Der Tagestreff Oase in Northeim feiert dieses Jahr sein 20 jähriges Bestehen und hat dazu am Monatsanfang eine Ausstellung über Wohnungslosigkeit im Foyer der Kreissparkasse Northeim eröffnet.
Die Wohnungslosenhilfe Freistatt war zur Eröffnung eingeladen und Dr. Stefan Schneider, der Organisationsleiter des Projekts Wohnungslosentreffen hielt in Vertretung von Frank Kruse, dem Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe (WLH) Freistatt, einen Vortrag.
Zunächst begrüßten Melanie Bogedain, eine der Leiterinnen der Oase in Northeim und Guido Mönnecke, der Vorsitzende des Vorstands der Kreissparkasse Northeim viele Gäste aus Northeim und Umgebung, um das Oase-Jubiläum in feierlichem Rahmen zu begehen. Guido Mönnecke betonte das Interesse von Sparkasse und Stadt, aber auch vieler Unternehmen aus Northeim, Hilfe für finanziell schwache Mitbürger anzubieten. So habe er gern gemeinsam mit dem Oase-Team diese Feier mit Ausstellung in der Sparkassen-Zentrale ausgerichtet.
Melanie Bogedain bedankte sich bei allen Sponsoren und Helfern, die ein Fortbestehen der Oase erst ermöglichen würden. Dazu gab sie einen kurzen Überblick zur Geschichte und Aufbau des Tagestreffs:
Die Wärmestube sei aus einem Kreis engagierter Menschen der Kirchengemeinden Northeim entstanden, die sozial benachteiligten Menschen eine Aufenthaltsmöglichkeit mit Frühstück, Kaffee, persönlichen Gesprächen angeboten und auch mit Kleidung versorgt hätten.
Es hätte sich dann schnell ein Bedarf für eine Sozialberatung bemerkbar gemacht, so dass 1997 mit Beteiligung vom Land Niedersachsen, von Stadt und Landkreis Northeim und der Stiftung Herberge zur Heimat das Oase-Haus bezogen werden konnte. Hier seien seither zwei Sozialarbeitende, mehrere Hauswirtschafts-Mitarbeitende und 22 ehrenamtliche Helfer/Innen an mehr als 360 Tagen im Jahr für die zahlreichen Besucher/Innen unermüdlich im Einsatz. So hätte der Tagestreff im vorigen Jahr etwa 14.200 Besucherkontakte verzeichnet, deren Anzahl auch in diesem Jahr voraussichtlich wieder überschritten würde. Zusammen mit den anderen beiden hauptamtlichen Mitarbeiterinnen Alexandra Kruse und Beate Wernicke gehe sie dabei von etwa 500 einzelnen Menschen aus 12 Nationen aus, wobei vermehrt auch Durchreisende Gäste hinzukommen würden.
Das Oase-Team freue sich, seinen Gästen in schwierigen Lebenslagen einen Ort anzubieten, der verbinde und sie als Menschen auffange, persönliche Kontakte ermögliche und bei Problemen Hilfe anbieten könne.
Seit 2010 gebe es auch einen unterstützenden „Förderverein Oase Northeim e.V.“, der derzeit 45 Mitgliedern habe. Viele davon könnten aber nur stundenweise mithelfen, daher freue sich der Verein natürlich immer über Anfragen neuer engagierter northeimer Menschen mit Interesse an einer ehrenamtlichen Mitarbeit.
Maik Gildner (der Geschäftsführer der Diakonischen Gesellschaft Wohnen und Beraten mbH als Träger des Tagestreffs Oase) bedankte sich für seine Einladung und freute sich die Ausstellung mit eröffnen zu können. Es sei nötig, die Bedeutung der Hilfen für Menschen in Wohnungsnot mehr ins Blickfeld unserer Gesellschaft zu rücken.
Die persönlichen Schicksale, die in der Ausstellung verdeutlicht würden, machten deutlich, dass die Politik noch viele gesellschaftliche Probleme abzuarbeiten hätte. Er bedankte sich bei allen Mitarbeitenden und ehrenamtlich Helfenden der Oase und bei allen Unterstützern, die alle gemeinsam erst ein Fortbestehen des Tagestreffs ermöglichen würden.
Danach folgte der Vortrag von Dr. Stefan Schneider: (in Vertretung von Frank Kruse)
Der wandernde Arme
Ein Vortrag über Unterstützungssysteme
für Arme im Wandel der Zeit
Die Unterstützung von Armen war immer mit der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft verbunden.
