Am 28. Mai 2019 fand in Berlin der Workshop „Armut Macht Ohnmacht – Beteiligung“ statt, zu dem die Diakonie Deutschland nach Berlin eingeladen hatte. Michael David moderierte den Fachtag, zu dem er zahlreiche von Armut Betroffene begrüßen konnte.
Beispiele von „Microprojekten“
Doris Scheer von der Diakonie Schleswig Holstein stellte das Projekt Sempre vor, das als befristetes Projekt von der EU für die Baltic-Sea Region (Estland, Litauen, Lettland, Schweden, Finnland, Norddeutschland) aufgelegt worden war.
Idee des von der EU geförderten – und mittlerweile ausgelaufenen – Programms war die Unterstützung lokaler Microprojekte. Frau Scheer berichtete beispielhaft von der Nähkooperative Kläder & Form in Schweden. In dieser Nähstube würden einerseits Kleider umgeändert, aber dort würden z. Bsp. auch Gemüsenetze für Supermärkte in der Region als Ersatz für Plastikbeutel hergestellt.
Andere Microprojekte dabei waren Unterstützung für ein Tageszentrum für Behinderte in Lettland oder ein Projekt zur Herstellung von Stressbällen für eine Grundschule in Finnland. Doris Scheer hob hervor, dass das „Tun“ dabei entscheidend sei, so könnte die Bereitstellung von Räumen und Infrastruktur wie z. Bsp. Computer einen Anschub liefern, um etwas zu bewegen.
In Deutschland ist so auch das Microprojekt alldi.info entstanden, mit dem Alleinerziehende des jeweiligen Landkreises in Norddeutschland eine Möglichkeit zur Vernetzung erhielten. Ihr Ansatz dabei sei z. Bsp. Musikschulunterricht für bedürftige Kinder, Hilfe beim Antrag-Stellen bei Behörden, aber auch Ernährungprogramme und Überwindung sozialer Ausgrenzung.
Etwas zu bewegen sei keine Frage des „Gutmenschentum“, sondern etwas Alltägliches und kein ökonomischer Zwang. Als Vorbild verwies sie auch auf Paulo Freire und sein Motto „Perspektive verändern auf Augenhöhe“: „Nur wer lesen kann, der kann auch wählen“.
Daraus sei in Brasilien schon in den 60-iger Jahren ein groß angelegtes Alphabetisierungsprogramm entstanden, bei dem alle beteiligten Akteure soziale Ausgrenzung überwunden hätten.
Als weiteres Projekt stellte sich das Uslarer Forum Kinderarmut vor. Dieses Projekt fand bundesweit Aufmerksamkeit für seine besonders erfolgreiche Betroffenenarbeit:
Bei der Aktion „Jeder isst mit“ übernahm das Forum Kinderarmut die Kosten von Schulessen ohne bürokratische Anträge – wie beim Jobcenter üblich. Dabei haben zuletzt alle Akteure in der Region mitgemacht und jetzt solle dieses Projekt auch bundesweit umgesetzt werden.
Gruppenarbeit
Nach dem Mittagessen wurden drei Teams zur Gruppenarbeit gebildet. Beispielhaft wurde in einer Gruppe die Einrichtung von festen Anlaufpunkten in Städten erörtert, um armen Menschen eine Adresse für gemeinsame Treffen zu bieten. Dabei wäre eine Grundversorgung mit Telefon, Internet und Computern zum Texten und Recherchieren wünschenswert.
Auch eine Möglichkeit zu gelegentlichen Übernachtungen könnte dabei hilfreich sein, um akut wohnungslose Menschen zu beteiligen. Dr. Stefan Schneider vom Projekt Wohnungslosentreffen brachte dabei die Idee eines zentralen „Beteiligungshauses“ zur Sprache. Das wäre dann z. Bsp. auch ein geeigneter Treffpunkt regionaler Gruppen der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen (SWM), für die er sich seit etwa drei Jahren engagiert einsetzt.
Zuletzt zeigen wir hier noch eine Auswahl der Flipcharts, die in den Arbeitsguppen entstanden sind.
Der Workshop „Armut Macht Ohnmacht – Beteiligung“ endete zuletzt mit einer Abschlussrunde, in der die Ergebnisse der Gruppenarbeit vorgestellt wurden.
Fazit
Es war somit ein sehr produktives Treffen, bei denen einerseits interessante Erfahrungen aus dem Bereich Selbsthilfe und Selbstorganisation armer Menschen vorgestellt und nachvollziehbar gemacht wurden. Aber auch die Gruppenarbeit bot interessante Diskussionen und Möglichkeiten zur Ausarbeitung neuer Ideen. Wir würden uns freuen, wenn es künftig mehr solcher Veranstaltungen geben würde, deren Organisation und Gestaltung sicher auch aus den Reihen von direkt von Wohnungslosigkeit und Armut betroffenen Menschen bestritten werden könnte.
Mit dem abgewandelten Slogan „Armut Macht Veränderung“ können wir uns dazu noch viele Arbeitsfelder vorstellen, auf denen konkrete Verbesserungen für arme Menschen diskutiert und eingefordert werden könnten – um dann zuletzt auch durchgesetzt zu werden?