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Aufrecht gegen die Rechten – Das Weser­beatz 2018

Kann Musik die Welt verändern? Viel­leicht ist ja diese Erwartung etwas zu hoch gegriffen, aber schön wäre es, wenn sie wenigs­tens etwas bewegt. Und noch mehr, wenn sie Menschen, die sie berührt, für eine tole­ran­tere Gesell­schaft bewegt. Genau 52 Wochen nach der Weser­beatz-Première in 2017 wagte Nienburg sich am zweiten August-Samstag an die nächste Ausgabe, und wollte – so das Motto, "Nazis aus dem Takt bringen".

Knappe 11 Stunden lang wurde hierfür ein Open Air-Programm, einge­bettet in einen volks­fest­ähn­li­chen Rahmen, präsen­tiert. Natürlich vornehm­lich zur Unter­hal­tung, ohne dabei das Motto aus dem Sinn zu verlieren. Recht so, denn gerade Musik schafft es immer wieder, Grenzen zu über­winden. Diesmal auch mit der Unter­stüt­zung der ersten Nien­burger Street Food Meile, die mit inter­na­tio­nalen Spezia­li­täten auch für kuli­na­ri­sche Vielfalt sorgte. Diesmal übrigens auf dem Nien­burger Festplatz.

Pünktlich um 13 Uhr wurde die Bühne frei­ge­geben. Zum Nien­burger Mittags­menu gab es ein baye­ri­sches Festmahl. Die 4 Münchner der Band Still Awake sorgten dafür, dass das Publikum die Band beinahe in Wide Awake umbenannt hätte, denn natürlich waren alle schon wach. Der weite Weg der ersten Band hat sich sowohl für die Süddeut­schen als auch für die Zuhörer gelohnt.

Mitreis­sender Metal-Opera-Sound, dazu eine geniale One-Woman-Show. Natürlich benötigte Timea die genialen Riffs ihrer männ­li­chen Bühnen­be­gleiter. Aber was die Lead­sän­gerin stimmlich und optisch von sich gab – die Bühnen­prä­senz scheint ihr im Blut zu liegen.

Es war ein rundum gelun­gener Auftakt für eine gelungene Veran­stal­tung. Der nächste Programm­punkt verstörte aber etliche Zuhörer. Andreas Wetzig alias Krawalli war als Comedian und Jongleur ange­kün­digt. Doch bei dieser Art von Humor blieb den meisten Besuchern der Nachtisch im Halse stecken. Es wurde zwar schon deutlich, dass Wetzig sich gegen rechtes Gedan­kengut posi­tio­nierte, aber muss das derartig hass­erfüllt grölend sein?

Zumindest darf darüber nach­ge­dacht werden, ob es bei einer Veran­stal­tung, die für mehr Toleranz unter­ein­ander wirbt, einen Auftritt braucht, bei dem der Prot­ago­nist mit  angeblich vergam­melten Kartof­feln rumwirft und sie zertram­pelt. Benötigt ein Humorist Ausflüge in eine hass­erfüllte, vulgäre und fäkale Sprache, obwohl sich Kinder und Jugend­liche an der Bühne aufhalten? Wirklich gelacht hat vor der Bühne keiner, Humor ist eben sowohl Ansichts- als auch Geschmackssache.

Nach diesem Auftritt kam zum Glück ein erhol­samer Gegensatz. Ein 23-jähriger Nien­burger betrat mit selbst­kom­po­nierten Texten die Bühne. Hinter Timnäht­kleider, ja er heißt wirklich so, verbirgt sich ein unkom­pli­zierter junger Mann mit klarer Aussage.

In seinen deutsch­spra­chigen Songs lebt er nach eigener Aussage ein wenig seine Welt aus. Seine Inhalte sind vor allem ehrlich, voll von Sehn­süchten, aber nicht ohne ein wenig Zynismus, über das, was ihm missfällt. Auch seine Heimat­stadt Nienburg blieb in einem Lied von Kritik nicht verschont. Übrigens – in einem gemein­samen Gespräch war er sehr offen und mitteolsam. Eines wollte der Künstler jedoch nicht verraten – seinen richtigen Namen. Nur soviel: Er heißt noch nicht mal Tim – Kompli­ment an einen selbst­be­wussten jungen Sänger.

Ein musi­ka­lisch hoch­be­gabtes Trio aus Oldenburg zeigte als nächstes seine ungeheure Vielfalt. Eingän­giger Sound mit punkigen Einflüßen, das ist das Salz der Suppe von Mosaikh. Die Besucher der Festi­val­wiese ließen sich mitreißen, die drei boten Songs, die auch ein wenig zum Träumen einluden.

