Die zwei Paragraphen lauten §16e und §16i. Nur die, die in den Genuss des neuen Regelinstrumentes des SGB II kommen, wissen, was sich genau dahinter verbirgt. Ende 2018 beschloss der Gesetzgeber nach wochenlangen Verhandlungen die Einführung eines neuen Paragraphen zum SGB II: Ab dem 1. Januar 2019 greift §16i als neue Ergänzung zum Teilhabechancengesetz (THCG). Im Unterschied zum älteren §16e, mit dem die Teilhabe am Arbeitsmarkt erleichtert werden sollte, soll §16i die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen nochmals verbessern.
Das Diakonische Werk in Niedersachsen hatte am 20. August 2019 in Hannover zu einer Veranstaltung eingeladen, um über erste Erfahrungen mit dem neuen Teilhabechancengesetz zu berichten. Die eingeladenen Vertreter von sozialen Verbänden, Verantwortlichen von Jobcentern und Wirtschaftsministerien sowie Nutznießer und Betroffene konnten dabei gemeinsam über das THCG diskutieren. Vielfach wurde von einer historischen Korrektur am Arbeitsmarkt gesprochen. Sicher ist, diese Form der Einbindung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt, und damit in die verstärkte soziale Teilhabe klingt auf den ersten Blick leicht revolutionär.
Doch was hat es mit dem §16i genau auf sich? Seit Jahresbeginn haben Arbeitgeber die Möglichkeit mit Langzeitarbeitslosen Menschen besonders geförderte Arbeitsverträge abzuschließen. Dabei werden erwerbsfähige Arbeitnehmer im Rahmen des SGB II vom Jobcenter mit umfangreichen Zuschüssen gefördert. Bezieher sind leistungsberechtigte Personen, die mit der Arbeitsaufnahme ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis begründen. Langzeitarbeitslose sollen auf diesem Weg nicht nur in den Arbeitsmarkt wieder integriert werden, die Vertragsunterzeichner versprechen sich zudem auch eine Sicherung im Bereich der Fachkraftnachfrage.
Dabei besteht durchaus die Absicht, dass nach Ablauf des geförderten Arbeitsvertrages der Arbeitgeber den einstigen Arbeitssuchenden dann unbefristet einstellt. Für den neuen Arbeitnehmer besteht der Vorteil darin, dass er sich in der geförderten Pause über einen längeren Zeitraum mit den speziellen Arbeitsprozessen wieder vertraut machen kann. Die durch §16i SGB II geförderten Arbeitsverträge führen auch zu Zahlungen sozialversicherungspflichtiger Abgaben wie z. Bsp. Kranken- und Rentenversicherungs-Beiträgen.
Bei der Veranstaltung wurden einerseits die Vorteile erläutert, die das neue Gesetz für Betroffene bieten kann, aber auch die Schwierigkeiten, die bei seiner Entstehung aufgetreten waren. Zum Auftakt benannte Ines Nößler von der Evangelischen Fachstelle für Arbeits- und Gesundheitsschutz (EFAS) die Rahmenbedingungen, die den Kern von §16i ausmachen. Sie erwähnte aber auch die Herausforderungen der Mitarbeiter in den Jobcentern, das Teilhabechancengesetz entsprechend umzusetzen.
Zu den Besonderheiten bei der Umsetzung des Gesetzes gehört laut Bernd Nothnick die Bereitstellung einer sogenannten Coachingstelle. Jedem Arbeitswilligen soll ein fachlicher Begleiter für den Wiedereinstieg zur Verfügung stehen, um die Arbeitsaufnahme zu erleichtern, so der Referatsleiter vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung. Frank Sänger von der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit bestärkte Nothnick in seinen Ausführungen. Sänger zeigte sich zufrieden über die bisherige Umsetzung.
Michael Stier erwähnte die positiven Aspekte des THCG. Der Geschäftsführer des Jobcenter der Region Hannover betonte, dass es für ALG II-Empfänger viel leichter geworden sei, an eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu kommen. Was verwunderlich während der Vorträge am Vormittag war, dass die Redner die bestehenden Lücken und Fallhöhen mit keinem Wort erwähnten. Sämtliche Redner zeigten sich zufrieden mit der jetzigen Situation und dem bestehenden THCG.
Das änderte sich nach der Mittagspause, als Frank Kruse mit seinem Team das Podium betrat. Der Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe Freistatt stellte fest, dass vor allem der lückenlose Nachweis von sechs Jahren Bezug von ALG-II-Leistungen nicht von allen Betroffenen geleistet werden könne. Gerade bei Wohnungslosen sei durch ständiges Umherziehen der Betroffenen ein durchgehender Nachweis, an welchen Orten Tagessätze oder andere Leistungen bezogen wurden, mitunter nur sehr schwierig oder einfach gar nicht möglich. Auch die Frage, was nach den ersten zwei Vertragsjahren geschehen solle, wurde aufgeworfen, da die aktuell geschlossenen Arbeitsverträge nur bis zu diesem Zeitpunkt ausgehandelt wurden.
Ein aktueller Bewohner aus Freistatt sah diese Lücken des neuen THCG ebenso. Im Unterschied zum anderen Podiumsteilnehmer habe er durch seine lange Zeit der Wohnungslosigkeit praktisch überhaupt keine Chance, ebenfalls einen solchen Vertrag zu erhalten. Michael Stier gab zu, dass es tatsächlich Nachverhandlungsbedarf beim THCG gäbe. Stier, der bei den Verhandlungen mitgestritten hatte, forderte nach seinen Worten einen Leistungsbezugsnachweis von vier Jahren.
Den Abschluss der Fachtagung bestritt zum einen die Geschäftsführerin der EFAS, Katrin Hogh, die von den Teilnehmern und Zuhörern Ideen sammelte für Impulse, die für die Zukunft zu einer Verbesserung des THCG führen könnten. Vornehmlich sollten die Ideen für weitere Branchen und Arbeitszweige aufgezeigt werden. Zuletzt beendet wurde der Fachtag durch ein Referat von Silke Schrader vom Diakonischen Werk in Niedersachsen, in der sie arbeitsrechtliche Impulse zur Umsetzung von §16i aufzeigte.
Der Fachtag zeigte, dass mit dem neuen Teilhabechancengesetz eine verbesserte Förderung von Langzeitarbeitslosen möglich wird. Gleichzeitig muss aber insbesondere der Nachweis von 6 Jahren Leistungsbezug kritisiert werden, durch den z. Bsp. viele wohnungslose oder gar obdachlose Menschen von dieser Förderung ausgeschlossen werden.
Wir empfehlen dem Gesetzgeber deshalb eine Überarbeitung der aktuellen Zugangsbedingungen für eine Förderung nach §16i SGB II, um bisher ausgeschlossene Gruppen offensichtlich benachteiligter Menschen ebenfalls über diese Maßnahmen zu fördern.
Ein Lehrer würde die verantwortlichen Politiker in solch einem Falle wohl zu einem Nachsitzen einladen.