Zum Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut 2021 hatten SkF und SKM am 17. Oktober 2021 zum Propsteihof Dortmund eingeladen, um die Frage
„Was brauchst Du für ein besseres Leben?“
… in einer großen Runde aus Menschen mit Armutserfahrungen, sozial engagierten Menschen, Politikern und Würdenträgern zu diskutieren.
Dazu hatten Hildegard Eckert (Bundevorsitzende des SkF) und Heinz-Georg Coenen (Vorsitzender des SKM) Prälat Dr. Peter Neher (Präsident des Deutschen Caritasverbandes), Prof. Antonio Brettschneider (Institut für Sozialpolitik und Sozialmanagement, ISSM, der TU Köln), Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck (Bischof von Essen und Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz) und folgende fünf Politiker*innen eingeladen:
- MdL Anja Butschkau (SPD)
- Claudia Middendorf (CDU)
- MdB Markus Kurth (Bündnis 90 / Die Grünen)
- Dr. Anja-Tina Pannes (FDP)
- MdB Kathrin Vogler (DIE LINKE)
Inhalt
- Geistlicher Impuls
- Lebensrealität der Menschen mit Armutserfahrungen
- Workshops: „Im Dialog mit der Politik“
- Mittagspause, Kaffee und Kabarett
- Podiumsgespräch
- Fazit und Verabschiedung
Geistlicher Impuls
Nach der Begrüßung gab es eine Einführung von Dr. Peter Neher, der über Kindheitserinnerungen über Probleme mit „kaputt gegangenen Hosen“ als Herausforderung für arme Familien zur Kernfrage vieler von Armut betroffener Menschen kam: „Was fehlt im Alltag?“.
Er erzählte von Problemen von Familien mit Kindern in Armut, Problemen mit Minijobs in Corona-Zeiten und von Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen. Dazu stellte er dann die etwas provokative Frage nach den „Lebenschancen für Arme?“ und formulierte einen „Anspruch auf Teilhabe an der Erde“, der doch – auch im Sinne der Bibel – eigentlich für alle Menschen gelten müsse.
Er folgte der Ansicht von Papst Franziskus: „Arme Menschen sind selbst nicht für ihre Armut verantwortlich!“, aber sie bräuchten viel mehr Ermutigung, ihr eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Mit der Ermahnung, dass „der Markt“ das Problem der wachsenden Armut offenbar nicht regeln oder bessern könne, sah er zum Abschluss für die Kirche Auftrag und Ermutigung zugleich darin: „Entdeckt Gott in den Armen!“ – denn wer den Armen begegne, begegne auch Gott.
Lebensrealität der Menschen mit Armutserfahrungen
im 6. Armuts- und Reichtumsbericht
Es folgte ein interessanter Kurzvortrag von Prof. Antonio Brettschneider, der sich als Experte für Kommunale Sozialpolitik und im Rahmen seines Forschungsgebiets Vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung viel mit Armuts- und Reichtumsberichten beschäftigt hat.
Wenn er bei seinen Forschungsprojekten mit Menschen mit Armmutserfahrungen zusammenkomme, werde er oft mit der Frage konfrontiert: „Als Beamter auf Lebenszeit – Was willst Du uns erzählen?“.
Wie deute ich meine Statistiken?
Als so offenbar privilegierter Mensch „entlarvt“ könne er dann nur seine Hilfe dabei anbieten, solche Berichte kritisch zu hinterfragen: So seien die Interpretationen der Armuts- und Reichtumsberichte (ARB) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales als Grundlage für die Umsetzung der Agenda 2010 von Anfang an fraglich gewesen.
Daneben gebe es auch noch regionale Berichte, z. Bsp. die NRW-Sozialberichte, in denen zumindest schon einmal Verbände befragt wurden, was eine erste Verbesserung darstelle.