Natürlich hatte jeder eine Meinung zu der Band. Was die einen für eine etwas zu statische Bühnen­per­for­mance nannten. bezeich­neten Freunde des beson­deren Klangs eine konzen­trierte Leistung. Für die Band, die sich ebenfalls gegen rechtes Gedan­kengut aussprach, war es auch die Gele­gen­heit, ihr aktuelles Album „oneiroi“ zu präsentieren.

Ein Trio kommt selten allein, dafür kommt nun aber eine klare Ansage gegen Rechts. Mosche & Co. nennen sich zwar Band ohne Anspruch, erheben aber selbigen, um klar auszu­spre­chen, was sie von menschen­ver­ach­tenden Thesen halten. Die Devise des 2000 gegrün­deten Trios aus Hannover: Nur mitein­ander macht die Party Spaß, dabei ist es doch egal, wer wie ist, woran er glaubt oder wo er herkommt.

Und beim Party machen sind die Jungs von der Leine ebenso deutlich. Den Alarm, den die drei auf der Bühne ausüben, dem kann sich so recht kaum einer entziehen. Dabei hatten sie keinen so leichten Stand, denn den Beginn ihres Auftritts hatte das Publikums nicht an der Bühne, sondern dem Regen auswei­chend unter Über­da­chungen mitge­feiert. Ihre Drei­vier­tel­stunde mit Anleihen aus Songs vom legen­dären Falco, vor allem aber ihr mitreis­sender Fun-Punk, war derartig kurz­weilig, dass selbst die Sonne wieder zum Vorschein kam.

Poetry Slam – so nannte sich der folgende Programm­punkt, und das ist eigent­lich ein Wett­be­werb. Norma­ler­weise sind es die Vortra­genden gewohnt, ihre selbst­ge­schrie­benen Texte bei Wett­kämpfen in einer gewissen Zeit rasant und mit Hang zur Selbst­dart­stel­lung vorzu­tragen. Die 21-jährige Elona Begiraj aus Verden hat bereits vor drei Jahren an so einer Veran­stal­tung teilgenommen.

Am Festival-Samstag hatte sie mehrere Gegner – und eigent­lich doch keinen. Die junge Frau, deren schönen Namen sie ihrem alba­ni­schen Vater zu verdanken hat, musste lediglich das immer zahl­rei­chere Publikum inhalt­lich über­zeugen. Ihre poeti­schen Zeilen waren geprägt davon, wie sehr wir alle von einer gren­zen­losen Freiheit profitieren.

Und, wer ehrlich gesagt, will sich hier­zu­lande schon ein Leben ohne Coffee to go, ohne Pizza und ohne Jeans vorstellen. Die Vorstel­lung von Fräulein Begiraj war gelungen. Zwei Vorträge, bei der sie auch ohne Wettkampf als Siegerin der Herzen angesehen werden darf.

Um 17 Uhr 15 sorgten Sarkast dafür, dass  der Boden des Fest­platzes politisch korrekt bebte. Vor sechs Jahren gegründet, seit fünf Jahren ein Quartett, betonte Lead­sänger Dan während der Songs immer wieder, wie wertvoll jede freie Meinungs­äu­ße­rung sei, so laut sie auch sein möge.

Seine Ansichten drückt er genauso stark aus wie seinen Hang zum konse­quenten Mitmachen. Dazu lud die aggres­sive und progres­sive Crustcore-Band dann auch mit Macht und Sound ein. Zum klas­si­schen Stage­diven hat es aber dann doch mangels Publi­kums­masse nicht ganz gereicht. Zum Stage-Rutschen (eine ganz neue Open-Air-Disziplin) schon.

Es geschah 1991 in Bremer­vörde, da gründeten drei Hamburger Schüler eine Punk­rock­band namens Expand. Das Trio, das vor zwei Jahren seine musi­ka­li­sche silberne Hochzeit feierte, trägt mitt­ler­weile Silber in den Haaren. Das Publikum schätzte dafür umso mehr die Routine der Rocker.

Mitt­ler­weile schätzen sie auch klas­si­schen Grunge, den sie in ihrem Sound eingebaut haben. Diese wuchtige Musik, so sagten sie, braucht aber melo­di­schen Gesang, sonst könne man so lange gar nicht als Band bestehen. Der gelungene Auftritt von Expand unter­strich dann durchaus die Qualität dieses Trios.

Das Weser­beatz 2018 in Nienburg drang kurz vor 19:00 Uhr stilis­tisch in ganz neue Bereiche vor. Denn mit Spezial K stand nun Hip Hop auf dem Programm. Nach sehr vielen Rock­ele­menten war es für die Freunde hand­ge­machter Musik sicher­lich erstmal eine Umge­wöh­nung, das zur akus­ti­schen Verstär­kung ein Laptop auf der Bühne stand. Da aber an diesem Tag auf der Festi­val­wiese die gegen­sei­tige Toleranz an erster Stelle stand, hatten die Aller­we­nigsten ein Problem damit.

