Erhöhung des ALG-II-Regelsatzes 2021
Anfang September 2020 meldete das Bundesarbeitsministerium, dass die geplante Erhöhung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) – das umgangssprachlich gerne auch als „HARTZ IV“ bezeichnet wird – zum 1. Januar 2021 nun doch um erstaunliche 14,- Euro erhöht werden soll.
Ursprünglich war ja zuerst einmal nur eine Erhöhung um 7,- Euro geplant, mit der das Ministerium für Arbeit und Soziales seiner bisherigen Praxis nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz gefolgt wäre. Letzteres soll ja die Preisentwicklung für regelbedarfsrelevante Güter in Deutschland ausgleichen, wie es offiziell heißt.
Für Alleinstehende wird es also Anfang 2021 eine Erhöhung von bisher 432,- Euro auf immerhin 446,- Euro beim ALG II geben.
Doch diese Erhöhung ist für die ALG-II-Bezieher alles andere als ein Grund zum Jubeln. Im Gegenteil: „HARTZ IV“ ist seit dem Inkrafttreten der „Arbeitsmarkt-Reform“ von 2005 zur wachsenden Armutsfalle für immer mehr Menschen geworden. Nicht zuletzt auch durch die Ausweitung von prekären Arbeitsverhältnissen, was die Teilnahme am sozialen Leben mit diesen monatlichen Zahlungen im Verlauf der Jahre immer schwieriger bis unmöglich gemacht hat.
Für arme Menschen hört sich diese geplante Erhöhung um gerade einmal 14,- Euro monatlich daher an wie „ein Appel und ein Ei“ mehr zu bekommen – auch vor dem Hintergrund von Milliardenzahlungen an Großfirmen in der aktuellen Corona-Krise.
Aktion am Weltarmutstag
Genauso empfand es wohl auch Klaus-Dieter Gleitze, Geschäftsführer der Landesarmutskonferenz Niedersachsen. Gemeinsam mit dem Aktionsgruppe „Gnadenlos Gerecht“ veranstaltete er am 17. Oktober – dem Weltarmutstag – unter dem Motto „Ein Appel und ein Ei“ in der bekannte Einkaufsmeile Kröpcke in Hannover eine besondere Aktion zur Verdeutlichung der mangelhaften Regelsätze beim ALG II. Eingeladen waren neben Menschen, die gegen die fragwürdige „HARTZ-IV“-Politik mobil machen auch die Landes- und Fraktionsvorsitzenden sämtlicher Regierungs- und Oppositionsparteien im niedersächsischen Landtag. Erschienen waren dann aber lediglich die Parteispitzen von DIE LINKE, vom BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN sowie von der Piratenpartei Deutschland. Den übrigen politischen Parteien schien das Thema Armut in Deutschland wohl zu unwichtig zu sein (oder nicht als christlich-demokratisches, sozialdemokratisches oder liberales Thema zu taugen?).
SPD, CDU und FDP glänzten allesamt durch Abwesenheit.
Eingeladen war auch Marc Beinsen (Mitglied der Improkokken) als Jongleur, der mit Hilfe von Eiern und Äpfeln symbolisch mit den verschiedenen Teil-Tagessätzen des „HARTZ-IV“-Regelsatzes jonglierte. Dabei stand jedes Ei oder jeder Apfel für eine Sparte dieses ominösen Regelsatzes. Marc verdeutlichte mit seinem Jonglieren so die Probleme eines jeden Beziehenden, mit diesem Tages-Budget irgendwie zurecht zu kommen.
Diese Beträge für Ernährung, Hygiene, Strom, Mobilität, Zeitung und anderes sind nun mal vom Gesetzgeber dermaßen knapp bemessenen, dass es an allen Ecken und Enden nicht wirklich reicht, um vernünftig „über die Runden zu kommen“. Erst recht, wenn dann auch noch vom Jobcenter – vorgeblich „zu Recht“, aber fast immer sehr fragwürdig – sanktioniert werden sollte.
Auf welche eigentlich notwendige Dinge des alltäglichen Lebens der Betroffene dann notgedrungen verzichten will, macht dieses Machwerk einer vorgeblichen „Reform des deutschen Sozialsystems und Arbeitsmarktes (?) der Agenda 2010“ zu dem verhassten Knebelinstrument, das fast jeder „HARTZ IV“ beziehende Mensch in Deutschland schon erleben musste.
So fielen Marc als Jongleur regelmäßig und symbolträchtig immer wieder einmal seine ausgepreisten Eier und Äpfel zu Boden … auf den „armselig“ harten Boden der festgeschriebenen Bestimmungen zum ALG-II-/„HARTZ-IV“-Bezug.
