Was brauchst Du für ein besseres Leben? - 17. Oktober 2021

Inter­na­tio­nalen Tag zur Besei­ti­gung der Armut 2021
„Was brauchst Du für ein besseres Leben?“

Zum Inter­na­tio­nalen Tag zur Besei­ti­gung der Armut 2021 hatten SkF und SKM am 17. Oktober 2021 zum Props­teihof Dortmund einge­laden, um die Frage

Was brauchst Du für ein besseres Leben?

… in einer großen Runde aus Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen, sozial enga­gierten Menschen, Poli­ti­kern und Würden­trä­gern zu diskutieren.

Was brauchst Du für ein besseres Leben? - 17. Oktober 2021

Dazu hatten Hildegard Eckert (Bunde­vor­sit­zende des SkF) und Heinz-Georg Coenen (Vorsit­zender des SKM) Prälat Dr. Peter Neher (Präsident des Deutschen Cari­tas­ver­bandes), Prof. Antonio Brett­schneider (Institut für Sozi­al­po­litik und Sozi­al­ma­nage­ment, ISSM, der TU Köln), Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck (Bischof von Essen und Vorsit­zender der Kommis­sion für gesell­schaft­liche und soziale Fragen der Deutschen Bischofs­kon­fe­renz) und folgende fünf Politiker*innen eingeladen:

  • MdL Anja Butschkau (SPD)
  • Claudia Midden­dorf (CDU)
  • MdB Markus Kurth (Bündnis 90 / Die Grünen)
  • Dr. Anja-Tina Pannes (FDP)
  • MdB Kathrin Vogler (DIE LINKE)



... nach unten  Inhalt




... zum Inhalt  Geist­li­cher Impuls

Nach der Begrüßung gab es eine Einfüh­rung von Dr. Peter Neher, der über Kind­heits­er­in­ne­rungen über Probleme mit „kaputt gegan­genen Hosen“ als Heraus­for­de­rung für arme Familien zur Kernfrage vieler von Armut betrof­fener Menschen kam: „Was fehlt im Alltag?“.

Er erzählte von Problemen von Familien mit Kindern in Armut, Problemen mit Minijobs in Corona-Zeiten und von Menschen mit prekären Arbeits­ver­hält­nissen. Dazu stellte er dann die etwas provo­ka­tive Frage nach den „Lebens­chancen für Arme?“ und formu­lierte einen „Anspruch auf Teilhabe an der Erde“, der doch – auch im Sinne der Bibel – eigent­lich für alle Menschen gelten müsse.

Er folgte der Ansicht von Papst Fran­ziskus: „Arme Menschen sind selbst nicht für ihre Armut verant­wort­lich!“, aber sie bräuchten viel mehr Ermu­ti­gung, ihr eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Mit der Ermahnung, dass „der Markt“ das Problem der wach­senden Armut offenbar nicht regeln oder bessern könne, sah er zum Abschluss für die Kirche Auftrag und Ermu­ti­gung zugleich darin: „Entdeckt Gott in den Armen!“ – denn wer den Armen begegne, begegne auch Gott.




... zum Inhalt  Lebens­rea­lität der Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen
im 6. Armuts- und Reichtumsbericht

Es folgte ein inter­es­santer Kurz­vor­trag von Prof. Antonio Brett­schneider, der sich als Experte für Kommunale Sozi­al­po­litik und im Rahmen seines Forschungs­ge­biets Verglei­chende Wohl­fahrts­staats­for­schung viel mit Armuts- und Reich­tums­be­richten beschäf­tigt hat.

Wenn er bei seinen Forschungs­pro­jekten mit Menschen mit Armmut­s­er­fah­rungen zusam­men­komme, werde er oft mit der Frage konfron­tiert: „Als Beamter auf Lebens­zeit – Was willst Du uns erzählen?“.

Wie deute ich meine Statistiken?

Als so offenbar privi­le­gierter Mensch „entlarvt“ könne er dann nur seine Hilfe dabei anbieten, solche Berichte kritisch zu hinter­fragen: So seien die Inter­pre­ta­tionen der Armuts- und Reich­tums­be­richte (ARB) des Bundes­mi­nis­te­riums für Arbeit und Soziales als Grundlage für die Umsetzung der Agenda 2010 von Anfang an fraglich gewesen.

Daneben gebe es auch noch regionale Berichte, z. Bsp. die NRW-Sozi­al­be­richte, in denen zumindest schon einmal Verbände befragt wurden, was eine erste Verbes­se­rung darstelle.

