inhalt. Reihum wurde in zwei Gruppen aufge­schrieben, welche Bilder im vorge­tra­genen Stück „Koyunbaba“ von Carlo Dome­n­ikoni zu entdecken seien. Als Vorgabe bekamen die Gäste (viel­leicht als werdende Musik­päd­agogen?)  den Hinweis, dass es sich um eine Reise in ein kleines Dorf in die Türkei handele. Die Lösung bestand darin, dass man wie in einem Traum dort auf einen mystisch wirkenden Mediziner mit einer unge­heuren Heilungs­kraft traf.

Der gesamte Vormittag war auf für Stunden ausgelegt, aber keiner hatte etwas gegen eine kleine Über­zie­hung. Dr. Irving Wolther plant bereits weitere sechs Veran­stal­tungen dieser Art mit sechs unter­schied­li­chen Musikern im Jahr 2023. Musik erleben und das, was sie für einen bewirkt, das kann jeder nur für sich erleben. Aber im Grunde funk­tio­nierte dieser Start ins Wochen­ende wie beim ESC: Gemeinsam Musik zu hören und zu empfinden ist im Ergebnis ein gemein­schaft­li­ches Erlebnis.

Alle gingen begeis­tert nach Hause (oder bummelten noch über den kleinen Weih­nachts­markt auf der Lister Meile). Wir können so von einer mehr als gelun­genen Veran­stal­tung sprechen, für die Doktor Euro­vi­sion von uns ganz ehrliche „12 Points“ bekommt.