Housing First und Akti­ons­bündnis – Bremens Kampf gegen die Armut

Lange haben wir in der Redaktion überlegt, sollen wir die beiden Aktionen der vergan­genen Woche separat behandeln, oder bekommt jede Bewegung ihren eigenen Artikel. Warum trennen? Denn letzt­end­lich  ist das Modell­pro­jekt Housing First Bremer ja auch das Resultat des Einsatzes des Bünd­nisses Menschen­recht auf Wohnen. Beide Orga­ni­sa­tionen verbindet eine sehr enge Kommu­ni­ka­tion, also genau das, was aktuell so dringend benötigt wird.

Am 8. und am 9. September veran­stal­tete Housing First Bremen einen auf zwei Tage ausge­dehnten Akti­onstag. Als in der Bremer Kunst­halle (dem Veran­stal­tungsort des Treffens) die Tagung zu Ende ging, begannen im DGB-Haus die Feier­lich­keiten zum zehn­jäh­rigen Bestehen des Akti­ons­bünd­nisses Menschen­recht auf Wohnen.

Bei der anschlie­ßenden Kund­ge­bung direkt vor dem Haupt­bahnhof trafen sich beide Orga­ni­sa­tionen gezielt wieder. Warum auch nicht, denn schließ­lich treffen die Ziele beider Grup­pie­rungen den Kern dessen, weshalb es sie gibt.

Fach­ta­gung Housing First

Im Kern feierte auch Housing First ein Jubiläum; also nicht Housing First direkt, sondern die Ursprungs­or­ga­ni­sa­tion. Die Wohnungs­hilfe Bremen e.V. gibt es seit 1982. Seit dem Herbst des vergan­genen Jahres setzen sich die Mitar­bei­tenden auch im Träger­ver­bund Housing First ein. So entstand das Projekt Housing First Bremen, das immer mehr wohnungs­losen Menschen  in Bremen ohne büro­kra­ti­schen Hinter­grund und Aufwand ein neues Obdach verschaffen will, was innerhalb des vergan­genen Jahres schon 85 mal gelungen ist.

Das Prinzip Housing First hat sich also auch aus Sicht des Bremer Projekts bewährt. Vorbilder wie Finnland sowie Öster­reichs Haupt­stadt Wien wenden Housing First schon länger an, und das mit großem Erfolg. Mitt­ler­weile gibt es weitere euro­päi­sche Staaten, die sich trauen, wohnungs­losen Menschen wieder vorrangig ein eigenes Zuhause zu geben. Unter anderem auch Deutsch­land. Der Unter­schied zu Finnland und Öster­reich ist jedoch, dass in diesen Ländern Vereine das Projekt mit eigenem Bau von bezahl­baren Wohnungen unter­stützen. Dagegen läuft Housing First in Berlin aktuell eher enttäu­schend, denn in drei Jahren fand sich bisher kein Koope­ra­ti­ons­partner, der die Bundes­haupt­stadt bei der Schaffung neuer Wohnungen unterstützte.

Wie notwendig es in unserem Land ist, nach Finnland zu schauen, zeigte sich bei der Fach­ta­gung in Bremen. Die Y‑Foundation – bereits 1985 gegründet – zählt mitt­ler­weile zu einem der größeren Wohnungs­an­bieter in Finnland.

Hier gelang es, bei der Unter­brin­gung von obdach- und wohnungs­losen Menschen die Betreuung so zu inten­si­vieren, dass auch nach zwei Jahren etwa 80% die betreuten Menschen immer noch in ihren Wohnungen unter­ge­bracht waren. Dadurch verrin­gerte sich auch die Zahl der Unter­brin­gungen in Notun­ter­künfte erheblich, was für Finnland im Bereich Wohnungs­lo­sen­hilfe insgesamt zu spürbar gerin­geren Steu­er­be­las­tungen führte.

In Bremen erklärte sich Frau Dr. Saija Turunen, Research Managerin von der finni­schen Y‑Foundation bereit, von diesem Model zu erzählen, wenn auch "nur" mit einer Video­schal­tung nach Oslo, wo sich Frau Turunen aktuell aufhielt. Stolz konnte die Managerin dem Bremer Publikum erklären, dass Finnland die einzige Nation innerhalb der EU ist, die die Zahl der wohnungs­losen Menschen innerhalb der letzten Jahre sehr deutlich reduziert habe mit Hilfe ihres Projekts. In den letzten 35 Jahren des Bestehens der Y‑Foundation sank jeden­falls die Zahl wohnungs­loser Menschen in Finnland von 18.000 auf nur noch knapp 2.000.