Er stelle sich dazu immer wieder die Frage: „Wo bleibt die Perspek­tive der Menschen?“ – also insbe­son­dere die der Menschen, die konkret mit Erfah­rungen von Armut konfron­tiert sind. Dazu habe sein Team dann ab dem 4. ARB eigene Frage­bögen erar­beitet, um die „soziale Lage“ „betrof­fener“ Menschen besser zu verstehen: Themen­ge­biete der Frage­bögen seien dabei: Einkommen, Vermögen, Wohn­si­tua­tion, die eigene Arbeits­si­tua­tion und Erfah­rungen mit dem Arbeits­markt.

Danach kam Prof. Brett­schneider noch auf das Problem­ge­biet Preka­rität und Armut zu sprechen. Hier mache schon die Diskre­panz von 4.000 Euro als Brutto-Durch­schnitts­ge­halt in Deutsch­land und dem ALG-II „Komplett­satz“ von etwa 828,- Euro, was einem Faktor von 5 bis 6 entspreche.

Durch seine Inter­views, die bis zu drei Stunden dauern könnten, kämen auch Fragen nach Gegenwart, Erfah­rungen, Zukunfts­per­spek­tiven und Kindern vor. Dabei ergäbe sich praktisch immer sofort die situa­ti­ons­be­zo­gene Frage: „Was fehlt?“.

Dazu stellte Prof. Brett­schneider den Begriff Cluster in der Armuts­for­schung vor, mit dem Ähnlich­keits­struk­turen im komplexen Bereich Armut beschrieben werden.

Cluster der Armut – Armutsmuster

  • Viel Wechsel im Leben und damit verbun­dene brüchige Erwerbs-Biographien
  • Schlechte , oft prekäre Arbeitsverhältnisse
  • Schulden
  • Private Konflikte
    „Schwarzes Schaf“ sein, fehlende Achtung, fehlende Liebe?
  • Probleme „durch Kinder“ / der Kinder
    Schule, Gesund­heit, Psyche

Zuletzt erörterte Prof. Brett­schneider noch drei kritische Punkte des Themen­kom­plexes Armut:

Schulden

  • Frühe Schulden entstünden häufig durch z. Bsp. Handyverträge
  • Schulden könnten oft vom Partner „geerbt“ werden
  • Es gebe oft einen phasen­weisen Auf- und manchmal auch Abbau
  • Vermeh­rung von Schulden trete oft durch Inkasso-Unter­nehmen auf
  • Es werde oft versucht, eine Vermö­gens­aus­kunft (Offen­ba­rungseid) zu verhindern
  • Eine Privat­in­sol­venz werde oft als „Total_Kapitulation“ empfunden
    … eine Beratung dazu komme oft viel zu spät!

Kindheit

  • Beob­ach­tung von einem „nicht-Wohlfülen“, besonders in Pfle­ge­fa­mi­lien
    (auch wenn eine Pfle­ge­fa­milie „zum Geld­ma­chen“ gegründet wurde)
  • Persön­liche Behand­lung in einer Pflegefamilie
  • Fehlende „liebe­volle Rück­mel­dungen“ könnten
    depres­siven Phasen / Verstim­mungen als Folge haben

Even­tu­elle Spät­folgen als psychisch kranke Lang­zeit­ar­beits­lose? Beispiel eines Arbeits­losen, dem ein Call­center-Job vermit­telt wurde und der nach eigener Schil­de­rung dort „sehr gelitten“ habe. „Die möglichen Sperr­fristen im Hinter­kopf haben mich fertig gemacht“. Es können dann Tendenzen zu Selbst­ver­let­zungen auftreten, um doch noch aus dem belas­tenden Job heraus­zu­kommen. Gefühle „exis­ten­zi­eller Bedrohung“ wurden dazu beschrieben.

In solchen Situa­tionen werde von armut­s­er­fah­renen Menschen nur sehr selten wirkliche Hilfe erfahren, manchmal durch „einfühl­sa­mere“ Sach­be­ar­beiter (die jederzeit uner­wartet wechseln können).

Daher müsse die Forderung gestellt werden:

Wir brauchen konkrete Ansprech­partner für behörd­lich „versorgte“ Menschen!