In der Antike wurden Arme nicht weiter beachtet und bestenfalls mit gelegentlichen Wohltaten bedacht. Erst mit der Entwicklung von Christengemeinden entwickelte sich eine erste Unterstützung von bedürftigen Armen.
In den Jahren von 750 bis 1230 entwickelte sich in Europa eine Warmzeit, die sichere Ernten und den Weinbau bis nach England brachte und auch eine Zeit der Kreuzzüge und Wallfahrten war. Es entstand ein Netz von Hospitälern an den Reiserouten, die Reisenden aber auch Armen Unterkunft und Nahrung boten. In den wachsenden Städten entwickelte sich mit dem Bürgertum eine Mittelschicht aus Handwerkern und Kaufleuten und aus den Zünften entstanden genossenschaftliche Hilfseinrichtungen zur Absicherung von Risiken wie Invalidität, Brand und Schiffbruch, aber auch mit Ansätzen zur Versorgung von Hinterbliebenen.
Im Hochmittelalter bekamen Bettler einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft durch eine Interpretation als Stellvertreter Jesu auf Erden. Mit Spenden von Almosen konnten vermögende Christ auf ein Erlangen von ewigem Seelenheil hoffen. Betteln galt als anerkannter Broterwerb und es entstanden sogar eigene Bettelzünfte.
Ab etwa 1300 bis ins 19. Jahrhundert entwickelte sich dann eine kleine Eiszeit. Missernten und der Pestausbruch um 1350, der bis zu ein Drittel der Bevölkerung tötete, bewirkte eine gesellschaftliche Umstrukturierung:
Arbeitskräftemangel und steigende Löhne und die Abwanderung von Landarbeitern in die Städte führten langfristig zum Zusammenbruch des feudalen Systems des Mittelalters mit gleichzeitigem Anstieg der Armut in den Städten.
Ab 1358 verbreiteten sich in Deutschland Schlaguhren und machten erstmals eine Zeiterfassung der Arbeit möglich. Das Bürgertum gewann in den Städten immer mehr an Bedeutung und entwickelte sich zu einer politischen Kraft.
Ab 1478 entstanden Almosen- und Bettelordnungen, die zwischen ehrbaren und nicht ehrbaren Armen unterschieden. Verbunden mit einem allgemeinen Bettelverbot und geregelter Almosengabe, ging die Zuständigkeit für die Almosengaben von der Kirche auf die Kommunen über.
Ab etwa 1500 wurden zur Regelung des sozialen Lebens und der Wirtschaft staatliche Strafgesetz- und Polizeiordnungen erlassen. Das damit eingeführte Heimatprinzip machte jede Kommunen für ihre eigenen Armen verantwortlich, so dass fremde Bettler verjagt oder in ihre Ursprungsgemeinde mit „Bettlerfuhren“ zurückgebracht wurden.
Es entwickelte sich dann ein Armenwesen mit Arbeitspflicht und ab 1609 die Einführung von Arbeitshäusern, die sich einerseits zu Zuchthäusern entwickelten, teilweise aber auch zur Bildung von Manufakturen führten. Der Straftatbestand „Betteln“ wurde in Deutschland erst 1974 aus dem StGB gestrichen.
In der Zeit der vorindustriellen Revolution entwickelte sich die Hausindustrie, die der grundbesitzlosen Landbevölkerung (Heuerlingen oder Köttern) eine Möglichkeit zur Heimarbeit bot. Sogenannte Verleger lieferten Rohstoffe und übernahmen die Vermarktung der Produkte, durch die allgemein schlechte Bezahlung entwickelte sich dabei eine neue Armutsbevölkerung.
Für Gesellen wurde das zünftige Wandern für drei Jahre und einen Tag zum Pflichtbestandteil ihrer Handwerkerausbildung. Eine Rückkehr war aber nur als „ehrbarer Geselle“ – also schuldenfrei – möglich. Wurde ein wandernder Geselle arbeitslos und zum Bettler, drohte ihm eine Zuchthausstrafe im Arbeitshaus.
Um 1850 setzte dann die industrielle Revolution ein, mit der sich die neue Bevölkerungsschicht der Arbeiter bildete. Die Hausindustrie verlor schnell an Bedeutung und die Heimarbeiter verloren damit ihre Existenzgrundlage. Dazu brachte die 1808 vollzogene Gemeinheitsteilung den Verlust der Nutzung von „Gemeinheiten“, also Wiesen, die vorher im Besitz der Gemeinde waren und den Heuerlingen eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ermöglichten.