Er stelle sich dazu immer wieder die Frage: „Wo bleibt die Perspektive der Menschen?“ – also insbesondere die der Menschen, die konkret mit Erfahrungen von Armut konfrontiert sind. Dazu habe sein Team dann ab dem 4. ARB eigene Fragebögen erarbeitet, um die „soziale Lage“ „betroffener“ Menschen besser zu verstehen: Themengebiete der Fragebögen seien dabei: Einkommen, Vermögen, Wohnsituation, die eigene Arbeitssituation und Erfahrungen mit dem Arbeitsmarkt.
…
Danach kam Prof. Brettschneider noch auf das Problemgebiet Prekarität und Armut zu sprechen. Hier mache schon die Diskrepanz von 4.000 Euro als Brutto-Durchschnittsgehalt in Deutschland und dem ALG-II „Komplettsatz“ von etwa 828,- Euro, was einem Faktor von 5 bis 6 entspreche.
Durch seine Interviews, die bis zu drei Stunden dauern könnten, kämen auch Fragen nach Gegenwart, Erfahrungen, Zukunftsperspektiven und Kindern vor. Dabei ergäbe sich praktisch immer sofort die situationsbezogene Frage: „Was fehlt?“.
Dazu stellte Prof. Brettschneider den Begriff Cluster in der Armutsforschung vor, mit dem Ähnlichkeitsstrukturen im komplexen Bereich Armut beschrieben werden.
Cluster der Armut – Armutsmuster
- Viel Wechsel im Leben und damit verbundene brüchige Erwerbs-Biographien
- Schlechte , oft prekäre Arbeitsverhältnisse
- Schulden
- Private Konflikte
„Schwarzes Schaf“ sein, fehlende Achtung, fehlende Liebe? - Probleme „durch Kinder“ / der Kinder
Schule, Gesundheit, Psyche
Zuletzt erörterte Prof. Brettschneider noch drei kritische Punkte des Themenkomplexes Armut:
Schulden
- Frühe Schulden entstünden häufig durch z. Bsp. Handyverträge
- Schulden könnten oft vom Partner „geerbt“ werden
- Es gebe oft einen phasenweisen Auf- und manchmal auch Abbau
- Vermehrung von Schulden trete oft durch Inkasso-Unternehmen auf
- Es werde oft versucht, eine Vermögensauskunft (Offenbarungseid) zu verhindern
- Eine Privatinsolvenz werde oft als „Total_Kapitulation“ empfunden
… eine Beratung dazu komme oft viel zu spät!
Kindheit
- Beobachtung von einem „nicht-Wohlfülen“, besonders in Pflegefamilien
(auch wenn eine Pflegefamilie „zum Geldmachen“ gegründet wurde) - Persönliche Behandlung in einer Pflegefamilie
- Fehlende „liebevolle Rückmeldungen“ könnten
depressiven Phasen / Verstimmungen als Folge haben
Eventuelle Spätfolgen als psychisch kranke Langzeitarbeitslose? Beispiel eines Arbeitslosen, dem ein Callcenter-Job vermittelt wurde und der nach eigener Schilderung dort „sehr gelitten“ habe. „Die möglichen Sperrfristen im Hinterkopf haben mich fertig gemacht“. Es können dann Tendenzen zu Selbstverletzungen auftreten, um doch noch aus dem belastenden Job herauszukommen. Gefühle „existenzieller Bedrohung“ wurden dazu beschrieben.
In solchen Situationen werde von armutserfahrenen Menschen nur sehr selten wirkliche Hilfe erfahren, manchmal durch „einfühlsamere“ Sachbearbeiter (die jederzeit unerwartet wechseln können).
Daher müsse die Forderung gestellt werden:
„Wir brauchen konkrete Ansprechpartner für behördlich „versorgte“ Menschen!“
Eltern problembelasteter Kinder
- Besondere Problemfälle: Aggressives Verhalten von Kindern
- Aber auch Selbstmordgedanken (bis hin zu ‑Versuchen) bei Kindern könnten im Extremfall in die Psychiatrie führen
- In Verbindung mit Armuts-Problemen seien dann oft Depressionen bei den Eltern zu beobachten
- Bei den Interviews falle oft auf, dass man „den Menschen ihre Probleme oft nicht ansehe“
- So könne die Armut z. Bsp. versteckt werden, indem Eltern Kindern eigene Zimmer einrichten, dazu aber dann selbst auf der Wohnzimmer-Couch schlafen würden
- Die Eltern würden auch oft eine „Schuldigen-Rolle“ einnehmen
- „Arzt-Odysseen“ – Aber keiner davon bietet wirkliche effektive Hilfen an
- Tendenzen zur Vermeidung von Förderschulen: Sie werden als Vorstufe der Sonderschule gefürchtet
- „Harte Abwägungen“: Wodurch kann der Stempel "bescheinigte Behinderung" des Kindes entstehen?