Eltern problem­be­las­teter Kinder

  • Besondere Problem­fälle: Aggres­sives Verhalten von Kindern
  • Aber auch Selbst­mord­ge­danken (bis hin zu ‑Versuchen) bei Kindern könnten im Extrem­fall in die Psych­ia­trie führen
  • In Verbin­dung mit Armuts-Problemen seien dann oft Depres­sionen bei den Eltern zu beobachten
  • Bei den Inter­views falle oft auf, dass man „den Menschen ihre Probleme oft nicht ansehe“
  • So könne die Armut z. Bsp. versteckt werden, indem Eltern Kindern eigene Zimmer einrichten, dazu aber dann selbst auf der Wohn­zimmer-Couch schlafen würden
  • Die Eltern würden auch oft eine „Schul­digen-Rolle“ einnehmen
  • Arzt-Odysseen“ – Aber keiner davon bietet wirkliche effektive Hilfen an
  • Tendenzen zur Vermei­dung von Förder­schulen: Sie werden als Vorstufe der Sonder­schule gefürchtet
  • Harte Abwä­gungen“: Wodurch kann der Stempel "beschei­nigte Behin­de­rung" des Kindes entstehen?
  • ADHS und Ritalin-Behand­lung (?) – Will die Familie die Neben­wir­kungen in Kauf nehmen?
  • Probleme können sich beim Übergang Kind > Pubertät > Jugend­zeit > Ausbil­dung noch verstärken

Forde­rungen aus den Forschungsergebnissen

Prof. Brett­dschneider stellte als Fazit einige „Schicksals“-Fragen:

Unser Sozi­al­statt – Ist das eine Hilfe?

  • Insbe­son­dere für Menschen mit Armutserfahrungen?
  • Oder produ­ziert er nur neue Ungleichheiten?

Wann ist der Sozi­al­staat hilfreich? – Wann nicht?

  • Das Grund­ge­setz und die daraus abge­lei­teten Sozi­al­ge­setz­bü­cher SGB II, SGB XI und SGB XII müssten 
  • Es gebe offenbar Raum für Weiter­ent­wick­lungen:
    Der Sozi­al­staat müsse dem Menschen mehr Raum für eigene Entschei­dungen lassen!
  • Ange­strebtes Ziel dabei: Eine freie Entfal­tung der indi­vi­du­ellen Persönlichkeit!

Was ist dafür zu tun?

Die Arbeit der Jobcenter müsse optimiert werden:

  • Probleme mit verlo­rener Unter­lagen dürften nicht toleriert werden
    (sie seien in Inter­views oft genannte Konfliktursachen!)
  • Es müsse eine bessere Vernet­zung von Jobcen­tern, Jugend­äm­tern und Bildungs­trä­gern geben
  • Verein­fa­chung von oft als kompli­ziert empfun­denen Abläufen
    (hier könnten Anker­per­sonen als Lotsen durch den Behörden-Dschungel hilfreich sein)
  • Arbeits­be­din­gungen und Ausstat­tung müssten in vielen Jobcen­tern verbes­sert werden

Abschlie­ßend stellte Prof. Brett­schneider die Frage:

Was kann den Menschen in Jobcen­tern hinter den Tresen helfen?

Hier sei ihm von vielen dort betreuten Menschen berichtet worden, dass oft viel zu wenig Personal viel zu viele „Kunden“ zu betreuen habe und zudem die Tendenz zu einem „Kaputt­sparen“ beob­achtet würde.

Aus dem Publikum kam noch die Frage nach der Praxis und Orga­ni­sa­tion seiner Forschungen:

Aufwändig war es!“, so beschrieb er es in Kurzform.

[Anmerkung der Redaktion:
Damit spielte Prof. Brett­schneider offen­sicht­lich auf die nur bedingte Offenheit des Systems „Umsetzung der SGBs in Behörden und Jobcen­tern“ an, das ja seit Anbeginn der „Agenda 2010“ in einem mehr oder weniger großen Span­nungs­ver­hältnis mit seinen betreuten „Kunden“ steht.
Die Erleb­nisse dieser „Kunden“ aus den letzten 16 Jahren könnten unserer Erfahrung nach etliche Bände eines „Sozi­al­dramas“ füllen, das aus „Betrof­fe­nen­sicht“ – vorsichtig ausge­drückt – als sehr frag­wür­diges Reform­werk in die Geschichte eingehen wird.
Wir fordern die neue Regie­rungs-Koalition in Gründung ernsthaft auf, dass sie den Ergeb­nissen der Forschungen von Prof. Brett­schneider und auch anderer Experten der bundes­deut­schen Armuts­for­schung und auch den Forde­rungen von Wohl­fahrts­ver­bänden deutlich mehr Gehör schenken muss, um die liegen geblie­benen Probleme einer immer schneller wach­senden Armuts­be­völ­ke­rung in unserem reichen Lande endlich effektiv zu begegnen!
Außerdem Es gilt, den Sozi­al­staat im Sinne einer wieder zu stär­kenden Sozialen Markt­wirt­schaft zu erhalten – unserer Meinung nach letzt­end­lich eine Entschei­dung für den sozialen Frieden im Lande und gegen eine Tendenz zum Aufbau von „Gated Commu­ni­ties“ jeder Art, um Reichtum vor dem Rest der ärmeren Staats­bürger zu „vertei­digen“.]



