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Vernetzte Selbst­ver­tre­tung – Sozi­al­mi­nis­terin Behrens zu Gast in Freistatt

Vom 10. bis zum 13. Januar 2023 fand im Semi­nar­haus Wegwende ein weiteres Koor­di­nie­rungs­treffen der Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e.V. (SwM) statt. Während der vier­tä­gigen Veran­stal­tung wurden vier Posi­ti­ons­pa­piere weiter ausge­ar­beitet und die weitere Planung für das Wohnungs­lo­sen­treffen 2023 im ober­baye­ri­schen Herzog­säg­mühle wurde besprochen.

Am Mittwoch konnten die Mitglieder der Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e.V. dann noch einen beson­deren Gast begrüßen: Auf Einladung des Vorstandes war die nieder­säch­si­sche Sozi­al­mi­nis­terin Daniela Behrens zu Gast nach Freistatt gekommen, um der Runde fast zwei Stunden lang für Fragen und Antworten zur Verfügung zu stehen.

Zur Vorbe­rei­tung hatten die Vereins­mit­glieder der Minis­terin ein Posi­ti­ons­pa­pier „Ordnungs­recht­liche Unter­brin­gung“ zukommen lassen, in der die Zustände in Obdach­lo­sen­un­ter­künften analy­siert wird. Aus dem Papier geht hervor, dass Menschen ohne jegliche Behausung oftmals einen vor allem finan­ziell höheren Aufwand aufbringen müssen, um zumindest an eine „exis­ten­zi­elle“ Grund­ver­sor­gung zu gelangen. Obdach­losen Menschen ist es z. B. nicht möglich, für ein geringes Entgelt an Wasch­mög­lich­keiten zu kommen; sei es für die Beklei­dung oder für die Körper­hy­giene. Auch haben sie bei einem Leben auf der Straße nicht die Chance, Nahrungs­mittel in größeren Mengen zu bevor­raten. Die Mobilität sowie die digitale Teilhabe ist aufgrund der Höhe des Tages­satzes ebenfalls erheblich eingeschränkt.

Zur besseren Übersicht wurden daher „geschätzte Kosten“ ermittelt, die Menschen auf der Straße zur Bewäl­ti­gung dieser Grund­be­dürf­nisse finan­zieren müssen, die bei Nutzung einer eigenen Wohnung nicht anfallen würden. Um nicht permanent ihr gesamtes Hab und Gut mittragen zu müssen, verstauen viele Obdach­lose ihr Gepäck in kosten­pflich­tigen Schließfächern.

Lebens­mittel können nur in gerin­geren Mengen gekauft werden, die oft deutlich teurer sind als Produkte in größeren Packungen – Halt­bar­keit und fehlende Kühl- und Vorrats­la­ge­rung sind nun einmal besondere Probleme obdach­loser Menschen.

Durch die Unter­brin­gung in Massen­un­ter­künften mit Mehr­bett­zim­mern, in denen neben der fehlenden Privat­sphäre die Chancen auf einen gesunden und erhol­samen Schlaf sehr viel schlechter sind als in einem Einzel­zimmer, sind obdach­lose Menschen  sehr oft gesund­heit­lich ange­schlagen. Die Lage wird durch das Leben auf der Straße verschärft, bei dem die Betrof­fenen allen erdenk­li­chen Witte­rungen ausge­setzt sind.

Die recht­liche Lage, in der sich Obdach­lose befinden, ist zudem verzwickt. Die Betrof­fenen haben in der Regel nicht das Geld, um ein Hotel­zimmer zu finan­zieren, sie stehen buch­stäb­lich auf der Straße.

Laut Ordnungs­ge­setzen (PDF-Datei) haben Polizei und Ordnungsamt dann zumindest die Aufgabe, die Menschen vor der unfrei­wil­ligen Obdach­lo­sig­keit zu beschützen und eine entspre­chende Unter­kunft anzu­bieten. In der Realität bedeutet dass, das eine Kommune einen Raum anbieten kann, in der bereits mehrere Menschen unter­ge­bracht sind. Lehnt der Betrof­fene die Behausung als unzu­mutbar ab, wird aus der unfrei­wil­ligen eine frei­wil­lige Obdach­lo­sig­keit. Der Schutz­su­chende verliert sein Recht auf eine Unter­brin­gung. In wieweit sich diese Heran­ge­hens­weise mit §1 des Grund­ge­setzes – „Die Würde des Menschen ist unan­tastbar“ – verein­baren lässt, wurde mit Sozi­al­mi­nis­terin Behrens auch diskutiert.