- ADHS und Ritalin-Behandlung (?) – Will die Familie die Nebenwirkungen in Kauf nehmen?
- Probleme können sich beim Übergang Kind > Pubertät > Jugendzeit > Ausbildung noch verstärken
Forderungen aus den Forschungsergebnissen
Prof. Brettdschneider stellte als Fazit einige „Schicksals“-Fragen:
Unser Sozialstatt – Ist das eine Hilfe?
- Insbesondere für Menschen mit Armutserfahrungen?
- Oder produziert er nur neue Ungleichheiten?
Wann ist der Sozialstaat hilfreich? – Wann nicht?
- Das Grundgesetz und die daraus abgeleiteten Sozialgesetzbücher SGB II, SGB XI und SGB XII müssten
- Es gebe offenbar Raum für Weiterentwicklungen:
Der Sozialstaat müsse dem Menschen mehr Raum für eigene Entscheidungen lassen! - Angestrebtes Ziel dabei: Eine freie Entfaltung der individuellen Persönlichkeit!
Was ist dafür zu tun?
Die Arbeit der Jobcenter müsse optimiert werden:
- Probleme mit verlorener Unterlagen dürften nicht toleriert werden
(sie seien in Interviews oft genannte Konfliktursachen!) - Es müsse eine bessere Vernetzung von Jobcentern, Jugendämtern und Bildungsträgern geben
- Vereinfachung von oft als kompliziert empfundenen Abläufen
(hier könnten Ankerpersonen als Lotsen durch den Behörden-Dschungel hilfreich sein) - Arbeitsbedingungen und Ausstattung müssten in vielen Jobcentern verbessert werden
Abschließend stellte Prof. Brettschneider die Frage:
Was kann den Menschen in Jobcentern hinter den Tresen helfen?
Hier sei ihm von vielen dort betreuten Menschen berichtet worden, dass oft viel zu wenig Personal viel zu viele „Kunden“ zu betreuen habe und zudem die Tendenz zu einem „Kaputtsparen“ beobachtet würde.
Aus dem Publikum kam noch die Frage nach der Praxis und Organisation seiner Forschungen:
„Aufwändig war es!“, so beschrieb er es in Kurzform.
Damit spielte Prof. Brettschneider offensichtlich auf die nur bedingte Offenheit des Systems „Umsetzung der SGBs in Behörden und Jobcentern“ an, das ja seit Anbeginn der „Agenda 2010“ in einem mehr oder weniger großen Spannungsverhältnis mit seinen betreuten „Kunden“ steht.
Die Erlebnisse dieser „Kunden“ aus den letzten 16 Jahren könnten unserer Erfahrung nach etliche Bände eines „Sozialdramas“ füllen, das aus „Betroffenensicht“ – vorsichtig ausgedrückt – als sehr fragwürdiges Reformwerk in die Geschichte eingehen wird.
Wir fordern die neue Regierungs-Koalition in Gründung ernsthaft auf, dass sie den Ergebnissen der Forschungen von Prof. Brettschneider und auch anderer Experten der bundesdeutschen Armutsforschung und auch den Forderungen von Wohlfahrtsverbänden deutlich mehr Gehör schenken muss, um die liegen gebliebenen Probleme einer immer schneller wachsenden Armutsbevölkerung in unserem reichen Lande endlich effektiv zu begegnen!