Sollte oder vielmehr muss der Rest Europas sich das nicht zum Vorbild nehmen? – das fragen wir uns ange­sichts dieser Zahlen.

Freilich, so einfach machen es die Politiker und Behörden dem selbigen Vorhaben hier­zu­lande den Enga­gierten nicht. Bremens Orga­ni­sa­tionen sind zwar schon gut vernetzt, aber gerade von Regie­rungs­seite wünscht man sich hier etwas mehr Mut, gerade, wenn man solche Resultate anderswo sieht.

In Bremen gab es zusätz­lich noch eine gut besetzte Podi­ums­dis­kus­sion, ein Netz­werk­puzzle, sowie weitere Vortrags­reihen, u.a. von Prof. Dr. Volker Busch-Geertsema von der GISS e. V. Bremen, der präzise Finan­zie­rungs­mo­delle in Housing First aufzeigte, damit solche Projekt gelingen könnten.

10 Jahre Akti­ons­bündnis Menschen­recht auf Wohnen

Unmit­telbar nach Ende des zweiten Akti­ons­tages trafen sich im DGB-Haus die Mitglieder des Akti­ons­bünd­nisses. Wer an diesem Tag einmal quer durch den kompletten Raum spaziert e, wurde begrüßt von geschicht­li­chen Stell­wänden, auf denen die Chronik seit 2012 aufge­zeigt wurde.

So wurde das zehn­jäh­rige Bestehen des Bünd­nisses ein wenig gefeiert, alle Mitglieder waren sich jedoch der noch nötigen Anstren­gungen bewusst, um die ernste Wohnungsk­riese insgesamt und im beson­deren für arme Menschen anzugehen. Diese Kriese spitzt sich aber offenbar durch die aktuelle Infla­ti­ons­rate und die ausufernden Ener­gie­kosten noch weiter zu.

Das sieht nach sehr viel Arbeit für Kommunen, Land und Bundes­re­gie­rung aus, die allesamt offenbar deutlich mehr für Angebote eines bezahl­baren Wohnens für aller Bundes­bürger tun müssen!

Dessen war sich auch der promi­nen­teste Redner der Stadt bewusst. Dem Akti­ons­bündnis war es gelungen, den Bremer Bürger­meister und Präsident des Bremer Senats, Andreas Boven­schulte einzu­laden. Selbiger wünscht sich mehr Aufschrei von Orga­ni­sa­tionen und Mitmen­schen innerhalb Bremens, auch wenn er selbst und seine Senats­mit­glieder als Objekts­ziel herhalten müssten.

Ob die Politik etwas bewegt, bleibt abzu­warten. Wichtig ist jedoch, dass alle Politiker:innen die Sorgen und Probleme ihrer Bürger:innen ernst nehmen müssen. Dann bleibt zu hoffen, dass auch im Dialog besonders mit Menschen, die von Armut und Wohnungs­lo­sig­keit betroffen sind, tragbare Lösungen für eine lebens­werte Zukunft unserer Gesell­schaft gefunden werden.

Apropos, bewegen.: Gegen 16:00 Uhr verließen die Mitglieder das Gewerk­schafts­ge­bäude, um vor dem Haupt­bahnhof eine Kund­ge­bung abzu­halten. Circa 100 Menschen nahmen daran teil, und in den Gesich­tern einiger Passanten und Reisenden war abzulesen, welche Ernst­haf­tig­keit aktuell die Infla­ti­ons­krise auslöst, die ja mitt­ler­weile immer mehr Menschen beein­flusst. Bedau­er­li­cher­weise verhin­derte das Regen­wetter eine größere Menschen­menge, viele verfolgten die Kund­ge­bung lieber unter der Über­da­chung am Bahnhof. Dafür war die Location passend gewählt, denn Obdach­lose und Wohnungs­lose sind ständig Reisende.

Fazit

Auch wenn das Akti­ons­bündnis die Feier nicht feiern wollte, sondern lediglich begangen hat – in etwas mehr als sieben Jahren haben (wenn es nach dem Vorhaben der Euro­päi­schen Union geht) alle Menschen in den EU-Staaten einen Grund zur Freude.:

Brüssel hat vorge­geben, Wohnungs- und Obdach­lo­sig­keit bis zum Jahr 2030 in Europa zu beenden. Sollte das gelingen – auch wenn der Plan, wie das gelingen kann, noch nicht konkret vorliegt – dieses Ziel zu erreichen, dann wird das Bündnis als solches viel­leicht nicht mehr notwendig sein.

Es sieht aber wohl eher nach einer möglichen Bündnis-Feier in 2032 aus, wenn viel­leicht zum 20-jährigen Jubiläum mehr Grund zum Feiern bestehen könnte.