ARD/NDR EUROVISION SONG CONTEST 2023, "Unser Lied für Liverpool", am Freitag (03.03.23) um 22:20 Uhr im ERSTEN.

Unser Lied für Liverpool

Die deutsche Vorent­schei­dung zum Euro­vi­sion Song Contest 2023

Frei­tag­abend, der 3. März 2023 – wir sind mit insgesamt 4 Mann unterwegs durch Köln, auf dem Weg zu den MMC-Studios. Während der Fahrt mit insgesamt 4 ESC-Experten der weltweit größten und bedeu­tendsten Musikshow kommt eine witzige Unter­hal­tung zustande. In diesem Gespräch werden die Songtitel der deutschen ESC-Beiträge eingebaut, die in diesem Jahr einen runden Geburtstag haben: „Marcel“ von Heidi Brühl (1963), „Junger Tag“ von Gitte (1973), „Rücksicht“ von Hoffmann & Hoffmann (1983), „Viel zu weit“ von der Münchener Freiheit (1993), „Let´s Get Happy“ von Lou (2003) sowie „Glorious“ von Cascada (2013). „Blood and Glitter“ von der Hamburger Band Lord Of The Lost fehlte freilich, denn der deutsche Vorent­scheid stand ja erst noch bevor.

Fünf Stunden später und etlicher Gold­re­gen­kon­fetti später war es Gewiss­heit: Die Hardrock-Band reiht sich nun in die Liste der Vertreter ein, in der bereits Musik­größen wie  Mary Roos, Lale Andersen, Lena Valaitis und die No Angels notiert sind. Dark-Rock statt „Ein bißchen Frieden“ oder „Ein Hoch der Liebe“. Doch nun ringt sich Musik-Deutsch­land in den nächsten Wochen bis zum 13. Mai mit der Frage durch – haben Lord Of The Lost in Liverpool überhaupt eine Chance? Selbst­ver­ständ­lich: genauso wie Skandi-Pop „Made in Sweden“ à la Mans Zelmerlöw, wie Fado und Jazz von Salvador Sobral aus Portugal oder Folk-Rap vom Kalush Orchestra aus der Ukraine im vergan­genen Jahr. Egal wer welche Musik macht, aber mitt­ler­weile spricht man in jedem Genre über den olym­pischsten Musik­wett­be­werb. Und da haben unsere Hard­ro­cker auch ihren verdienten Platz.

Unser Magazin bekam vor wenigen Wochen den Ritter­schlag verpasst: wir durften anwesend sein – vor Ort, beim deutschen Vorent­scheid, auf der Vorstufe zu dem Fern­seh­ereignis, das Europa mehr eint, als viele andere Veran­stal­tungen oder gar Politiker krampf­haft versuchen. Drei Tage – vom Beginn der Proben bis zur abschlie­ßenden Pres­se­kon­fe­renz nach der großen TV-Show. Ich selbst, der seit 1978 nie ein ESC-Finale vor dem TV verpasst hatte, war nach 45 Jahren endlich live vor Ort dabei. Natürlich dienst­lich. Da störte es mich auch am Freitag nicht, als man sich in der Stadt Köln moto­ri­siert überhaupt nicht bewegen konnte, weil ein Streik den kompletten Öffent­li­chen Nahver­kehr lahmlegte.

Natürlich war ich in redak­tio­neller Absicht vor Ort, aber zurück­ge­kehrt bin ich mit der Erkenntnis, dass dieser Spirit, der vom ESC ausgeht, sich auch schon durch die Vorbe­rei­tung zieht. Und zwar von allen Betei­ligten, egal, ob sie später auf dem TV-Bild zu sehen oder ob sie hinter den Kameras beschäf­tigt waren. Am späten Mitt­woch­nach­mittag bekommt so zum Beispiel mit, wenn man zwischen den Proben­pausen sich zum gemein­samen Catering begibt, wie sich die Damen von der Maske über die Arbeits­ein­tei­lung darüber unter­halten, wer wen wann und wie Schein­wer­fer­taug­lich zurecht­ma­chen darf. Da sind die Sofas, auf denen später die Künstler, die Mode­ra­torin Barbara Schö­ne­berger und deren Gäste Platz nehmen, noch in Plas­tik­folie verdeckt.