Außerdem Es gilt, den Sozialstaat im Sinne einer wieder zu stärkenden Sozialen Marktwirtschaft zu erhalten – unserer Meinung nach letztendlich eine Entscheidung für den sozialen Frieden im Lande und gegen eine Tendenz zum Aufbau von „Gated Communities“ jeder Art, um Reichtum vor dem Rest der ärmeren Staatsbürger zu „verteidigen“.]
Workshops: „Im Dialog mit der Politik“
Die etwa 70 Teilnehmenden der Tagung trennten sich dazu in fünf Gruppen auf, die mit Moderation und je einem der fünf Politiker*innen in getrennten Räumen die Leitfrage des Tages erörterten:
„Was brauchst Du für ein besseres Leben?“
Die beteiligten Politiker*innen:
- MdL Anja Butschkau (SPD)
- Claudia Middendorf (CDU)
- MdB Markus Kurth (Bündnis 90 / Die Grünen)
- Dr. Anja-Tina Pannes (FDP)
- MdB Kathrin Vogler (DIE LINKE)
(… eine Stichwort-Übersicht zum Workshop mit Dr. Pannes findet sich in diesem Beitrag.)
Mittagspause, Kaffee und Kabarett
Nach der gemeinsamen Mittagspause mit leckeren Snacks gab es dann eine Kabarett-Einlage von Funke & Rüther mit sozialkritischen Akzenten. Dazu entwickelten Harald Funke und Jochen Rüther aus Münster ihre ganz eigene Analyse der bundesdeutschen Vermögens-Torte, indem sie das Publikum entsprechend auf- und einteilten.
Kurzweilig erörterten sie die Frage, ob „… alles im Leben nur eine Ware?“ sei, auch am Beispiel der berüchtigten Steuer-CDs – ob es die denn auch wohl als LP oder vielleicht Steuer-Single geben würde?
Mit einem Materialwert von etwa 1022,- Euro pro durchschnittlichem Menschen begaben sie sich dann auf die Suche nach der „Würde“ eines Menschen und kamen dabei über Kant
– Immanuel Kant
… zum Phänomen „Schufa-Eintrag“, der das Leben von immer mehr Bürger*innen mitbestimme und „Einen“ viel zu oft in den negativen Würdebereich abdränge!
Vom diagnostizierten Würde-Notstand ging es über den Pflege-Notstand in die Arbeitswelt, Die durch Burn-Out, Depression und schlimmstenfalls Selbstmordgedanken – das alles aber alles recht locker und humoristisch aufbereitet von den zwei Wortkünstlern vorgetragen – zum heutigen „Armuts-Empfinden“ der(s) durchschnittlichen Bürgerin / Bürgers:
Früher sei „arm sein“ ja recht üblich gewesen. Heute müsse Armut wohl mehr vor der Umwelt verborgen werden, vielleicht sei das Vorhaben "Täglich eine Minute vor dem Spiegel lächeln!" ja DAS Patentrezept, um aus der Armut herauszukommen, sich die Dienstleistungsgesellschaft gesund zu lächeln, hin zum optimierten (optimistisch grinsenden?) Arbeitnehmer, bevor es in ein Angstgrinsen übergehe.
Da sei es doch gut, dass es zumindest für manche Mitbürger*innen immer noch das famose Bonduelle-Gemüse gebe: „Erbse oder erbs'te nicht?“. Mit einem Seitenhieb auf die Versorgung von Kindern, für die sich Armut früher auch irgendwie anders angefühlt haben müsse? – klang dieser Kabarett-Teil dann passend mit dem „Ritalin-Lied“ aus.
Podiumsgespräch
Hierzu war der Essener Bischof Franz Josef Overbeck zu den fünf Politiker*innen und zwei Moderator*innen hinzugekommen, um die Ergebnisse der Workshops zu besprechen.
Was haben wir aus den Gruppen(-Workshops) mitgenommen?
… war die Eingangsfrage der Podiumsdiskussion. Allgemeiner Konsens war offenbar, dass die Würde des Menschen im System allzu oft auf der Strecke bleiben würde. Das müsse wohl als ein oft fehlendes Wahrnehmen als Mitmensch und ein fehlendes „ernst genommen werden“ im Behördenalltag angesehen werden.