In Krisenzeiten wie diesen werden es immer mehr Menschen mit Zukunftsängsten, Arbeitslosigkeit, Armut oder gar drohender Wohnungslosigkeit konfrontiert. Je länger die Corona-Pandemie andauert, um so schlimmer wirken sich jetzt für viele betroffene Menschen die zögerlichen oder gar fehlenden Hilfen der Politik aus. Ein wachsender Anteil der Bevölkerung muss offenbar befürchten, wirtschaftlich „vor die Hunde“ zu gehen.
Die Forderungen der Aktionsgruppe „Gnadenlos Gerecht“ und auch von Klaus-Dieter Gleitze als LAK-Geschäftsführer waren entsprechend klar formuliert:
Nicht um 14,- Euro sondern um 100,- Euro sollte das ALG II angehoben werden. Ein einmaliges „Corona-Geld“ von 1.000,- Euro sollte ebenfalls an die rund 6 Millionen Bezieher gehen, um ihre finanzielle Lage zu verbessern.
Viele der ärmeren Menschen waren schon während des ersten Lockdowns wegen geschlossener Tafeln und Tagestreffs stark in ihrem Leben beeinträchtigt und müssten das jetzt erneut befürchten. ALG-II-/„HARTZ-IV“-Bezieher dürften auch nach der Corona-Krise nicht mehr von den Jobcentern sanktioniert werden, fordern LAK und „Gnadenlos Gerecht“.
Die Politik schaut (teilweise) zu
Die Passanten und Beteiligten hatten während der Veranstaltung die Gelegenheit, mit den Landesvorsitzenden von immerhin drei Parteien ins Gespräch zu kommen. Dabei entstanden interessante Diskussionen, für die wir uns hier besonderer bei Lars Leopold (DIE LINKE), Hans-Joachim Janssen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Thomas Ganskow (Piratenpartei Deutschland) bedanken möchten, besonders auch weil einige „renommierte“ Parteien sich diesem Dialog verweigerten oder sich offenbar den Bürger*inne*n bei dieser Aktion zum Weltarmutstag nicht stellen wollten.
Zwar unterschiedlich in der Auffassung, so erkannten doch alle drei Vorsitzenden, dass arme Menschen in der Krise „noch ärmer dran sind“ als andere Bürger*innen. Unterschiedliche Auffassungen gab es bei ihnen dann aber zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), das zumindest bei vielen Mitgliedern und Politikern DER LINKEN als ein mögliches Modell zur Armutsbekämpfung angesehen wird.
Wir kennen mittlerweile viel zu viele betroffenen arme Menschen, die ein BGE nur zu gerne einmal ausprobieren würden, auch auf die Gefahr hin, dass dann viele ALG-II-verwaltende Bürokraten-Menschen eventuell arbeitslos werden könnten.
Unser Fazit
Uns bleibt noch einmal hervorzuheben, dass – wie auch schon zu den Veranstaltungen zum Tag der Wohnungslosen am 10. und 11. September – leider wieder einmal Politiker von CDU, FDP und SPD bei dieser Aktion nicht anwesend waren.
- Müssen wir das als Desinteresse am Thema „Armut in Deutschland“ bei ihnen interpretieren?
- Wie wollen sie dann die immer deutlicher werdende Armut in Deutschland bekämpfen?
- Oder fehlt es diesen Parteien einfach an passenden Ideen?
Eine kleine Hoffnung machen immerhin die (immer noch viel zu begrenzten) Mittel für neuen sozialen Wohnungsbau, den die Politik zumindest ansatzweise als wichtiges Arbeitsfeld wiederentdeckt zu haben scheint. Wenn wir uns die Entwicklung der Mieten in großen und kleinen Städten – aber auch immer mehr auf dem Lande – anschauen, muss da aber wohl noch deutlich mehr geschehen!
Damit die Mittelschicht im Land nicht noch mehr leidet und mehr und mehr abgehängt wird, sollte es auch im Interesse unserer gesamten Gesellschaft sein, die immer größer werdende Spaltung unserer Gesellschaft in Arme, Mittelschicht und Reiche abzubauen, statt ihr Auseinanderdriften weiter zuzulassen.
– die Zeiten hierfür sind unserer Meinung nach vorbei!
Die Gruppe „Gnadenlos Gerecht“, die LAK Niedersachsen und alle Beteiligten der Kröpcke-Aktion in Hannover vom letzten Samstag sind sich darin zumindest einig.