... zum Inhalt  Workshops: „Im Dialog mit der Politik“

Die etwa 70 Teil­neh­menden der Tagung trennten sich dazu in fünf Gruppen auf, die mit Mode­ra­tion und je einem der fünf Politiker*innen in getrennten Räumen die Leitfrage des Tages erörterten:

Was brauchst Du für ein besseres Leben?“

Die betei­ligten Politiker*innen:

  • MdL Anja Butschkau (SPD)
  • Claudia Midden­dorf (CDU)
  • MdB Markus Kurth (Bündnis 90 / Die Grünen)
  • Dr. Anja-Tina Pannes (FDP)
  • MdB Kathrin Vogler (DIE LINKE)

(… eine Stichwort-Übersicht zum Workshop mit Dr. Pannes findet sich in diesem Beitrag.)




... zum Inhalt  Mittags­pause, Kaffee und Kabarett

Nach der gemein­samen Mittags­pause mit leckeren Snacks gab es dann eine Kabarett-Einlage von Funke & Rüther mit sozi­al­kri­ti­schen Akzenten. Dazu entwi­ckelten Harald Funke und Jochen Rüther aus Münster ihre ganz eigene Analyse der bundes­deut­schen Vermögens-Torte, indem sie das Publikum entspre­chend auf- und einteilten.

Kurz­weilig erör­terten sie die Frage, ob „… alles im Leben nur eine Ware?“ sei, auch am Beispiel der berüch­tigten Steuer-CDs – ob es die denn auch wohl als LP oder viel­leicht Steuer-Single geben würde?

Mit einem Mate­ri­al­wert von etwa 1022,- Euro pro durch­schnitt­li­chem Menschen begaben sie sich dann auf die Suche nach der „Würdeeines Menschen und kamen dabei über Kant

Alles hat einen Wert, der Mensch aber hat eine Würde.

– Immanuel Kant

… zum Phänomen „Schufa-Eintrag“, der das Leben von immer mehr Bürger*innen mitbe­stimme und „Einen“ viel zu oft in den negativen Würde­be­reich abdränge!

Vom diagnos­ti­zierten Würde-Notstand ging es über den Pflege-Notstand in die Arbeits­welt, Die durch Burn-Out, Depres­sion und schlimms­ten­falls Selbst­mord­ge­danken – das alles aber alles recht locker und humo­ris­tisch aufbe­reitet von den zwei Wort­künst­lern vorge­tragen – zum heutigen „Armuts-Empfinden“ der(s) durch­schnitt­li­chen Bürgerin / Bürgers:

Früher sei „arm sein“ ja recht üblich gewesen. Heute müsse Armut wohl mehr vor der Umwelt verborgen werden, viel­leicht sei das Vorhaben "Täglich eine Minute vor dem Spiegel lächeln!" ja DAS Patent­re­zept, um aus der Armut heraus­zu­kommen, sich die Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft gesund zu lächeln, hin zum opti­mierten (opti­mis­tisch grin­senden?) Arbeit­nehmer, bevor es in ein Angst­grinsen übergehe.

Da sei es doch gut, dass es zumindest für manche Mitbürger*innen immer noch das famose Bonduelle-Gemüse gebe: „Erbse oder erbs'te nicht?“. Mit einem Seiten­hieb auf die Versor­gung von Kindern, für die sich Armut früher auch irgendwie anders angefühlt haben müsse? – klang dieser Kabarett-Teil dann passend mit dem „Ritalin-Lied“ aus.




... zum Inhalt  Podiumsgespräch

Hierzu war der Essener Bischof Franz Josef Overbeck zu den fünf Politiker*innen und zwei Moderator*innen hinzu­ge­kommen, um die Ergeb­nisse der Workshops zu besprechen.

Was haben wir aus den Gruppen(-Workshops) mitgenommen?

… war die Eingangs­frage der Podi­ums­dis­kus­sion. Allge­meiner Konsens war offenbar, dass die Würde des Menschen im System allzu oft auf der Strecke bleiben würde. Das müsse wohl als ein oft fehlendes Wahr­nehmen als Mitmensch und ein fehlendes „ernst genommen werden“ im Behör­den­alltag angesehen werden.