- Was sei zur Abhilfe nötig?
- Das Sozialsystem ganz umgestalten?
- … oder reiche es, das System doch nur durch Lostsinnen / Lotsen durchschaubarer zu machen?
- Gebe es ein Wohnrecht auf eigenen Wohnraum?
- Müsse „Das Recht auf eine eigene Wohnung haben“ in das Grundgesetz aufgenommen werden?
Mögliche Forderugen
Weitgehend Einigkeit herrschte mit diesen Forderungen:
- Gesellschaftliche Teilhabe muss für alle Menschen sichergestellt werden!
- Hilfen müssen bei den Menschen wirklich ankommen!
- Die Gesellschaft hat die Pflicht, Menschen in Not zu helfen!
- Der Landeswohnungsbau muss deutlich erweitert werden!
Ergänzende Meinungen
Dr. Anna-Tina Pannes (FPD) sprach die Komplexität des Sozialsystems an und fragte nach Möglichkeiten es zu vereinfachen und umzubauen. Eine Anlaufstelle für „Kund*innen“ wäre wünschenswert, die durch erfahrene Lots*innen unterstützt werden sollten.
Dabei stelle sich auch die Frage, wie die „Würde erwachsener Menschen“ beim Umgang mit Lots*innen nicht auf der Strecke bliebe.
Kathrin Vogler (DIE LINKE) stellte die Diagnose: Das „HARTZ-IV-System“ (ALG-II-System) ist nicht reformierbar! – Was kann danach kommen?
Wir dürften nicht hinnehmen, dass durch die Verbindung von Armut mit mangelhafter Gesundheitsvorsorge arme Menschen etwa 10 Jahre früher sterben würden. Die ALG-II-Leistungen müssten dringend aufgestockt werden insbesondere für eine gute Lebensmittelversorgung.
Für Bischof Dr. Franz-Josef Oberbeck brachte die Themen Verkehr und Bildung zur Sprache: Auch arme Menschen müssten die Möglichkeit haben, einfach zu Arbeits- und Bildungsstätten zu kommen, da sehe er aber heute systemische Probleme. Er befürwortete auch unterstützende Lots*innen-Systeme, sich besonders im Schulbereich schon bewährt hätten.
Er brachte auch noch die COVID-19-Krise zur Sprache, eine besondere Herausforderung für arme Menschen, denen immer wieder Internet und moderne technische Ausstattung fehlen würde. Er sehe auch Probleme bei der Verteilung des Geldes in armen Familien und mahnte, auch hier bessere Strategien zu entwickeln, die aus der Armut herausführen müssten.
Videobeitrag
In einem sehenswerten Video von SkF und SKM zum Tag zur Beseitigung der Armut kamen Menschen mit Armutserfahrungen und Menschen aus dem Hilfe- und Betreuungsbereich zu Wort:
„Was brauchen Sie für dein besseres Leben?“
- Mehr Geld, um besser über die Runden zu kommen!
- Was am meisten fehlt:
- Strukturen! – für den Alltag, eine vernünftige Arbeit
- Nicht mehr auf die Hilfe der Familie angewiesen sein
- Das eigene Leben gut organisieren können - Was fehlt obdachlosen Menschen?
- Anerkennung, ein freundliches Hallo!
- Teilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten - Wie können Menschen in Armut gestärkt werden?
- Mit eigenen Wohnungen – mit einem Recht auf Wohnung!
- Durch Bekämpfung von Mobbing - Wie erreichen wir weniger Ausgrenzung?
- Durch mehr soziale Unterstützung
- Durch Wohnung, gute Gesundheitsfürsorge und mehr soziale Kontakte
Konzepte der Parteien?
Das war die nächste Frage der Moderierenden an die Podiumsrunde.
Dr. Anna-Tina Pannes (FPD) stellte ein mögliches Bürgergeld in Frage. Es gehe mehr darum, das System zu vereinfachen im Sinne von mehr direkten Hilfen für Menschen mit Armutserfahrungen bei deutlich weniger Bürokratie.
