titelbild

Kiitos“ an Doktor Euro­vi­sion – ESC and Eat II

174 Tage – so lange mussten hungrige Fans des Euro­vi­sion Song Contests bzw. Freunde der beson­deren inter­na­tio­nalen Küche warten, ehe Doktor Euro­vi­sion alias ESC-Experte Dr. Irving Wolther aus seinem Büro in Hannover wieder einen Gour­met­tempel verwan­delte. Am vergan­genen Freitag trafen sich zu Freunde gewor­de­nene Gäste in Nieder­sachsens Landes­haupt­stadt zum 2. Teil der kulturell-genuss­vollen Reihe ESC and Eat zusammen. CoVid-19 und seine Folgen verhin­derten Mitte Januar ein enges Zusam­men­treffen; der Appetit der Teil­nehmer wuchs um über 2 Monate an. Trotz der aktuellen Locke­rungen landes­weit ging Dr. Wolther auf Nummer sicher, dass sich zur gemüt­li­chen Runde nur Geboos­terte unt tages­ak­tuell Getestete einfanden.

Anfang Oktober war Portugal, seine Kultur und seine Küche das Thema. Mit Teil II wurde die Rundreise an der entge­gen­ge­setzten Seite des Konti­nents fort­ge­setzt, es ging nach Finnland. Direkt zu Beginn wurde die Frage gestellt, welche Vorstel­lungen jeder zu dem nord­eu­ro­päi­schen Land hat. Als Antworten gab es wie selbst­ver­ständ­lich jede Menge klischee­haf­tige Antworten wie Land der über 1.000 Seen, Sauna­ri­tuale sowie kalte Winter und erfolg­reiche Winter­sportler. Viel­leicht würden Sie ähnlich antworten. Aber Hand aufs Herz – was fällt Ihnen zum Thema Essen und Trinken in Finnland ein? Und vor allem – haben Sie einmal typisch finnische Rezepte ausprobiert?

Wer jetzt zuerst an Fisch­ge­richte und Wild­spe­zi­al­tiäten denkt, liegt sicher­lich nicht falsch damit, doch der Gastgeber machte sich die Aufgabe noch heraus­for­dender, und setzte auf die vege­ta­ri­sche Küche Suomis. Vorspeise, Hauptgang, Dessert und dazu noch Kaffee und Kuchen auf finnisch. Das Menü aller­dings stand nicht verzehr­be­reit auf dem Tisch, sondern die Gäste durften zusammen mit Dr. Wolther die Gerichte zube­reiten. Und um die ohnehin schon gute Stimmung auch in der Küche zu perfek­tio­nieren, wurde vor der Arbeit ange­stoßen; Sekt kombi­niert mit Lapponia, einem Molte­bee­ren­likör. Molte­beeren sind eine Deli­ka­tesse, die einem südlich von Finnland Lebenden ein arkti­sches Lebens­ge­fühl vermit­teln soll. Unter­halten wurde die Gemein­schaft von Musik der finni­schen Song Contest-Geschichte, die im Jahr 1961 begonnen hat.

Keiner der Anwe­senden hat je im Leben selbst Käse herge­stellt. Die Première gab es für einige beim ESC and Eat II, denn zu dem Menü durfte ein echter Leipä­ju­usto, ein Brotkäse nicht fehlen. In Hannover wurde er angerührt, und original getreu zunächst in einem Tuch befüllt. Nachdem der Käse von Dr. Wolter nicht nur höchst­per­sön­lich ange­schnitten wurde, um ihn auf faszi­e­nie­rende Weise zum Schwingen zu bringen, wurde das Machwerk natürlich auch gebacken. In Finnland selbt ist es neben dieser Form nicht unüblich, dass der Leipä­ju­usto mitunter auch gegrillt wird.

Auch im Norden Europas gibt es Vorspeisen; Kesä­keitto ist eine Sommer­suppe, die an diesem Märzabend Appetit auf mehr machte. Rein äußerlich fällt die Gemü­se­suppe bestehend aus Erbsen, Mohrrüben und Spinat durch ihre Sehmig­keit auf, die wiederum durch das Hinzu­fügen von Milch und Sahne zu einer beson­deren Deli­ka­tesse wird. Die besondere Würze bekommt die Suppe jedoch dadurch, in dem man den Teller­boden, bevor man ihn befüllt, mit Krabben oder Garnelen bedeckt. Karja­lan­pi­i­rakat, also kare­li­sche Piroggen mit einer eigens herge­stellten Eibutter bzw. Munavoi, wie der Finne sagt, gab es ergänzend dazu.