Wir waren nicht nur vor Ort, als deutsche Vorent­scheid geprobt und durch­ge­führt wurde, sondern auch bei einer Veran­stal­tung, die sich im Unter­schied zum Wett­be­werb 2022 spürbar verändert hat. Im vergan­genen Jahr setzten die Verant­wort­li­chen verstärkt auf „Radio­taug­lich­keit“. Zunächst klingt das ja nicht schlimm, denn jeder ESC-Fan freut sich, wenn der ein oder andere Song wieder öffent­lich aufgelegt wird. Aber der Begriff brachte dem NDR auch enorme Kritik ein. Um später inter­na­tional Punkte zu sammeln, reicht es eben nicht aus, dem Publikum lediglich akustisch eine Freude zu bereiten. So sehr jeder den 25. und letzten Platz von Malik Harris als unver­dient bezeichnen tut, so nahm sich die Reference Group – jenes Auswahl­gre­mium, die die Kandi­daten für den Vorent­scheid auswählt – der Kritik an, und setzte, so wie sich es für einen ESC gehört, mehr Diversity ins Programm.

Doch damit nicht genug; jeder der 8 von ursprüng­li­chen 9 Songs wurde auch visuell so umgesetzt, so dass der Vorent­scheid in Köln durchaus schon inter­na­tio­nales Flair hatte. Wer durch die riesigen Hallen in Richtung Backstage und Saal begab, der sah schon vor dem Veran­stal­tungs­raum sämtliche Requi­siten, die später in der Vorent­schei­dung zum Einsatz kamen. Unter den anwe­senden waren natürlich etliche ESC-Experten, die schon nach den Proben ihre ursprüng­liche Wahr­neh­mung der Songs korri­gierten. Kandi­daten, die man nicht so auf der Rechnung hatte, wurden auf einmal zu inter­es­santen Acts, die man sich durchaus auch für Liverpool vorstellen könnte.

Trong, Rene Miller, Anica Russo, Lonely Spring, Will Church, Patty Gurdy, Ikke Hüftgold und schluss­end­lich natürlich Lord Of The Lost boten, gepaart mit einer guten Mode­ra­tion durch Barbara Schö­ne­berger durch sehr kurz­wei­lige 105 Minuten. Zu dem Feld zählte ursprüng­lich auch das Duett Frida Gold. Gesund­heit­lich ange­schlagen kam die Sängerin Alina Süggeler am Mittwoch bereits zur Probe an. Am Donnerstag konnte sie an der Vorbe­rei­tung nicht teil­nehmen, ehe am Freitag Vormittag die Absage kam. Schade für den schönen Song, dennoch war durch die kurz­fris­tige Absage für genug Abwechs­lung gesorgt.

Die Abstim­mung war zwei­ge­teilt. 50 % der Stimmen kamen von den inter­na­tio­nalen Jurys, die andere Hälfte kamen von Online- bzw. Tele­vo­tern durch das Publikum. Es gilt zwar, sich schon mal auf das große Finale in Liverpool zu freuen, aber die Erwar­tungen an die Hamburger Rocker, da sollte man nicht voreilig sein. Das Publikum setzte zwar „Blood and Glitter“ haushoch auf Platz 1, die Jurys hatte das Quintett lediglich auf Rang 5 platziert. Zumal die deutschen Vertreter in UK nicht die einzigen in dem Genre Rock sein werden. Theodor Andrei aus Rumänien, Voyager für Austra­lien, Piqued Jacks aus San Marino sowie Sudden Lights aus Lettland versuchen ebenfalls mit enorm mehr Riffs. Dazu gibt es über 30 weitere Beiträge, die so ziemlich jeden Musik­ge­schmack Europas treffen wollen – von Uptempo bis zur Ballade, vom Main­stream-Dance bis hin zu ethni­scher Folklore.

So ist er, der ESC. Bunt, viel­fältig, und mit sehr viel Liebe unter­ein­ander, und vor allem Toleranz. Das tut in Zeiten wie diesen besonders gut. Wer Musik mag, egal welche, kommt am weltweit größten Song­wett­be­werb einfach nicht vorbei, es sei denn, man mag überhaupt keine Musik. Letzteres mag man sich gar nicht vorstellen, erst recht nicht nach dem bunten Medley, dass die Kandi­daten aus einem Strauß von ESC-Ever­greens vortrugen. Ich durfte mit unserem kleinen Magazin erstmalig live vor Ort an diesem Event ein wenig mitschnup­pern. Dafür sage ich ein großes Danke­schön an alle Verant­wort­li­chen und Mitar­bei­tern, die diese Teilnahme ermög­licht haben. Es war die Kombi­na­tion aus einer harten und einer sehr schönen Arbeit. Dafür gebe ich jedem einzelnen 12points – und zwar ans Herz.

Bilder­ga­lerie der Sieger