In einem Workshop hatten die Mitglieder der Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen e. V. vor dem Treffen einen geschätzten Bedarfs­plan ausge­ar­beitet und konnten Daniela Behrens speziell für obdach­lose Menschen Mehr­kosten von etwa 320,-  Euro im Monat ausweisen.

Sozialministerin Daniela Behrens zu Besuch bei der Selbstvertretung
Sozi­al­mi­nis­terin Daniela Behrens zu Besuch bei der Selbstvertretung

Diese Kosten entstehen, wenn Obdach­lose ihre Grund­be­dürf­nisse nach Lagerung von Hab & Gut und Nahrung, aber auch Wasch­ge­le­gen­heit und Toilet­ten­be­nut­zung extra finan­zieren müssen. Zusätz­lich stellte der Verein einen Forde­rungs­ka­talog zusammen, aus dem hervor­geht, was obdach­lose Menschen besonders dringend brauchen: Gerade obdachlos geworden, sollte ihnen insbe­son­dere in der ersten Phase ihrer Notlage eine abschließ­bare Unter­brin­gung zur Verfügung stehen, was in der Regel – zum Schutz der Privat­sphäre – ein Einzel­zimmer sein sollte. Dieses Zimmer sollte Schutz vor Hitze oder Kälte bieten und ein Bett, eine Wasch- und eine Koch­mög­lich­keit haben. Daneben sollte es auch das Einlagern von persön­li­chem Hab & Gut ermöglichen.

Daniela Behrens, die seit knapp zwei Jahren das Amt der nieder­säch­si­schen Sozi­al­mi­nis­terin ausübt (daneben aber auch für die Ressorts Arbeit, Gesund­heit und Gleich­stel­lung zuständig ist) stellte auch ihre Über­le­gungen zur Verbes­se­rung der Lage obdach­loser Menschen dar. Sie verwies aber bei der Ausfüh­rung von Verbes­se­rungen darauf hin, dass sie zuletzt von den Kommunen geleistet werden müssten, ihre Landes­re­gie­rung gebe dazu vorrangig die Richt­li­nien heraus.

Dabei stimmte Frau Behrens grund­sätz­lich den Forde­rungen von Sozi­al­ver­bänden, der Selbst­ver­tre­tung, aber auch unserer Online Redaktion nach deut­li­chen Verbes­se­rungen zu. Auch äußerte sie mehrfach ihre Bereit­schaft, sich mehr mit den von Obdach- und Wohnungs­lo­sig­keit betrof­fenen Menschen auszu­tau­schen, statt nur über sie zu reden. Die Bekämp­fung der Wohnungs- und Obdach­lo­sig­keit sei ein wichtiges Thema in der Sozi­al­po­litik Nieder­sachsens und sie sehe dabei besonders die Kommunen in der Pflicht.

Auch beim Problemen mit länger leer­ste­henden Wohnungen in Städten und Gemeinden war sich die Runde einig, dass solcher Leerstand nicht geduldet werden sollte. Das Thema „Enteig­nung“ sei dabei aber eher proble­ma­tisch einzu­ordnen wegen hoher recht­li­cher Hürden dazu. Sie setze dabei mehr auf bessere Koope­ra­tion mit Vermie­tern und Wohnungs­ver­wal­tern, was auf Vermie­ter­seite sicher auch ein gewisses Umdenken im Umgang mit armen Menschen mit wenig finan­zi­ellen Ressourcen nötig mache.

Mit der Aussicht, sich auch in Zukunft mit der Selbst­ver­tre­tung zum Austausch zu treffen, machte die gebürtige Bremer­ha­ve­nerin den Mitglie­dern Hoffnung auf einen lang­fris­tigen Dialog über die Themen Obdach- und Wohnungs­lo­sig­keit. Sei es im Landtag in Hannover, oder in Freistatts Semi­nar­haus Wegwende.

Mit ihrem persön­li­chen Besuch hier zeigte sie ja deutlich, wie wichtig ihr der Input „von der Straße“ oder auch von wohnungs­losen Menschen ist. So bleibt zu hoffen, dass ihr Enga­ge­ment auch von Landes­re­gie­rung und Oppo­si­tion mitge­tragen wird.

Die Selbst­ver­tre­tung wohnungs­loser Menschen ist sich dabei auch bewusst, dass es mehr Entschei­dende in der Politik braucht, die wie Daniela Behrens die große Aufgabe angehen, bis Ende 2030 in Europa die Wohnungs­lo­sig­keit abzuschaffen.

Der 11. Januar 2023 in Freistatt könnte zumindest ein Teil­schritt auf diesem beschwer­li­chen Weg werden. Für obdach- und wohnungs­lose Menschen, für Menschen, die noch in extremer Armut leben müssen – aber auch für unsere ganze Gesellschaft.