Zu allen Gerichten passt die Hyytelö, eine Molte­bee­ren­kon­fi­türe, die pur sich als geschmack­lich sehr eigen­sinnig zeigt. In Kombi­na­tion mit Roggen­brot peppt sie es wieder auf. Kaffee und Kuchen zur Geis­ter­stunde dürfte selbst in Finnland, einem Land, in dem es im Winter schon zur nach­mit­täg­li­chen Zeit sich für die Nacht eindun­kelt, unge­wöhn­lich sein. Finni­sches Gebäck ist häufig weich, allerdigs mit wenig Kalo­rien­feind­li­chen Zutaten gebacken. Vor dem Genuß wurde auch in Hannover, wie in Finnland üblich, der Kuchen mit Zucker bestreut, anschlie­ßend mit flüssiger Sahne übergossen.

Natürlich wird im Norden Europas gerne mal ein Bier getrunken; für den ESC and Eat-Abend wurde der Gers­ten­saft extra aus Finnland geliefert. "Lapin Kulta"gab es ursprüng­lich nicht mehr, doch durch zwei Fusionen kehrte das Getränk wieder zu seinem ursprüng­li­chen Namen zurück.  Das Bier hatte für die Nicht­finnen einen außer­ge­wöhn­lich süffigen Geschmack, dass es bei den meisten nicht bei einem bleiben konnte. Der Abend wurde deswegen aber nicht unseriös. Im Gegenteil, neben dem gemein­samen Gaumen­schmaus gab es viel kultu­relles rund um Finnland. Dem Thema ange­messen in erster Linie natürlich Finnland und der Euro­vi­sion Song Contest.

Die ESC-Bilanz der Nord­eu­ro­päer sieht insgesamt etwas mau aus. 1973 fuhr Marion Rung mit "Tom, Tom, Tom" Platz 6 ein. 33 Jahre sollte es das beste Resultat des Landes sein. Als viele im Glauben waren, finnische Beiträge flößen keinen Schrecken ein, bewiesen sie 2006 genau das Gegenteil. Mit ihren Mons­ter­ro­ckern Lordi setzte das Land auf die Geheim­waffe Main­stream­rock, und verlegten Halloween kurzer­hand ins früh­ligs­hafte Athen, und von dort aus in ganz Europa. Zwar versuchte Finnland es noch einige Male mit harten Songs, 2008 gar mit Heavy Metal, aber die Ausbeute war danach genauso erfolglos wie in den Jahren vor Lordi. Erst im vergan­genen Jahr in Rotterdam wurde mit Blind Channel wenigs­tens Platz 6 erreicht, und damit erstmals seit 2006 wieder ein TopTen-Platz. Rasmus werden die Rock­ge­schichte Finnlands beim dies­jährihgen ESC in Turin am 12. Mai im 2. Semi­fi­nale  fortsetzen.

Ein Grund für die lang­jäh­rige Erfolg­lo­sig­keit in frühen Jahren mag sicher­lich auch der landes­sprach­liche Nachteil gewesen sein. Denn die Künstler Finnlands sind beileibe keine schwä­cheren Inter­preten, als die Kandi­daten der anderen Nationen. Aber die finnische Sprache klingt nun einmal außerhalb des Landes für viele niedlich bis exotisch, und nicht bei jedem kommt das als Botschaft entspre­chend an, was das Lied eigent­lich vermit­teln will. Viel­leicht auch aus diesem Grund gab es in Hannover beim ESC and Eat auch die Chance, sich der finni­schen Grammatik zu nähern. Satz­aufbau, Wörter­bil­dungen, und schluss­end­lich – Karaōke. Natürlich auf finnisch.: Zum Mitsingen gab es daher nur den Text von "Työlki ellää", jenem Song, mit dem das weibliche Folklore-Duett von Kuun­kuis­kaajat 2010 vergeb­lich sein Glück suchte.

Eine Party kann so lehrreich sein. Dr. Irving Wolther kann mit dieser Methode gerne Maßstäbe setzen. Bei ESC and Eat erfahren die Gäste vieles über andere Kulturen, und sie haben jede Menge Spaß dabei. Das ist genau der raffi­nierte Zündstoff, mit dem auch der ESC seit 1956 funk­tio­niert. Für ESC and Eat Teil 3 braucht der Doktor Euro­vi­sion aller­dings keinen Zündstoff, aber dafür wieder Rezepte zum Verlieben. Wohin die kuli­na­ri­sche Reise im Herbst geht, darüber hüllt sich Deutsch­lands ESC-Experte Nr. 1 noch in Schweigen – das erhöht auf jeden Fall den Über­ra­schungs­ef­fekt. Für den genuß­vollen Trip nach Suomi sagen wir "Kiitos"; also genau das, wenn ein Finne sich in Landes­sprache bedankt.

Fotos & Text.: Hari