Die Situation an Schulen müsse verbessert werden durch mehr Personal, mehr Sozialarbeiter und bessere Technik.
Für Anja Butschkau (MdL, SPD) müssten im Bereich Bildung mehr Bildungs-Lots*innen etabliert werden, besonders um Kinder besser zu fördern. Eine Kinder-Grundsicherung jenseits der Sozialleistungen sei überfällig, die wirklich den Kindern zu gute kommen müsse. Im Bereich Wohnen müsse mehr mietpreisgebundener Wohnraum geschaffen werden.
Claudia Middendorf (CDU) forderte, die Gesundheitsversorgung für alle Menschen zu verbessern, gerade auch für Menschen ohne Krankenversicherung. Kinder, die in der (Vor-)Schule nicht gut zurecht kämen müssten besser gefördert werden. Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und ausreichend barrierefreie Wohnungen seien wichtig. Es müsse weiterhin besondere Förderungen für Sonderfälle wie z. Bsp. Ruhrgebietsstädte und ländliche Regionen geben, auch um jüngere Familien zu halten.
Markus Kurth (MdB, Bündnis90/Die Grünen) sah ein geplantes Bürgergeld als Ersatz für ALG-II/HARTZ-IV als möglichen Weg der Entbürokratisierung und materiellen Verbesserung für Menschen mit Armutserfahrungen. 446,- Euro Regelsatz-Grundsicherung seien zu wenig. Besonders in den Bereichen Ernährung und Gesundheit stelle sich die Fragen: Was ist angemessen? Was ist möglich?
Er forderte mehr Befähigung und Stärkung arbeitsloser Menschen, besonders vor dem Hintergrund unserer alternden Gesellschaft und verstärktem Arbeitskräftemangel.
Wir dürfen keinen Teil der Gesellschaft abschreiben!
Eine bloße Umetikettierung von ALG-II/HARTZT-IV könne nur „Frust bringen“ und die Politikverdrossenheit vergrößern.
Kathrin Vogler forderte für DIE LINKE einen Mindestlohn von mindestens 12,- Euro und stellte dazu die Frage, wie der für alle Arbeitnehmer dann auch sichergestellt werden könne – und das OHNE Schlupflöcher!
Mit Hinweis auf das Kabarett-Thema „Reichtum“ müsse mehr Teilhabe eingefordert werden. Für DIE LINKE werde „Umverteilung“ ein Thema bleiben, das könne die Opposition schon jetzt versprechen!
Für Bischof Dr. Franz-Josef Oberbeck gelte es besonders die Bildung der Menschen zu verbessern. Dazu sei es auch nötig, die Versorgung mit Tagesplätzen zur Kinderbetreuung auszubauen und die Arbeitswelt insgesamt familienfreundlicher zu gestalten.
Gesundheit – Fragen ausreichender Krankenhaus-Versorgung und ‑Finanzierung müssten beantwortet werden, wie auch nach angemessener Pflege für arme und alte Menschen, nach besserer Gesundheitsversorgung im Alter.
Das Wirken von Kirchen und ehrenamtlich tätigen Menschen könne mehr Anerkennung gebrauchen. Es müsse auch kritisch gesehen werden, dass hier oft eigentlich staatliche Aufgaben geleistet würden.
Ergänzungen aus dem Publikum
- „Betroffene“ Menschen sollten mehr angehört und beteiligt werden, besonders in Ausschüssen von Politik und Verwaltung und das auf allen Ebenen
- Beim Wohnungsbau müssten Sozialwohnungen in allen Lagen durchgesetzt werden
- Die Miethöhen müssten bei ALG-II /bzw. seinem Nachfolger?) angemessen angepasst werden
- Regelsatz-Erhöhungen müssten angemessen erfolgen!
– die vorgesehene Erhöhung Anfang 2022 um 2,- Euro für Kinder sei einfach skandalös! - Soziale Grundrechte müssten verbindlich formuliert werden – ein Recht auf Wohnung und mehr
- Die bestehenden ALG-II/HARTZ-IV.-Sanktionen gehörten abgeschafft!