  • Was sei zur Abhilfe nötig?
  • Das Sozi­al­system ganz umgestalten?
  • … oder reiche es, das System doch nur durch Lost­sinnen / Lotsen durch­schau­barer zu machen?
  • Gebe es ein Wohnrecht auf eigenen Wohnraum?
  • Müsse „Das Recht auf eine eigene Wohnung haben“ in das Grund­ge­setz aufge­nommen werden?

Mögliche Forde­rugen

Weit­ge­hend Einigkeit herrschte mit diesen Forderungen:

  • Gesell­schaft­liche Teilhabe muss für alle Menschen sicher­ge­stellt werden!
  • Hilfen müssen bei den Menschen wirklich ankommen!
  • Die Gesell­schaft hat die Pflicht, Menschen in Not zu helfen!
  • Der Landes­woh­nungsbau muss deutlich erweitert werden!

Ergän­zende Meinungen

Dr. Anna-Tina Pannes (FPD) sprach die Komple­xität des Sozi­al­sys­tems an und fragte nach Möglich­keiten es zu verein­fa­chen und umzubauen. Eine Anlauf­stelle für „Kund*innen“ wäre wünschens­wert, die durch erfahrene Lots*innen unter­stützt werden sollten.

Dabei stelle sich auch die Frage, wie die „Würde erwach­sener Menschen“ beim Umgang mit Lots*innen nicht auf der Strecke bliebe.

Kathrin Vogler (DIE LINKE) stellte die Diagnose: Das „HARTZ-IV-System“ (ALG-II-System) ist nicht refor­mierbar! – Was kann danach kommen?

Wir dürften nicht hinnehmen, dass durch die Verbin­dung von Armut mit mangel­hafter Gesund­heits­vor­sorge arme Menschen etwa 10 Jahre früher sterben würden. Die ALG-II-Leis­tungen müssten dringend aufge­stockt werden insbe­son­dere für eine gute Lebensmittelversorgung.

Für Bischof Dr. Franz-Josef Oberbeck brachte die Themen Verkehr und Bildung zur Sprache: Auch arme Menschen müssten die Möglich­keit haben, einfach zu Arbeits- und Bildungs­stätten zu kommen, da sehe er aber heute syste­mi­sche Probleme. Er befür­wor­tete auch unter­stüt­zende Lots*innen-Systeme, sich besonders im Schul­be­reich schon bewährt hätten.

Er brachte auch noch die COVID-19-Krise zur Sprache, eine besondere Heraus­for­de­rung für arme Menschen, denen immer wieder Internet und moderne tech­ni­sche Ausstat­tung fehlen würde. Er sehe auch Probleme bei der Vertei­lung des Geldes in armen Familien und mahnte, auch hier bessere Stra­te­gien zu entwi­ckeln, die aus der Armut heraus­führen müssten.

Video­bei­trag

In einem sehens­werten Video von SkF und SKM zum Tag zur Besei­ti­gung der Armut kamen Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen und Menschen aus dem Hilfe- und Betreu­ungs­be­reich zu Wort:

Was brauchen Sie für dein besseres Leben?

  • Mehr Geld, um besser über die Runden zu kommen!
  • Was am meisten fehlt:
    - Struk­turen! – für den Alltag, eine vernünf­tige Arbeit
    - Nicht mehr auf die Hilfe der Familie ange­wiesen sein
    - Das eigene Leben gut orga­ni­sieren können
  • Was fehlt obdach­losen Menschen?
    - Aner­ken­nung, ein freund­li­ches Hallo!
    - Teilnahme an gesell­schaft­li­chen Aktivitäten
  • Wie können Menschen in Armut gestärkt werden?
    - Mit eigenen Wohnungen – mit einem Recht auf Wohnung!
    - Durch Bekämp­fung von Mobbing
  • Wie erreichen wir weniger Ausgren­zung?
    - Durch mehr soziale Unter­stüt­zung
    - Durch Wohnung, gute Gesund­heits­für­sorge und mehr soziale Kontakte

Konzepte der Parteien?

Das war die nächste Frage der Mode­rie­renden an die Podiumsrunde.

Dr. Anna-Tina Pannes (FPD) stellte ein mögliches Bürger­geld in Frage. Es gehe mehr darum, das System zu verein­fa­chen im Sinne von mehr direkten Hilfen für Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen bei deutlich weniger Büro­kratie.
Die Situation an Schulen müsse verbes­sert werden durch mehr Personal, mehr Sozi­al­ar­beiter und bessere Technik.