Die sich ausbreitende Massenarmut förderte die Auswanderung nach Amerika oder eine Saisonauswanderung, das sogenannte „Ziegel- oder Frieslandgehen bzw. Hollandgehen“. Daneben gab es eine Binnenwanderung in Städte und Industrieregionen.
In dieser Zeit gründeten sich nach der Idee von Johann Hinrich Wichern zahlreiche Diakonievereine zur Unterstützung von Menschen in Not. In Bonn gründete Clemens Theodor Perthes 1954 die erste Herberge zur Heimat für Handwerksgesellen um sie von der aufrührerischen und alkoholerfahrenen umherziehenden Arbeiterschaft in den einfachen Herbergen zu trennen.
Die Einführung von Orts- und Landarmenverbänden erfolgte am 6. Juni 1870 mit dem Gesetz über den Unterstützungswohnsitz, das auch das Heimatprinzip für Arme abschaffte. Im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 wurde dann Betteln und Landstreicherei zusammen mit Arbeitsscheuheit als Straftat normiert. Im gleichen Jahr wurde die Gewerbefreiheit eingeführt und der Zunftzwang aufgehoben.
In dieser Zeit gründete Friedrich von Bodelschwingh 1882 nach belgischem Vorbild die erste Arbeiterkolonie für die umherziehenden Wanderarbeiter.
Ein ab 1918 diskutiertes „Bewahrungsgesetz“ wurde nicht umgesetzt. Es sollte als rechtliche Handhabe dienen, um „Minderwertige, Asoziale und Gemeinlästige“ – damit waren „Landstreicher, Bettler, Geisteskranke bzw. Geistesgestörte, Trinker, Rauschgiftsüchtige und Prostituierte“ gemeint – zwangsweise in geschlossenen Anstalten unterzubringen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückte dann Wanderarmut und Wohnungslosigkeit in das Interesse der Forschung.
So erschien 1934 eine psychologische Dissertation von Ludwig Mayer über den „Wandertrieb“. Im Zusammenhang mit dem Wandertrieb-Konzept wurden Landstreicherei, Schulschwänzen, Fortlaufen aus der Fürsorgeerziehung und Fahnenflucht als „krankhafte Wanderzustände“ eingeordnet.
Im „Dritten Reich“ kam es dann zu einer massiven Verfolgung und Ermordung von umherziehenden Armen durch die Nationalsozialisten, deren SS-Standartenführer Alarich Seidler den Begriff „Nichtsesshafte“ prägte.
Trotz dieser Geschichte und obwohl es nie einen nachvollziehbaren wissenschaftlichen Beweis für die Wandertriebthese gab, hält sich der fragwürdige Begriff „Nichsesshafte“ bis heute in Richtlinien der Länder im Zusammenhang mit der Hilfegewährung.
Nach dem zweiten Weltkrieg gab es Versuche, Wohnungslosigkeit aus der Persönlichkeit Wohnungsloser Menschen abzuleiten, wie z. Bsp. Kommunikationsproblemen oder Sozialisationsdefiziten. Diese Erklärungsansätze erscheinen aber fraglich, nicht zuletzt wegen der fehlenden Berücksichtigung von gesellschaftliche Faktoren.
Untersuchungen von Schwindt und Veith (1976) zu organischen Hirnschädigungen Wohnungsloser wurden erst in jüngerer Zeit neu bewertet und im Zusammenhang mit anderen, neueren Untersuchungen in ihrer Bedeutung erkannt.
Das Bundessozialhilfegesetz, das am 1. Juni 1962 in Kraft trat, bezeichnete im § 72 des BSHG Wohnungslose als „Gefährdete“, die „aus Mangel innerer Festigkeit ein geordnetes Leben in einer Gemeinschaft nicht führen können“. Im § 73 griff man die Idee des Bewahrungsgesetzes auf, die Einweisung in eine Anstalt zur „Besserung“ war nun möglich und wurde auch umgesetzt.