Weitere Diskussion auf dem Podium
Kathrin Vogler (DIE LINKE) sah immer noch keinen wirklichen Bruch mit dem stark kritisierten Sanktionssystem bei ALG-II/HARTZ-IV. Ihre Diagnose war, dass der Bittsteller-Status im Sozialsystem offenbar erhalten bleiben solle! Das sei wirklich kein Zeichen von Aufbruch.
Es sei also weiterhin für Menschen mit Armutserfahrungen nötig, ihre Politiker „anzufeuern“ wirkliche Reformen aufzulegen und den Stimmen ihrer Wähler mehr Gehör zu schenken.
Ein Aufrütteln in Berlin werde auch mit der neuen Regierung weiterhin nötig sein!
Sie rate neuen Regierung, die bestehenden Rügen der UNO endlich einmal ernst zu nehmen und die „Egalisierung“ ungerechter Zugänge als Pflichtaufgabe anzusehen.
Dr. Anna-Tina Pannes (FPD) ergänzte zu Forderungen nach einer ALG-II-Erhöhung, dass dazu ja noch Änderungen mit den Koalitionsverhandlungen kommen könnten. Eine Anpassung der Warenkorb-Grundlage wäre denkbar.
Die Methoden für mehr Bürgerbeteiligung sollten wirklich verbessert werden, ein Mitmachen „Betroffener“ sollte gefördert werden. Dazu stelle sich auch die Frage, wie Menschen mit Armutserfahrungen in die Parlamente kommen könnten.
Für Anja Butschkau (MdL, SPD) sei Partizipation (und ihre Verbesserung) ein wichtiges Thema.
Kindergrundsicherung sei nötig für ein besseres Leben in Würde.
Beim Bürgergeld seien Änderungen aktuell noch offen, Verbesserungen vom bisherigen ALG-II-Regelsatz wären gut.
Claudia Middendorf (CDU) bemerkte, dass die Politik die Probleme sehe und es mehr Beteiligung von Bürger*innen geben sollte. Beim Mindestlohn sah sie die Gewerkschaften in der Pflicht, mehr für ihre Mitglieder zu tun.
Bei der Krankenhausplanungen sollten Schließungen vermieden werden. Bei sozialpolitischen Themen müssten alle Beteiligten mehr im Dialog bleiben, die Parteien würden schließlich für die Menschen arbeiten.
Heinz Georg Coenen (SKM) als Moderator sah im Bereich „Soziales“ schon recht unterschiedliche Positionen der Parteien. Besonders die Rolle der FDP mit Christian Lindner sei da wohl recht kritisch zu sehen, auch ihre Positionierung zu Sanktionen sei durchaus problematisch – Menschenwürde gehe anders!
Hier gebe es auch den Wunsch nach mehr Beteiligung von unterschiedlichen Politikern an Veranstaltungen wie dieser Tagung. Von Politikern, die normalerweise keine „sozialen“ Themen zu bearbeiten haben – Finanzminister zum Beispiel.
Bischof Dr. Franz-Josef Oberbeck befürwortete darauf grundsätzlich eine streitbare Ökonomie, die sich frage, was lassen die Strukturbedingungen aktuell zu? Ein Beispiel seien Schließungen von Krankenhäusern – auch Kirchen als Arbeitgeber müssten zuletzt wirtschaftlich arbeiten und hätten Probleme mit merklich sinkenden Kirchensteuer-Einnahmen.
Bei Kitas und der Jugendbildung sehe er einen „Sanierungsstau“, wo solle das nötige Geld herkommen?
Der Staat sollte nicht alles regeln – aber wo liegen die Grenzen für nichtstaatliche „Substrukturen“ in unserer Gesellschaft?
Dazu komme noch die Frage nach der Stellung von Migrant*innen in unserer Gesellschaft, einer Gruppe von mittlerweile mehr als fünf Millionen Menschen.
Thema Teilen
Vom Moderatorenteam vorgestellt kam die Frage aus dem Publikum, ob das „Bürgergeld“ vielleicht nur ein Vorwand seien könnte, um bisherige Beratungsangebote einzuschränken?