Für Anja Butschkau (MdL, SPD) müssten im Bereich Bildung mehr Bildungs-Lots*innen etabliert werden, besonders um Kinder besser zu fördern. Eine Kinder-Grund­si­che­rung jenseits der Sozi­al­leis­tungen sei über­fällig, die wirklich den Kindern zu gute kommen müsse. Im Bereich Wohnen müsse mehr miet­preis­ge­bun­dener Wohnraum geschaffen werden.

Claudia Midden­dorf (CDU) forderte, die Gesund­heits­ver­sor­gung für alle Menschen zu verbes­sern, gerade auch für Menschen ohne Kran­ken­ver­si­che­rung. Kinder, die in der (Vor-)Schule nicht gut zurecht kämen müssten besser gefördert werden. Schaffung von bezahl­barem Wohnraum und ausrei­chend barrie­re­freie Wohnungen seien wichtig. Es müsse weiterhin besondere Förde­rungen für Sonder­fälle wie z. Bsp. Ruhr­ge­biets­städte und ländliche Regionen geben, auch um jüngere Familien zu halten.

Markus Kurth (MdB, Bündnis90/Die Grünen) sah ein geplantes Bürger­geld als Ersatz für ALG-II/HARTZ-IV als möglichen Weg der Entbü­ro­kra­ti­sie­rung und mate­ri­ellen Verbes­se­rung für Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen. 446,- Euro Regelsatz-Grund­si­che­rung seien zu wenig. Besonders in den Bereichen Ernährung und Gesund­heit stelle sich die Fragen: Was ist ange­messen? Was ist möglich?
Er forderte mehr Befä­hi­gung und Stärkung arbeits­loser Menschen, besonders vor dem Hinter­grund unserer alternden Gesell­schaft und verstärktem Arbeits­kräf­te­mangel.
Wir dürfen keinen Teil der Gesell­schaft abschreiben!
Eine bloße Umeti­ket­tie­rung von ALG-II/HARTZT-IV könne nur „Frust bringen“ und die Poli­tik­ver­dros­sen­heit vergrößern.

Kathrin Vogler forderte für DIE LINKE einen Mindest­lohn von mindes­tens 12,- Euro und stellte dazu die Frage, wie der für alle Arbeit­nehmer dann auch sicher­ge­stellt werden könne – und das OHNE Schlupf­lö­cher!
Mit Hinweis auf das Kabarett-Thema „Reichtum“ müsse mehr Teilhabe einge­for­dert werden. Für DIE LINKE werde „Umver­tei­lung“ ein Thema bleiben, das könne die Oppo­si­tion schon jetzt versprechen!

Für Bischof Dr. Franz-Josef Oberbeck gelte es besonders die Bildung der Menschen zu verbes­sern. Dazu sei es auch nötig, die Versor­gung mit Tages­plätzen zur Kinder­be­treuung auszu­bauen und die Arbeits­welt insgesamt fami­li­en­freund­li­cher zu gestalten.
Gesund­heit – Fragen ausrei­chender Kran­ken­haus-Versor­gung und ‑Finan­zie­rung müssten beant­wortet werden, wie auch nach ange­mes­sener Pflege für arme und alte Menschen, nach besserer Gesund­heits­ver­sor­gung im Alter.
Das Wirken von Kirchen und ehren­amt­lich tätigen Menschen könne mehr Aner­ken­nung gebrau­chen. Es müsse auch kritisch gesehen werden, dass hier oft eigent­lich staat­liche Aufgaben geleistet würden.

Ergän­zungen aus dem Publikum

  • Betrof­fene“ Menschen sollten mehr angehört und beteiligt werden, besonders in Ausschüssen von Politik und Verwal­tung und das auf allen Ebenen
  • Beim Wohnungsbau müssten Sozi­al­woh­nungen in allen Lagen durch­ge­setzt werden
  • Die Miethöhen müssten bei ALG-II /bzw. seinem Nach­folger?) ange­messen angepasst werden
  • Regelsatz-Erhö­hungen müssten ange­messen erfolgen!
    – die vorge­se­hene Erhöhung Anfang 2022 um 2,- Euro für Kinder sei einfach skandalös!
  • Soziale Grund­rechte müssten verbind­lich formu­liert werden – ein Recht auf Wohnung und mehr
  • Die bestehenden ALG-II/HARTZ-IV.-Sanktionen gehörten abgeschafft!

