"Es ist Donnerstag, der 14. Mai 2020. Die THW Kiel feiert nach dem Spiel bei der MT Melsungen ihren 21. Meistertitel in der Handball-Bundesliga." Und damit wieder zurück aus der Zukunft. Noch ist es natürlich nicht soweit. Aber vieles deutet daraufhin, dass der Rekordmeister in knapp zweieinhalb Monaten seinen Trophäenschrank weiter auffüllen darf. Lediglich der Nachbar, der Lokalrivale und amtierende Meister aus Flensburg schnuppert noch an der Titelverteidigung. Bei zwei Punkten Vorsprung und einem Spiel zusätzlich in der Hinterhand spricht vieles für festliche Kieler Wochen im Wonnemonat.
So sah der Tabellenstand am Dienstagabend aus. Und leider, aus Sicht etlicher ostwestfälischer Handball-Fans, sah es 24 Stunden später immer noch so aus. Auch die GWD Minden konnte den permanenten Siegeszug der "Zebras" nicht stoppen. Am Ende gewannen die Schwarz-Weißen aus Schleswig-Holsteins Hauptstadt mit 29:26. Verdient – und jeder, der zuvor auf einem Wettbüro richtig getippt hatte, kam beim Gewinnabholen nicht viel reicher raus als beim Einsatz. Leider spiegelt der Blick auf das Ergebnis nicht wieder, wieviel Arbeit der Tabellenführer investieren musste, um die zwei Punkte Richtung Ostsee mitzunehmen.
Vor dem Spiel herrschte beim Grün-Weißen Anhang Optimismus bzw. pure Realität, was die Wünsche und Hoffnungen bezüglich des Spielausgangs in Lübbecke angeht, dem dritten in der Merkur-Halle seit Schließung der KAMPA-Halle. Denn vor knapp 2.700 Zuschauern duellierte sich der Tabellenführer aus dem hohen Norden mit dem Tabellen-15ten. Allerdings, seit sich Dankersen auf neuem Terrain häuslich eingerichtet hat, fehlt es an der Gastfreundschaft in dem Sinne, dem Gegner auch die Punkte zu überlassen. Nach Göppingen bekamen auch die Berliner Füchse, einer der Verfolger Kiels, das neue GWD-Heimatgefühl zu spüren, beide Teams traten die Heimfahrt mit 0 Punkten an.
Aber der THW Kiel? Lässt er im Meisterschaftsrennen ebenfalls Gastgeschenke da? Leider nur fast, dafür ließ er dem gegnerischen Anhang lange Zeit in dem Glauben, die GWD könne den Gast auf dem Weg zur Goldmedaille zum Stolpern zu bringen. Der Wunsch für eine Sensation war in der Tat greifbar, denn Minden fingerte eine Halbzeit und ein bisschen mehr an den zwei Punkten. Das Team beackerte den eventuellen kommenden Meister, und erlaubte Kiel in der 40. Minute erstmals in Führung zu gehen.
Die Vision, auch gegen die THW im neuen Zuhause in Lübbecke schadlos zu bleiben, war also kein Traum. Besonders in der ersten Hälfte war nicht zu erkennen, welches Team 14 Plätze höher bzw. 25. Punkte mehr auf dem Konto hat. Der neue Grün-Weiße 2020er Geist erwachte auch hier und die GWD führte stellenweise mit drei Treffern. Zur Pause stand es 17:16, und zu diesem Zeitpunkt sicher nicht unverdient.
Die erste halbe Stunde wirkte in Halbzeit Zwei nach. Es schien, als habe sich das GWD-Team ein wenig verausgabt. Zwar erzielten sie nach der Pause noch den Treffer zum 18:16, von nun an sollten aber 17 Minuten verstreichen, ehe zum 19. Mal eingenetzt wurde. Es war die Phase, in dem die Gäste anfingen, die Muskeln spielen zu lassen, und man den wahren Grund erkannte, um welches Saisonziel sie ursprünglich auch hier mitspielen wollten. Trainer Frank Carstens räumte nach dem Duell ein, dass dem GWD-Team nicht an das Niveau des Gegners ranreichen konnte – aber mit dem Gezeigten war er mehr als zufrieden.
Das darf nicht nur er, denn 2.657 Zuschauer waren Zeuge zweier Teams deren Zielsetzungen nicht unterschiedlicher nicht sein konnten. Sollten die Zebras sich am 14. Mai im hessischen Melsungen tatsächlich die Krone aufsetzen, so ist es wenigstens kein geschenkter Triumph. Bei der GWD hoffen dagegen alle, dass sich die Heimleistung 2020 allmählich auch auf die Auswärtsaufgaben auswirken. Vor dem Kellerduell gegen die TVB Stuttgart am 22. März wollen die Ostwestfalen ein Ausrufezeichen in Balingen setzen. Beide Duelle gegen die schwäbischen Teams, so Manager Frank von Behren, zählen bei siegreichen Ausgang doppelt. Gepaart mit der jüngsten Leistung blüht dann hoffentlich nicht nur der Frühling auf.