- Wie könne Themen wie Armut, soziale Ungleichheit, etc. in die Gesellschaft gebracht werden?
- Wie lassen sich „politikverdrossene“ Menschen wieder am Dialog beteiligen?
- Arme Diözesen? – fortlaufende Kürzungen sind immer mehr die Regel
- wie kann das bei Übernahme von immer mehr eigentlich staatlicher Aufgaben gutgehen?
- Mittel umschichten oder Erschließung neuer Mittel?
Aus dem Publikum kam eine Anregung zum Blick über die Grenze in die Niederlande: Wenn dort 1.200,- Euro Rente sichergestellt werden können – warum geht das nicht bei uns?
Schlussrunde
- Große Herausforderungen stehen an!
- Mehr Aufgaben sind bei stagnierenden oder sinkenden Finanzen absehbar
- Wie sollen dabei Prioritäten gesetzt werden?
- Wie können Lösungen gefunden werden?
Kathrin Vogler (DIE LINKE) zitierte dazu Pestalozzi:
„Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade!”
… und stellte dazu die Frage, ob es gut sei, dass einzelne Menschen immer mehr Macht anhäufen könnten, um sich selbst zu profilieren – oder ob dem nicht entgegengewirkt werden sollte.
Eine Untergrenze von 1.200,- Euro für Rentner und sozial Versorgte sollte möglich sein. Ein effektiver Mindestlohn, eine Stärkung von Gewerkschaften und die Abwehr von Angriffen auf Gewerkschaften seien weitere wichtige zu fordernde Eckpunkte.
Dr. Anna-Tina Pannes (FPD) forderte mit mehr Partizipation den Zugang zu Themen für Politiker zu verbessern und damit auch die Politik attraktiver zu machen im Sinne einer besseren Streitkultur.
Das Parlament sei kein Theater zur Selbstdarstellung und sie sehe viele Rituale in der Politik kritisch, wenn sie eine Weiterentwicklung verhindern würden.
Das Moderatoren-Team erinnerte noch an das Subsidiaritäts-Prinzip, das das Eintreten für Menschen mit Armutserfahrungen langfristig sichern sollte. Ein Bürgergeld, besonders für Kinder unabhängig von Sozialleistungen sei wünschenswert. Eine ausreichende Finanzierung von SkF und SKM müsse langfristig sichergestellt werden.
Bürger*innen sollten sich mehr zur Aufgabe machen, ihre Politiker*innen zu „bilden“ und mit allen ihren Politiker*innen mehr zu sprechen!
Markus Kurth (MdB, Bündnis90/Die Grünen) sah diese Aufforderung ein wenig als ein „Einrennen offener Türen“ an. Zum Thema Teilen falle ihm bei mehr als 120.000,- Euro Abgeordneteneinkommen auch schon einmal die Frage nach angemessenen Abgaben für reichere Menschen ein, ob sie nicht höher sein müssten?
Das Moderatoren-Team brachte dann noch das Thema „befristete Projekte“ zur Sprache, das eine kontinuierliche und verlässliche Arbeit oft erschwere und wertvolle Ressourcen vergeude, wenn eigentlich bewährte Projekte abrupt enden müssten.
Barmherzigkeit dürfe aber zuletzt professionelle staatliche Hilfen nicht ersetzen. Auch vor dem Hintergrund, das Spender oft sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen würden, wobei obdachlose, wohnungslose und armutserfahrene Menschen eher selten bedacht würden.
Fazit und Verabschiedung
Zuletzt folgte eine Übergabe kleiner Präsente an die Politiker*innen, verbunden mit der Übergabe der Forderungen, die von Menschen mit Armutserfahrungen schon vor der Veranstaltung ausgearbeitet wurden.
Nach einer zweiten Kabarett-Einlage von Funke & Rüther wurde alle Teilnehmenden verabschiedet mit dem Wunsch:
„Armut“ zum Thema auf allen politischen Ebenen zu machen!
(… ebenso im kirchlichen Bereich!)
Nach einigen Abschluss-Fotos endete diese Tagung dann gegen 16:00 Uhr.
…