Weitere Diskus­sion auf dem Podium

Kathrin Vogler (DIE LINKE) sah immer noch keinen wirk­li­chen Bruch mit dem stark kriti­sierten Sank­ti­ons­system bei ALG-II/HARTZ-IV. Ihre Diagnose war, dass der Bitt­steller-Status im Sozi­al­system offenbar erhalten bleiben solle! Das sei wirklich kein Zeichen von Aufbruch.
Es sei also weiterhin für Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen nötig, ihre Politiker „anzu­feuern“ wirkliche Reformen aufzu­legen und den Stimmen ihrer Wähler mehr Gehör zu schenken.
Ein Aufrüt­teln in Berlin werde auch mit der neuen Regierung weiterhin nötig sein!

Sie rate neuen Regierung, die bestehenden Rügen der UNO endlich einmal ernst zu nehmen und die „Egali­sie­rung“ unge­rechter Zugänge als Pflicht­auf­gabe anzusehen.

Dr. Anna-Tina Pannes (FPD) ergänzte zu Forde­rungen nach einer ALG-II-Erhöhung, dass dazu ja noch Ände­rungen mit den Koali­ti­ons­ver­hand­lungen kommen könnten. Eine Anpassung der Warenkorb-Grundlage wäre denkbar.
Die Methoden für mehr Bürger­be­tei­li­gung sollten wirklich verbes­sert werden, ein Mitmachen „Betrof­fener“ sollte gefördert werden. Dazu stelle sich auch die Frage, wie Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen in die Parla­mente kommen könnten.

Für Anja Butschkau (MdL, SPD) sei Parti­zi­pa­tion (und ihre Verbes­se­rung) ein wichtiges Thema.
Kinder­grund­si­che­rung sei nötig für ein besseres Leben in Würde.
Beim Bürger­geld seien Ände­rungen aktuell noch offen, Verbes­se­rungen vom bishe­rigen ALG-II-Regelsatz wären gut.

Claudia Midden­dorf (CDU) bemerkte, dass die Politik die Probleme sehe und es mehr Betei­li­gung von Bürger*innen geben sollte. Beim Mindest­lohn sah sie die Gewerk­schaften in der Pflicht, mehr für ihre Mitglieder zu tun.
Bei der Kran­ken­haus­pla­nungen sollten Schlie­ßungen vermieden werden. Bei sozi­al­po­li­ti­schen Themen müssten alle Betei­ligten mehr im Dialog bleiben, die Parteien würden schließ­lich für die Menschen arbeiten.

Heinz Georg Coenen (SKM) als Moderator sah im Bereich „Soziales“ schon recht unter­schied­liche Posi­tionen der Parteien. Besonders die Rolle der FDP mit Christian Lindner sei da wohl recht kritisch zu sehen, auch ihre Posi­tio­nie­rung zu Sank­tionen sei durchaus proble­ma­tisch – Menschen­würde gehe anders!
Hier gebe es auch den Wunsch nach mehr Betei­li­gung von unter­schied­li­chen Poli­ti­kern an Veran­stal­tungen wie dieser Tagung. Von Poli­ti­kern, die norma­ler­weise keine „sozialen“ Themen zu bear­beiten haben – Finanz­mi­nister zum Beispiel.

Bischof Dr. Franz-Josef Oberbeck befür­wor­tete darauf grund­sätz­lich eine streit­bare Ökonomie, die sich frage, was lassen die Struk­tur­be­din­gungen aktuell zu? Ein Beispiel seien Schlie­ßungen von Kran­ken­häu­sern – auch Kirchen als Arbeit­geber müssten zuletzt wirt­schaft­lich arbeiten und hätten Probleme mit merklich sinkenden Kirchen­steuer-Einnahmen.
Bei Kitas und der Jugend­bil­dung sehe er einen „Sanie­rungs­stau“, wo solle das nötige Geld herkommen?
Der Staat sollte nicht alles regeln – aber wo liegen die Grenzen für nicht­staat­liche „Substruk­turen“ in unserer Gesell­schaft?
Dazu komme noch die Frage nach der Stellung von Migrant*innen in unserer Gesell­schaft, einer Gruppe von mitt­ler­weile mehr als fünf Millionen Menschen.

Thema Teilen

Vom Mode­ra­to­ren­team vorge­stellt kam die Frage aus dem Publikum, ob das „Bürger­geld“ viel­leicht nur ein Vorwand seien könnte, um bisherige Bera­tungs­an­ge­bote einzuschränken?

  • Wie könne Themen wie Armut, soziale Ungleich­heit, etc. in die Gesell­schaft gebracht werden?
  • Wie lassen sich „poli­tik­ver­dros­sene“ Menschen wieder am Dialog beteiligen?
  • Arme Diözesen? – fort­lau­fende Kürzungen sind immer mehr die Regel
    - wie kann das bei Übernahme von immer mehr eigent­lich staat­li­cher Aufgaben gutgehen?
    - Mittel umschichten oder Erschlie­ßung neuer Mittel?