Danach sollte Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten und die dadurch gefährdet waren, dass sie aus Mangel an innerer Festigkeit ein geordnetes Leben in der Gemeinschaft nicht führen konnten, Hilfe gewährt werden. Die Hilfe sollte den Gefährdeten zu einem geordneten Leben hinführen, insbesondere ihn an regelmäßige Arbeit und erforderlichenfalls an Sesshaftigkeit gewöhnen. Dem Gefährdeten sollte geraten werden, sich in die Obhut einer Anstalt, eines Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung zu begeben, wenn andere Arten der Hilfe nicht ausreichen (§ 73 Abs. 1). Lehnte der Gefährdete dies ab, so konnte das Gericht ihn anweisen, sich in einer geeigneten Anstalt aufzuhalten, wenn er
1. besonders willensschwach oder in seinem Triebleben besonders hemmungslos war und
2. verwahrlost oder der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzt war und
3. die Hilfe nur in einer Anstalt wirksam gewährt werden konnte (§ 73 Abs. 2).
§ 73 Abs. 3 des BSHG enthielt verfahrensrechtliche Bestimmungen sowie die Ermächtigung an den Leiter der Anstalt, den Gefährdeten vorübergehend in einer geeigneten Familie unterzubringen. Eine Höchstdauer der Unterbringung war nicht bestimmt. 1967 hob das Bundesverfassungsgericht den § 73 auf, da er gegen das Grundgesetz verstieß.
Mit der Reform des BSHG im Jahre 1974 wurde der Begriff „Personen, bei denen besondere soziale Schwierigkeiten der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft entgegenstehen“, eingeführt. Durch die Strafrechtsreform wurde im gleichen Jahr der § 361 StGB (Betteln als Straftat) ersatzlos gestrichen. An die Stelle des Begriffs der Nichtsesshaftigkeit, bei dem die abnorme Persönlichkeitsstruktur im Vordergrund stand, trat das sozialwissenschaftliche Konzept der Wohnungslosigkeit. In der Gesetzesbegründung zum § 72 BSHG hieß es, die Hilfe sei „Personen zu gewähren, die den Anforderungen der modernen Industriegesellschaft nicht gerecht werden können.“
In der Durchführungsverordnung wurde diese politische Neuausrichtung allerdings zunächst nicht umgesetzt. Es wurden 6 Personengruppen beschrieben, die Hilfe nach § 72 erhalten konnten.
Dabei waren Wohnungslose in Ortsobdachlose und „Nichtsesshafte“ unterschieden.
Erst 2001 wurde dieses stigmatisierende Konzept aufgegeben und die Gewährung der Hilfe auf die Lebenslage ausgerichtet. Dennoch hält sich bis heute in den Richtlinien der Länder der Begriff der „Nichtsesshaftigkeit“.
Abschließend bleibt festzustellen:
- Die Ursachen von Wohnungslosigkeit sind vielfältig, es gibt keine heterogene Gruppe mit vergleichbaren Merkmalen.
- Wohnungslosigkeit verstärkt sich in wirtschaftlichen Krisenzeiten und bei Unterversorgung mit Wohnraum.
- Dennoch können Risikomerkmale beschrieben werden, welche Personengruppen ein höheres Risiko haben wohnungslos zu werden als andere.
Zuletzt waren dann alle Gäste bei einem kleinen gemeinsamen Imbiss eingeladen die Ausstellung „Ausweg Straße !?“ anzuschauen, die von den Sozialen Diensten SKM gGmbH in Osnabrück erstellt wurde.
Wir zeigen hier eine Auswahl der wirklich sehenswerten Ausstellung, die unter Mitarbeit von Thomas Osterfeld, Beate Nakamura, Maria Anna Leenen und Thomas Kater – dem Ansprechpartner bei Interesse an der Ausstellung – …
… schon 2009 als Wanderausstellung konzipiert wurde und leider auch heute noch die Situation wohnungsloser Menschen in Deutschlands Städten und Gemeinden widerspiegelt.
Es werden Einrichtungen und ihre Angebote zur Unterstützung Wohnungsloser und sozial benachteiligter Menschen vorgestellt, aber auch verschiedene Einzelschicksale von deren Besucher/innen, die in den Texten auch persönlich mit ihren Erfahrungen zu Wort kommen.
Eine Ausstellung die nachdenklich macht und die unserer Meinung nach noch an vielen Orten Deutschlands gezeigt werden sollte.
Dazu sollten sich doch in diesem Luther-Jubiläums- und Wahljahr viele Gelegenheiten anbieten – alle interessierten Menschen sind aufgerufen, sich hier bei Interesse an der Ausstellung zu melden!
Wir bedanken uns beim Oase-Team Northeim für die Einladung und wünschen ihm weiterhin viel Erfolg bei seier Arbeit um bedürftigen Menschen auch in Zukunft helfen zu können.