Erst recht nicht, als sie die Botschaften des Nürn­ber­gers vernahmen. Seine Texte richteten sich auch gegen den Kapi­ta­lismus unserer Gesell­schaft, aber auch die Angst des täglichen Schei­terns. „Verliere nie den Mut und Hunger im Leben“, hieß es in einem seiner Songtexte. Seine Musik verstärkte er zum Teil mit sehr düsteren Beats, die seine Botschaften verdeut­lichten. Seine Teilnahme am Weser­beatz Festival erhöhte die Vielfalt, und auch das ist ja ein Thema der Veranstaltung.

Die Nieder­lande waren ja 2018 nicht bei der Fußball-WM vertreten, dafür aber beim Weser­beatz in Nienburg – und wie.

Zur Sand­männ­chen­zeit kamen aus Nijmegen Antillec­tual. Bei der Nähe zum närri­schen Nieder­rhein war man ein wenig auf Show einge­stellt, aber das Gezeigte übertraf alle Erwartungen.

Das Trio, das schon beim Festival in Visbek sich in bester Laune präsen­tierte, sorgte für beste Sams­tag­abend-Unter­hal­tung. Die Punkband sorgte für laut­starke, deftige Stimmung beim Partyvolk. Die musi­ka­li­sche Leistung war das eine, was aber Lead­sänger Toon auf der Bühne veran­stal­tete, riss auch den Letzten vom Garten­stuhl. Toon, der erst vor  vier Jahren zur Band gekommen ist, nutzte die komplette Bühnen­fläche für eine geniale und verrückte Show.

Als es gegen 21:00 Uhr auch an diesem August­abend so langsam dunkel wurde, ging für viele Fans des Rap das Bühnen­licht so richtig an. Schon seit Jahren engagiert sich Sookee gegen Homo­phobie und Sexismus in der Rapszene, sowie gegen Rassismus. Klischees liegen Nora Hantzsch, wie sie bürger­lich heißt, überhaupt nicht.

So vertritt sie lautstark ihre Meinung und war im März 2017 bereits mit ihrem achten Album „Mortem & Make-Up“ erstmals in den Top-100 der deutschen Charts vertreten. In ihren Songs wider­setzt sie sich gerne frau­en­feind­li­chen Thesen, die ihre Rapper­kol­legen gerne in bedenk­li­cher Form von sich geben. Deshalb trug sie dem Publikum ihre Rapmusik mit linken Texten um so enga­gierter vor und fand so viele begeis­terte Zuhörende.

Anschlie­ßend betrat die Bremer Alter­na­tive-Rock-Band ANNE.FÜR.SICH die Bühne, die noch richtig in den Start­lö­chern ihrer Karriere stecken. Nun ist der Musikstil gewiss nichts Neues. Unge­wöhn­lich neben ihrer eingän­gigen Melodik bei sehr harten Rhythmen war jedoch, gerade mit deutschen Texten eine begeis­terte Zuhö­rer­schar zu finden.

Das Quartett aus der Hanse­stadt um Lead­sänger Marian gibt zu, das Erfolg nur dann entstehen kann, wenn jeder zu 100% an das, was man auf der Bühne für das Publikum vorbringt, auch glaube. Die Zeit kann ganz schön schnell verfliegen, denn es ist viel passiert seit Oster­samstag – an jenem 31. März traten sie im Sulinger JOZZ auf. Und mit jedem weiteren Auftritt wächst nach unserem Eindruck bei dieser Band die Hörerschar.

Apropos Zeit – ANNE.FÜR.SICH waren beim Nien­burger Weser­beatz 2018 dann auch schon der finale Act.

Der Samstag  ging, und mit ihr die Veran­stalter, die Musiker sowie das Publikum. Und bald auch sämtliche Helfe­rinnen und Helfer, Stand­be­treiber und Orga­ni­sa­toren. Was geblieben ist, ist die Erkenntnis, das die Welt lebens­werter ohne Vorur­teile ist. Während der Umbau­pausen gab es Inter­views, u.a. mit Vertre­tern von ver.di, Antifa, MideA, der IG Metall, des DGB und vielen mehr. Nicht nur der rechte Hass auf Menschen aus anderen Kulturen bereitet den Initia­tiven Sorgen.

Mehrfach wurde betont, die Einzig­ar­tig­keit jedes einzelnen Menschen trage zur Viel­fäl­tig­keit unserer Gesell­schaft bei. Es gab in der Vergan­gen­heit des öfter einmal verbale oder tätliche Angriffe u. a. auch auf Homo­se­xu­elle oder Wohnungs­lose. Während des Weser­beatz  2018 wurde stets verdeut­licht, wie viel Spaß es macht, mit unter­schied­li­chen Menschen trotzdem eine Gemein­schaft zu bilden, um gemeinsam zu feiern. Wenn diese Botschaften die Besucher auf den Heimweg mit begleiten, dann hat sich das Festival doppelt gelohnt.