Aus dem Publikum kam eine Anregung zum Blick über die Grenze in die Nieder­lande: Wenn dort 1.200,- Euro Rente sicher­ge­stellt werden können – warum geht das nicht bei uns?

Schluss­runde

  • Große Heraus­for­de­rungen stehen an!
  • Mehr Aufgaben sind bei stagnie­renden oder sinkenden Finanzen absehbar
    - Wie sollen dabei Prio­ri­täten gesetzt werden?
    - Wie können Lösungen gefunden werden?

Kathrin Vogler (DIE LINKE) zitierte dazu Pesta­lozzi:

Wohl­tä­tig­keit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade!”

… und stellte dazu die Frage, ob es gut sei, dass einzelne Menschen immer mehr Macht anhäufen könnten, um sich selbst zu profi­lieren – oder ob dem nicht entge­gen­ge­wirkt werden sollte.
Eine Unter­grenze von 1.200,- Euro für Rentner und sozial Versorgte sollte möglich sein. Ein effek­tiver Mindest­lohn, eine Stärkung von Gewerk­schaften und die Abwehr von Angriffen auf Gewerk­schaften seien weitere wichtige zu fordernde Eckpunkte.

Dr. Anna-Tina Pannes (FPD) forderte mit mehr Parti­zi­pa­tion den Zugang zu Themen für Politiker zu verbes­sern und damit auch die Politik attrak­tiver zu machen im Sinne einer besseren Streit­kultur.
Das Parlament sei kein Theater zur Selbst­dar­stel­lung und sie sehe viele Rituale in der Politik kritisch, wenn sie eine Weiter­ent­wick­lung verhin­dern würden.

Das Mode­ra­toren-Team erinnerte noch an das Subsi­dia­ri­täts-Prinzip, das das Eintreten für Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen lang­fristig sichern sollte. Ein Bürger­geld, besonders für Kinder unab­hängig von Sozi­al­leis­tungen sei wünschens­wert. Eine ausrei­chende Finan­zie­rung von SkF und SKM müsse lang­fristig sicher­ge­stellt werden.

Bürger*innen sollten sich mehr zur Aufgabe machen, ihre Politiker*innen zu „bilden“ und mit allen ihren Politiker*innen mehr zu sprechen!

Markus Kurth (MdB, Bündnis90/Die Grünen) sah diese Auffor­de­rung ein wenig als ein „Einrennen offener Türen“ an. Zum Thema Teilen falle ihm bei mehr als 120.000,- Euro Abge­ord­ne­ten­ein­kommen auch schon einmal die Frage nach ange­mes­senen Abgaben für reichere Menschen ein, ob sie nicht höher sein müssten?

Das Mode­ra­toren-Team brachte dann noch das Thema „befris­tete Projekte“ zur Sprache, das eine konti­nu­ier­liche und verläss­liche Arbeit oft erschwere und wertvolle Ressourcen vergeude, wenn eigent­lich bewährte Projekte abrupt enden müssten.

Barm­her­zig­keit dürfe aber zuletzt profes­sio­nelle staat­liche Hilfen nicht ersetzen. Auch vor dem Hinter­grund, das Spender oft sehr unter­schied­liche Schwer­punkte setzen würden, wobei obdach­lose, wohnungs­lose und armut­s­er­fah­rene Menschen eher selten bedacht würden.




... zum Inhalt  Fazit und Verabschiedung

Zuletzt folgte eine Übergabe kleiner Präsente an die Politiker*innen, verbunden mit der Übergabe der Forde­rungen, die von Menschen mit Armut­s­er­fah­rungen schon vor der Veran­stal­tung ausge­ar­beitet wurden.

Nach einer zweiten Kabarett-Einlage von Funke & Rüther wurde alle Teil­neh­menden verab­schiedet mit dem Wunsch:

Armut“ zum Thema auf allen poli­ti­schen Ebenen zu machen!

(… ebenso im kirch­li­chen Bereich!)

Nach einigen Abschluss-Fotos endete diese Tagung dann gegen 16:00 Uhr.




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SKF & SKM - Katholisches Forum Dortmund - Was brauchst Du für ein besseres Leben? - 17. Oktober 2021
SKF & SKM – Katho­li­sches Forum Dortmund – Was brauchst Du für ein besseres Leben? – 17. Oktober 2021